Das Windows-Knochenrätsel

Mein Junge brauchte endlich einen eigenen Computer. Grosszügig wie ich bin, war das der Anlass, mir selbst einen neuen zu besorgen und den alten als Vorerbbezug meinem Junior zu überreichen, der sich zu freuen vorgab.

Frank Frei

Doch mein Egoismus sollte mich bald strafen. Keine zehn Minuten am neuen Gerät und ich war ihm Spinnefeind. Ich habe mich in meiner bescheidenen User-Karriere ja schon durch so manches Betriebssystem auf Entdeckungsreise begeben, ich könnte eine ganze Reiseenzyklopädie für unerforschte Computerwelten verfassen. Im Nachwort stünde dort, dass die Entwicklung, welche ja mit neuen Betriebssystemen einhergehen sollte, sich immer mehr in Richtung jenes Wortteils in «Enzyklopädie» bewegt – Vorsicht: Sickerpointe – der zwischen dem «y» und dem «p» steht.
Das gilt für Apple wie für Windows. Beim einen hiessen sie OS-irgendwas bis OS X, Sierra oder Mountain Lion, beim andern NT, 2000, XP, Vista, oder führten schlicht Nummern bis aktuell 10 im Namen. Immer sehr originell. Mit Windows 10 hatte ich schon meine liebe Mühe, denn plötzlich musste man sich da in einer Flut aus «Kacheln» zurechtfinden, die mich an psychedelische Erfahrungen beim Anstarren einer Wand in einer öffentlichen Toilette erinnerten. Nun, man gewöhnt sich ja an alles und hat auch keine andere Wahl. Hier wie dort. Auch bei der neusten Variante von Windows 10 nicht, die ich mir mit dem neuen Computer eingehandelt habe.
Die Programm- und Systemverwickler haben einmal mehr alle bestehenden Elemente genommen, in eine Kiste gepackt, kräftig durchgeschüttelt und uns Anwendern vor die Füsse geworfen. Das Vorgehen erinnert an das eines Schamanen, der irgendwo in einer rauchgeschwängerten Laubhütte hockt, und während sich sein Kopfschmuck in den seltsamen, von der Decke baumelnden Fläschchen mit Essenzen verheddert, lässt er mit kryptischen Zeichen bekritzelte Knochenstücke aus seinem Lederbeutel auf den Boden kullern. Aus den Gefallenen liest er eine wirre Zukunft, die selbst ihm nur im Drogenrausch verständlich erscheint. Der einzige Unterschied: Windows liest mir nicht die Zukunft, sondern überlässt die Interpretation mir.
Und so versuche ich noch immer, aus dem Windows-Knochenrätsel herauszulesen, wie ich mich in dieser Welt wieder zurechtfinden soll. Irgendwer sollte mal den Mut haben, Firmen wie Windows oder Apple, diese modernen, raubritternden Wegelagerern eine Rechnung zu stellen für all die unproduktiven Stunden, die man Dank ihnen am Computer verbringt.

Es grüsst durch versteckte Nullen und Einsen
Frank Frei

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