Höngger Fauna
Freundliche Eindringlinge auf acht Beinen
Die Tage werden kürzer und es wird schon merklich kühler. Das fällt nicht nur uns Menschen auf: Wärmeliebende Tiere wie die Spinnen suchen dann gerne geheizte Räumlichkeiten auf – oft zum Schrecken der Bewohnenden.
19. September 2025 — Dagmar Schräder
Die Situation ist wohlbekannt: Man sitzt gemütlich auf dem Sofa, lässt den Blick in die Ferne schweifen, oder besser: zur Zimmerdecke. Und schlagartig ist es vorbei mit der gemütlichen Ruhe. Denn dort oben in der Ecke lauert sie: Die Hausspinne! Am langen Faden baumelnd hat sie sich bislang unbemerkt in der guten Stube häuslich eingerichtet.
In der Regel folgt auf eine solche Entdeckung hektisches Treiben, das sich entweder direkt in einer Flucht oder aber in der Gegenwehr manifestiert. Mit Gläsern, Papier oder gar mit Staubsaugern wird dem Tier dann zu Leibe gerückt. Und erst, wenn der ungebetene Gast vor die Tür gesetzt wurde, kann in den eigenen vier Wänden wieder Ruhe einkehren.
Jetzt im Herbst häufen sich diese vermeintlich verhängnisvollen Begegnungen. Denn nicht nur die Menschen, auch die Spinnen begeben sich bei kühleren Temperaturen vermehrt in die Innenräume der Häuser.
Schlimmer als ein Wespenstich sind die Spinnenbisse nicht
Doch woher stammt die Abneigung gegenüber den Spinnen? Wissenschaftlich ist dies noch nicht ganz geklärt, aber das Unbehagen ist weit verbreitet. Bei manchen steigert sich das Unbehagen gar zu einer ausgewachsenen Phobie, der sogenannten Arachnophobie.
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Spinnenangst. Sie könnte einerseits, so ist es etwa einer Medienmitteilung des Zürcher Zoos zu entnehmen, evolutionär bedingt sein. Weil es durchaus einige Spinnen gibt, die für den Menschen gefährlich werden können.
Mit der heutigen Realität hat diese Befürchtung aber zumindest hierzulande nichts mehr zu tun. Denn in unseren Gefilden finden sich keine gefährlichen Giftspinnen. Zwar können die hier ansässigen Nosferatu-, Dornfinger- und auch die Kreuzspinnen durchaus zubeissen, so stark, dass es Schmerzen verursacht. Aber schlimmer als ein Wespenstich sind die Spinnenbisse nicht.
Von Generation zu Generation weitergegeben
Vielleicht sind es aber auch die zahlreichen und oft ziemlich behaarten Beine, die uns Zweibeinern suspekt vorkommen. Und diese ungewohnte Form der Fortbewegung. Lässt man das Tier auch nur eine Sekunde aus den Augen, so die Befürchtung, hat es sich schon abgeseilt und ist seinem Opfer in die Haare gekrochen.
Oder noch schlimmer: Es beobachtet die Menschen von seiner erhöhten Position mit seinen zahlreichen Augen in Seelenruhe so lange, bis diese sich zum Schlafe niederlegen. Nur um sich dann direkt auf deren Gesichter abzuseilen. Wer soll da noch ruhig schlafen können?
Mit Sicherheit spielt auch die gesellschaftliche Prägung, die wir schon als Kleinkinder von unseren Eltern mit in die Wiege gelegt bekommen, eine grosse Rolle. Die kreischende Panik, die einer Studie zufolge mehr als die Hälfte aller Frauen und rund zwanzig Prozent der Männer beim Anblick einer Spinne befällt, bleibt mit Sicherheit auch dem Nachwuchs nicht verborgen.
Aufräumen oder Kastanien auslegen
Wer nun in seiner Wohnung mit einer Spinne konfrontiert ist, hat im Grunde genommen drei Möglichkeiten, sich zu verhalten: Aushalten und hoffen, dass sich der Achtbeiner in Bälde verkrümelt. Oder einsammeln und entfernen und für die Zukunft vorsorgen. Und drittens: sich mit dem faszinierenden Tier anfreunden.
Für die Variante «Einsammeln» muss übrigens nicht zwangsläufig auf das klassische Hilfsmittel «Glas und Papier» zurückgegriffen werden. Im Internet sind zahlreiche «Spinnenfänger» käuflich erwerblich, mit deren Unterstützung die Spinnen kontaktlos eingesammelt und behutsam ins Freie befördert werden können.
Es empfiehlt sich, so die Botschaft an sehr ängstliche Menschen, danach dafür zu sorgen, dass die Tiere nicht gleich wieder den Rückweg in die Wohnung antreten. Etwa durch verbesserte Dichtungen an Fernstern oder Türen oder aber durch die Installation eines Fliegengitters.
Helfen soll gemäss einem Artikel in «20 Minuten» auch, die Wohnung auf Vordermann zu bringen und staubige Ecken zu entfernen. Denn Sauberkeit, so der Tenor, behage den Spinnentieren weniger.
Aber auch Pfefferminzöl, Essig oder Kastanien im Fensterrahmen – versprüht oder ausgelegt – seien hilfreich, weil Spinnen diese Gerüche nicht ausstehen können. Allerdings, so besagter Artikel, ist Pfefferminzöl für Haustiere giftig, es sollte daher nur in Wohnungen angewendet werden, in denen keine Vierbeiner zuhause sind.
Die Spinne, meine neue Freundin?
Die Königsvariante des Umgangs mit den Achtbeinern ist aber sicher die Letztere: der Versuch einer freundschaftlichen Beziehung. Denn die Tiere verfügen über äusserst faszinierende Fähigkeiten.
Zum Beispiel in Bezug auf die Netze, welche einige (aber nicht alle) Arten produzieren. In unglaublicher Geschwindigkeit weben etwa Radnetzspinnen sowie die Gartenkreuzspinne architektonische Gebilde, die um ein Vielfaches grösser sind als sie selber. Und enorm stabil: Spinnenseide, so berichtet der Zoo Zürich in erwähnter Medienmitteilung, ist fünfmal belastbarer als ein Stahlseil gleicher Dicke.
Ein netter Zug der Spinnentiere ist auch, dass sie sich zwar unaufgefordert Zutritt zur Wohnung verschaffen, im Gegenzug dafür aber auch einiges für deren Bewohnende leisten: Wo Spinnen leben, finden sich deutlich weniger Stechmücken oder Fliegen. Ein Charakterzug, der nicht nur hilfreich für die Menschen ist, sondern auch für das Ökosystem von grosser Bedeutung ist.
Insgesamt, so die Schätzung zweier Wissenschaftler in der Zeitschrift «Science of Nature», verzehren Spinnen weltweit jährlich zwischen 400 und 500 Millionen Tonnen Beute und leisten so einen entscheidenden Beitrag zum ökologischen Gleichgewicht.
Vielleicht kann beim Aufbau einer freundschaftlichen Beziehung auch der Besuch im Zoo Zürich unterstützend sein. Denn in der neuen Spinnenhöhle im Insektenwald können sich die Tiere frei bewegen, ohne trennende Scheibe. Damit können sich geneigte Personen nicht nur auf neutralem Terrain mit dem Anblick von Spinnen vertraut machen, sondern vielleicht gleich auch noch in einer Art «Konfrontations-Strategie» etwaige vorhandene Ängste abbauen.
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