Hönggerin ist Oberstleutnant bei der Luftwaffe

Pia Zürcher-Vercelli, 60, in Erlinsbach bei Aarau aufgewachsen, lebt schon 25 Jahre in Höngg. Noch länger, seit 37 Jahren, ist sie im Militär: Als eine von 17 Frauen in der Schweiz besitzt sie den Grad eines Oberstleutnants. Für die Schweizer Luftwaffe leistet sie in Festungen Dienst.

Pia Zürcher-Vercelli, eine von 17 Frauen in der Schweiz im Rang eines Oberstleutnants.

«Mit 23 Jahren absolvierte ich den freiwilligen, vierwöchigen FHD-Einführungskurs des Frauenhilfsdienstes der Armee, als FHD des Fliegerbeobachtungs- und Meldedienstes. Dies entspricht der heutigen Funktion «Führungsunterstützungssoldat Luftwaffe». Im Vergleich zu den dienstleistenden Männern, bei welchen die Rekrutenschule damals 17 Wochen dauerte, war das sehr kurz, auch wenn man berücksichtigt, dass Frauen damals noch unbewaffnet waren und somit keine Waffen- und Gefechtsausbildung erhielten. Die Wiederholungskurse leisteten die Frauen, von wenigen Funktionen ausgenommen, in den Einheiten zusammen mit den Männern», erzählt Pia Zürcher-Vercelli, die kein Berufsmilitär ist, sondern ihre Aufgabe als Bürgerpflicht wahrnimmt.

«Gleichberechtigung heisst gleiche Rechte und Pflichten»

«Meine Motivation 1977 war die Gleichberechtigung. Alle riefen danach, und ich fand, wenn man sie wirklich wollte, dann müsste man nicht nur die Rechte, sondern auch die Pflichten übernehmen. Ich wollte – und will noch immer – meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten.» Das Militär sei für Pia Zürcher etwas ganz Neues gewesen, dass sie nicht gekannt habe: «Mein Vater hat als Wachtmeister viel Aktivdienst geleistet, Militär war aber kein grosses Thema.»

23 000 Frauen leisteten im Zweiten Weltkrieg freiwillig Dienst

Den Frauenhilfsdienst, kurz FHD, gab es von 1939 bis 1985. Im Zweiten Weltkrieg haben 23 000 Frauen in der Schweiz freiwillig Dienst geleistet. Das Herauslösen des FHD aus dem Hilfsdienst sowie das Ziel, Frauen als den Männern gleichgestellte Angehörige der Armee zu integrieren,  wurde schrittweise erreicht. «Seit 2004 können die Frauen, bei Eignung und genügender Leistung, alle Funktionen wahrnehmen und alle Grade erreichen. Auf der anderen Seite haben die Militärdienst leistenden Frauen auch dieselben Pflichten wie ihre Kameraden. So haben sie unter anderem genau gleich viele Wiederholungskurse, kurz WK, zu absolvieren und müssen mit der Waffe die ausserdienstliche Schiesspflicht, das sogenannte «Obligatorische», erfüllen. Während des WK werden dieselbe physische und psychische Leistung und dieselben Fachkenntnisse verlangt.»
Ihr sei von Anfang an klar gewesen, dass der Auftrag der Armee nichts Weibliches sei. «Die Armee hat die Aufgabe, das Land und seine Bürger zu schützen. Das kann kämpferisch sein.» Weibliche Oberstleutnants, wie sie einer ist, gibt es total nur 17, zurzeit gibt es eine Frau Brigadier – sie ist Chefin Personelles der Armee, mit einem aktuellen Bestand von rund 200 000 Militärdienstleistenden.

Ehrgeizig sein und mehr als 100 Prozent leisten

«Möchte man in der Armee weiterkommen, so muss man sehr ehrgeizig sein und mehr als 100 Prozent Leistung erbringen. Es wird keine Rücksicht auf Frauen genommen. Mir sagt dies aber zu, ich absolvierte 1977 die Kaderausbildung zum Zugführer, wurde 1990 Hauptmann und Informatiknachrichtenoffizier bei der Luftwaffe. 1997 wurde ich zum Major befördert, 2006 zum Oberstleutnant. Seit 2010 bin ich Chef Einsatzstelle Führungsunterstützung Luftwaffe der Nachrichtenorganisation. Kurz gesagt, bin ich eine der Fachspezialisten bei der Führungsunterstützung Luftwaffe. Damit die Luftwaffe ihren Einsatz korrekt durchführen kann, braucht es eine ganze Palette an Mitteln: Flugfunk, Sprechverbindungen, Datenleitungen, Wetterdaten und die Luftlage sind nur einige davon. Meine Einsatzstelle ist die Schnittstelle zwischen den Beobachtungsposten der Luftwaffennachrichtenverbände und der Luftwaffenführung.» Die Beobachtungsposten ergänzen die durch das Radar erfasste Luftlage mit ihren Beobachtungen im unteren Luftraum, denn das Radar kann nicht über die Hügelzüge in die Täler hinunterschauen. Sie sind im Gelände stationiert und erfassen per Auge und Feldstecher alles im Luftraum sowie Ereignisse am Boden und das Wetter. Durch die strukturierte Übermittlung mittels Zifferncode kommen die Nachrichten in Echtzeit zur Luftwaffenführung.

Das Leben wird von Kalender und Uhr diktiert

Der Arbeitsort von Pia Zürcher befindet sich in der Regel tief unter der Erde: In Untertageanlagen, im Volksmund Festungen, ist dann ihr Lebensmittelpunkt. Ein Wiederholungskurs-Einsatz dauert jeweils drei Wochen. Pia Zürchers Einsätze finden unter anderem während des Armeeinsatzes zum Schutz des World Economic Forum, kurz WEF, in Davos oder des Ministertreffens der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz OSZE, diesen Dezember in Basel statt. Dann sitzt Oberstleutnant Zürcher auch mal im Helikopter – nicht am Steuer – und verschafft sich so einen Überblick. Auch per Auto werden die Luftwaffen-Nachrichtenposten besucht. «Ansonsten ist mein Arbeitsort aber ein sehr technisch eingerichteter Bürotisch in einer der Untertageanlagen. «Ich koordiniere im Einsatz die Bereitschaftszeiten und den Einsatzort der Beobachtungsposten auf Grund der Bedürfnisse der Luftwaffe. Weiter bin ich verantwortlich dafür, dass die für die Übermittlung, die Darstellung und die Auswertung der Beobachtungsmeldungen notwendige Technik funktioniert.» Das Ganze ist sehr technisch, was der Hönggerin gefällt, da sie viel technisches Verständnis hat.

Keine Sonne, kein Regen, kein Wetter

Was ist es für ein Gefühl, drei Wochen in einer Festung zu leben? «Man betritt die Festung durch die grossen Tore, welche sich hinter einem schliessen, und man weiss: Ich sehe die Sonne oder den Regen erst nach Tagen, in einem Ernstfall nach Wochen wieder. Man lebt mit dem Kalender an der Wand und der Uhr am Handgelenk – der Einsatz diktiert den Tagesablauf. Ich schätze die Kameradschaft und dass mich die männlichen Kameraden akzeptieren.»
Ein anderer Teil ihrer Arbeit waren lange die Betreuung der Schnuppertage für Frauen, an denen sie Frauen den Dienst erklärte, sowie das Mitwirken im elektronischen Newsletter für die Frauen in der Armee. «Ich mache dies aber nicht mehr, weil ich finde, es sei zielgerichteter, wenn die Jungen dies machen. Mit meinen 60 Jahren spreche ich die Dinge ganz anders an, als es eine 30-jährige Militärangehörige tut. Ich bin sehr dafür, dass mehr Frauen in die Armee kommen. Hätte mir jemand mit 23 gesagt, dass ich mit 60 immer noch Dienst leiste! Ich bin daran gewachsen, und ich möchte mit meinen Erzählungen möglichst viele Frauen animieren, auch Teil davon zu werden.»

Vertrauen in eigene Fähigkeiten gewonnen

Und was macht Pia Zürcher, wenn sie nicht im Dienst ist? «Dann war und bin ich Hausfrau. Vor der Heirat und dem damit erfolgten Umzug nach Zürich arbeitete ich als Bezirkslehrerin für die Fächer Mathematik, Biologie und Geografie im Aargau. Zusammen mit meinem Mann habe ich zwei Kinder aufgezogen, die heute 28- und 30-jährig sind. Unsere Eltern haben sich jeweils um sie gekümmert, wenn ich oder sogar mein Gatte gleichzeitig – auch er musste in die militärischen Wiederholungskurse – im Dienst weilten. Unsere Tochter und unser Sohn und ihre Elternpflichten übernehmenden Grosseltern genossen dies jeweils», erinnert sich Pia Zürcher an vergangene Zeiten.
Was hat ihr das jahrzehntelange Engagement gebracht? «Es ist eine persönliche Bereicherung, finanziell übrigens überhaupt nicht, ich verdiene als Milizmilitär 58 Franken Erwerbsersatz sowie 20 Franken Sold pro Diensttag. Ich habe Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten bekommen, habe viel Führungserfahrung unter schwierigen Bedingungen wie Zeitdruck oder Müdigkeit, kann vor vielen Menschen ohne Hemmungen sprechen und habe gelernt, mit Extremsituationen umzugehen.»

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