«Für dieses Engagement besteht kein freier Markt»

Die Jungfreisinnigen des Kantons Zürich haben 2011 eine Volksinitiative zur Abschaffung der Kirchensteuerpflicht für Unternehmen lanciert, die am 18. Mai zur Abstimmung kommt. Was machen Kirchen eigentlich mit den Steuereinnahmen von Firmen? Und was ginge Höngg bei einem Ja verloren?

Silvio Ponti und Matthias Reuter (von links) argumentieren gegen die Vorlage.

Der Titel der Vorlage klingt für Unternehmer verführerisch: «Weniger Steuern fürs Gewerbe». Erst der Klammerzusatz (Kirchensteuerinitiative) macht deutlich, worum es geht: Um die Abschaffung der Steuer, welche Firmen den öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen entrichten. Ja, warum eigentlich bezahlen Firmen Kirchensteuern? Ihre Taufe geschieht auf dem Handelsregisteramt, wenn sie heiraten sprich fusionieren, ist dies eine Angelegenheit des Managements, «seelischen Beistand» beziehen sie von Unternehmensberatern und wenn sie sterben, hält das Konkursamt die Abdankung. Warum also sollen Firmen 107 Millionen Steuern bezahlen? Selbst wenn daraus für die einzelnen Firmen nur eine Belastung von weniger als 1 Prozent des Umsatzes resultiert?

Wie ist das in den anderen Kantonen?

In der einen oder anderen Form sind Firmen in den meisten Kantonen kirchensteuerpflichtig. Nur in Basel-Stadt, Schaffhausen, Ausserrhoden, Aargau und Genf sind die juristischen Personen von der Kirchensteuerpflicht ausgenommen, wie die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) im August 2013 festhielt. Jedoch nur wer öffentlich-rechtlich anerkannt ist, kommt in den Genuss der Steuereinnahmen. Im Kanton Zürich sind dies die Evangelisch-reformierte und die Römisch-katholische Kirche, in der Stadt Zürich kommt die Christkatholische Kirchgemeinde hinzu. Ebenfalls anerkannt wurden die Israelitische Kultusgemeinde und die Jüdische Liberale Gemeinde. Der Status, öffentlich-rechtlich anerkannt zu sein, unterscheidet Kirchen letztlich von Vereinen und erlaubt es ihnen, die Mitgliederbeiträge vom Staat via Steuererklärung einzufordern. Der Staat macht also das Inkasso – wer nicht bezahlt, wird nicht wie in Vereinen ausgeschlossen, sondern betrieben. Der Staat schützt die Kirchen – und dies mit gutem Grund, finden die Gegner der Initiative und fand erst im Mai 2007 auch das Stimmvolk, welches damals ein inhaltlich identisches SVP-Begehren bachab schickte. Bereits Ende 2012 hatte sich der Regierungsrat klar gegen die Initiative ausgesprochen, der Kantonsrat folgte ihm Anfang 2014 deutlich und selbst der Vorstand der Zürcher Handelskammer sagt Nein. Ende 2013 zog das Nidwalder Komitee seine Kirchensteuerinitiative zurück – man betrachtete es selbst als chancenlos – und im Februar erst lehnte der Kanton Graubünden eine entsprechende Vorlage mit 73 Prozent Neinstimmen ab. Warum also schaut man in Zürichs Kirchen dennoch bang auf den 18. Mai?

Bezahlen Firmen für Gottesdienste?

Der «Höngger» traf sich mit zwei dezidierten Initiativgegnern zum Gespräch: Silvio Ponti, Kirchenpflegepräsident der Pfarrei Heilig Geist, und Matthias Reuter, Pfarrer der Reformierten Kirche Höngg. Für sie ist klar: Ein Ja am 18. Mai hätte Konsequenzen bis weit über die Kirchentüren hinaus. Das Hauptargument der Befürworter ist, dass eine Firma gar nicht Mitglied einer Kirche sein könne und folglich auch nichts zur Verwendung der Gelder zu sagen habe – und dies verletze die religiöse Neutralität. Doch gemäss zürcherischem Kirchengesetz unterliegen die Beiträge aus den Steuern der Firmen der «negativen Zweckbindung», dürfen also nicht für kultische Zwecke, sondern nur für die Bereiche Soziales, Bildung und Kultur verwendet werden. «Die Kirchen», erklärt Reuter, «weisen gegenüber dem Kanton den Anteil Steuern von juristischen wie von natürlichen Personen aus und belegen, dass alle hochgerechneten Kosten für kultische Zwecke durch die Kirchensteuern von natürlichen Personen gedeckt sind.»

Was wäre, wenn?

Finanziert wird mit den Steuereinnahmen von Firmen also nur, was die Kirchen im sozialen Bereich leisten. An konkreten Beispielen für solche «nichtkultischen Zwecke» mangelt es auch in Höngg nicht. «Wir finanzieren − nur zum Beispiel − die Pfadis, beziehungsweise den Cevi, oder die Angebote der Seniorengruppe Aktivia», erklärt Silvio Ponti, «generell ist es die ganze Jugend-, Sozial- und Altersarbeit, die wir so finanzieren.» Auch Pfarrer Reuter nennt spontan: «Zum Beispiel das Musicalprojekt Zürich 10 oder das Café Litteraire, die könnte man vergessen. Und die Raumvermietung, von der viele Vereine profitieren, müsste das Dreifache kosten, auch für das Wümmetfäscht, und dort wäre auch das Gewerbe betroffen. Oder die Jobvermittlung Wipkingen, die lebt auch von Kirchengeldern – überall müssten Beiträge gestrichen oder gekürzt werden.» «Das ist ein gutes Beispiel», fügt Silvio Ponti an, «Firmen leben hier auch von der gesunden gesellschaftlichen Kultur, die über Jahrhunderte in christlicher Tradition aufgebaut wurde. Jede Firma hat eine Verpflichtung und auch ein Interesse daran, denn sie wissen, was all die Freiwilligen in der Kirche für dieses gute soziale Gefüge tun.»

«Macht’s der Staat, wird’s teurer»

Vieles also, was die Kirche heute tut, müsste aufgegeben werden − oder der Staat müsste übernehmen. «Und», so Ponti, «jede Firma weiss: Wenn der Staat etwas übernimmt, wird es garantiert teurer, denn niemand arbeitet gratis für den Staat. Ein Denkfehler der jungliberalen Initianten ist es, dass für viele Bereiche kein freier Markt besteht. Anders ausgedrückt: Würde die VBZ die Buslinie 46 stilllegen, drängten sofort private Anbieter auf diesen lukrativen Markt. Aber für die soziale Arbeit, welche die Kirchen auch mit vielen Freiwilligen leisten, würde sich keine Firma interessieren, denn sie ist wirtschaftlich nicht rentabel.» Doch die Initianten bemängeln, dass eine Firma nicht wie natürliche Personen aus der Kirche austreten könne. «Sie treten ja auch nicht ein, denn es ist eine Abmachung zwischen Staat und Kirchen, dass die Kirchen Steuereinnahmen für soziale Engagements aufwenden», entgegnet Reuter und Ponti fügt an: «Überdies bezahlen viele Firmen bereits heute gar keine Steuern, weil sie keinen Gewinn ausweisen. Es ist wie bei allen Steuern: die paar Grossen bezahlen 80 und mehr Prozent aller Steuern. Bei der Kirchensteuer wissen sie genau, wofür die Gelder verwendet werden. Bei den Staatssteuern hingegen haben sie absolut keinen Einfluss.»

Wem spielen die anderen Bundesvorlagen in die Hände?

«Weniger Steuern für das Gewerbe klingt ja verlockend», sagt Reuter, und das berge die Gefahr, dass man die Vorlage als nicht so wichtig taxiere und die Initiative angenommen wird. Dass in der Bevölkerung all die negativen Geschichten um bereits erfolgte Steuerentlastungen für Firmen – man denke an die Unternehmenssteuerreform II unter Bundesrat Merz – sowie die horrenden Bonizahlungen, die selbst dann entrichtet werden, wenn die Firma Verluste schreibt und ergo keine Steuern bezahlt, dass die zu einer Ablehnung der Initiative aus «Trotz» führen wird, daran wollen die Kirchenvertreter nicht glauben. Entscheidend wird es also sein, die eigene Basis zu mobilisieren. Zumal am 18. Mai auf Bundesebene mit der Pädophilen-Initiative, der Mindestlohn-Initiative und der Beschaffung des Gripen-Kampfflugzeugs weitere brisante Vorlagen vors Volk kommen. «Diese Vorlagen mobilisieren von Links bis Rechts, was uns zugutekommen dürfte», ist Reuter vorsichtig optimistisch, «auf dem Land werden viele kirchennahe SVP-Anhänger die Kirchensteuer-Initiative ablehnen und in der Stadt hat es viele linke Wählerinnen und Wähler, welche das soziale Engagement der Kirchen schätzen.» Zum Abschluss des Gesprächs sinniert Silvio Ponti, selbst ein Liberaler, über die Urheber der Initiative: «Die Jungliberalen sind im jungen Eifer liberal, das ist ja positiv. Doch nochmals: es bildet sich kein freier Markt für Dienstleistungen, welche bei den Kirchen abgeschafft werden müssten, sollte die Initiative angenommen werden. Zu gewinnen gibt es nichts, zu verlieren hingegen viel.»

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