Verkehrs- und Siedlungsrichtplan NEIN

49 neue Quartierzentren – eine Schnapsidee

Frau Barandun, der Gewerbeverband Zürich (GVZ) stellt sich dezidiert gegen den Siedlungs- und den Verkehrsrichtplan. Wieso sollte die Stadtbevölkerung die beiden Richtpläne am 28. November an der Urne ablehnen?

Die bauliche Verdichtung in den Quartieren der Stadt Zürich wie sie im Siedlungsrichtplan geplant wird, geht mir entschieden zu weit. An einigen Orten ist weitere Verdichtung möglich, aber Quartiere wie Wollishofen oder Riesbach werden ihren Charakter dadurch für immer verlieren. Das finde ich schade und unnötig. Hochhäuser braucht es definitiv nicht überall, und es braucht auch keine riesigen anonymen Wohnüberbauungen an Orten, wo heute noch etwas Grünraum zwischen den Häusern vorhanden ist. Wenn die Stadt 80 000 neue Bewohnerinnen und Bewohner anziehen will, braucht es Infrastruktur wie Schulhäuser, Alterswohnungen, öV und so weiter. Wer soll das alles bezahlen und wo sollen die Zürcherinnen und Zürcher noch Rückzugsmöglichkeiten haben? Im eigenen Garten oder im Innenhof der Genossenschaft wird es jedenfalls nicht mehr ruhig zu und her gehen. Denn als Kompensation für den durch die Verdichtung verlorenen Grünraum sollen gemäss Richtplan private Grünflächen wie Innenhöfe und Gärten für die Allgemeinheit geöffnet werden. Ich weiss nicht, wie es anderen geht, aber ich möchte keine Grillfeste von Fremden mit entsprechendem Lärm zwischen den Häusern im Quartier und schon gar nicht in meinem Garten, den ich gerne mit den Mitbewohnenden aus meinem Haus, aber nicht mit allen teile. Das Ganze ist zwar bis ins Detail, aber nicht zu Ende gedacht.

Ein Thema des Siedlungsrichtplans sind die Quartierzentren. Was stört Sie an der Idee des «5-Minuten-Lebensradius’», die eine Dezentralisierung anstrebt und den Fokus auf die Aufwertung der 49 Quartierzentren legt?

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Richtplan einerseits mit der grossen Kelle anrührt, aber gleichzeitig auch Vorschriften enthält, die bis ins kleinste Detail unser Leben in der Stadt regeln wollen. Sein Leben nur noch in einem 5-Minuten-Lebensradius zu verbringen, ist bünzlig und langweilig. Man soll ja auch in diesem Radius arbeiten. Finden Sie mal einen Job in Ihrem Quartier! Oder soll man umziehen, wenn man in einem anderen Quartier arbeitet? Ich möchte mich in der Stadt – und darüber hinaus – frei bewegen können.
Dazu kommt, dass die 49 neuen Quartierzentren schlicht eine planerische Schnapsidee sind. Die Quartiere von Zürich und ihre Zentren sind über lange Zeit natürlich gewachsen. Dennoch, auch in den heutigen Quartierzentren haben viele Quartierlädeli und Restaurants Mühe zu überleben. Für kleine lokale Fachgeschäfte, die etwas anderes als Lebensmittel anbieten, ist es noch schwieriger. In den letzten Jahren sind viele Geschäfte verschwunden, und nicht umsonst ist das Lädelisterben in aller Munde. Eine Chance haben die Läden nur, wenn sie sich an Orten mit viel Frequenz, also mitten in den bestehenden Quartieren, befinden. Nun will der Richtplan künstlich 49 neue Quartierzentren schaffen. Belebte Orte und Quartiere entstehen aber nicht auf dem Reissbrett. Woher sollen denn all die Läden herkommen, die dann an 49 Standorten sämtliche Erdgeschosse besiedeln sollen? Das bringt aus meiner Sicht nur viele Leerstände. Leere Erdgeschosse, im schlimmsten Fall mit heruntergelassenen Rolläden, sind nicht schön anzusehen, schaden der Wohnlichkeit des Quartiers und dem Sicherheitsgefühl. Was wir tun sollten, ist den bestehenden Quartierläden an den gewachsenen Standorten und dem Handel und Gewerbe in unserer attraktiven Innenstadt Sorge tragen, nicht Planwirtschaft betreiben. Das hat noch nie funktioniert.

Das «Komitee gegen das Richtplan-Monster», dem Sie auch angehören, behauptet, dass durch den kommunalen Richtplan Verkehr kein einziger Meter an zusätzlichen Velowegen erschlossen würde. Können Sie das erläutern?

Velowege finde auch ich eine gute Sache. Die schafft man aber nicht mit einem Richtplan. Die Velorouteninitiative ist angenommen, zahlreiche Vorzugsrouten sind bereits eingetragen, und zwar nicht kommunal, sondern regional, und werden auch laufend ausgebaut. Dass nun dazu ganze Strassenzüge in den Quartieren von blauen Parkplätzen «befreit» werden und «Quartierblöcke» mit Fahrverboten entstehen sollen, stört mich aber auch als begeisterte Velofahrerin. Die Frage sei erlaubt, wo denn zum Beispiel der Handwerker, der auf Montage kommt, noch parkieren soll, wenn alle Parkplätze abgebaut sind. Wie soll die Anlieferung und die Versorgung der Stadt funktionieren?
Gleichzeitig soll mit dem Verkehrsrichtplan in ganz Zürich flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden. Tempo 30 ist ein gutes Mittel, um Quartiere vor Durchgangsverkehr zu schützen und die Strassen für Fussgänger und Velofahrer sicherer zu machen. Auch die Lärmthematik hat einen Einfluss. Tempo 30 in der ganzen Stadt verlangsamt aber auch den öffentlichen Verkehr, den die meisten Züricher rege benützen. Wir haben wenige Orte, wo sich das Tram auf separaten Trassees bewegt und von der Tempobeschränkung ausgenommen wäre. Zahlreiche Quartiere sind auch mit Bussen erschlossen. Die werden dann ziemlich langsam durch die Stadt zuckeln, was auch erhebliche Kosten verursacht, weil wir den Fahrplan nicht mehr einhalten können und mehr Busse und Trams benötigen. Ich fürchte zudem ernsthaft, dass die Quartiere, welche wir einmal mit Tempo-30-Zonen vor dem Durchgangsverkehr befreit haben, wieder vermehrt befahren werden. Das Thema Schleichverkehr kommt dann ganz sicher wieder auf den Tisch.

Wie wird sich die Stadt Zürich Ihrer Meinung nach in den kommenden zehn Jahren verändern, wenn die Richtpläne angenommen werden?

Zürich wird nicht mehr so aussehen, wie wir es kennen. Nicht umsonst wehren sich auch zahlreiche Architekten, die unserer Stadt Sorge tragen wollen, gegen die Richtpläne. Zürich wird anonymer und grösser, aber deshalb nicht attraktiver. Im Gegenteil. Und sollte es irgendwo noch einen Schulhof haben, wo sich die Kinder noch austoben können, wird auch dieser bald mit Schulpavillons überbaut sein.

 

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich

 

 

 

 

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