Fernwärme
Fernwärme in greifbarer Nähe
Am 10. Februar stimmt die Stadtzürcher Bevölkerung über den Objektkredit von 128,7 Millionen Franken zur Realisierung eines Energieverbundes Altstetten und Höngg-West ab. Die Vorlage in Kürze.
9. Januar 2019 — Patricia Senn
2008 haben die Zürcher Stimmberechtigten der Verankerung der Nachhaltigkeit und der 2000-Watt-Gesellschaft mit 76,4 Prozent zugestimmt. Damit beauftragten sie die Stadt, sich insbesondere für die Reduktion des CO2-Ausstosses und die Förderung der Energieeffizienz und erneuerbarer Energiequellen einzusetzen. Der geplante «Energieverbund Altstetten», welcher Altstetten und Teile von Höngg umfasst, soll dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen. Heute werden die beiden Quartiere weitgehend über das Gasnetz mit Wärme versorgt. Dieses soll mittel- bis langfristig durch Fernwärme ersetzt werden, welche aus dem gereinigten Abwasser des Klärwerks Werdhölzli gespiesen wird. Zusätzlich verbrennt ERZ im Werdhölzli den gesamten Klärschlamm aus Stadt und Kanton Zürich. Ein Teil der Abwärme kann vom Energieverbund als zusätzliche Energiequelle genutzt werden. Zurzeit werden erst rund 15 Prozent des Energiepotenzials des Klärwerks genutzt, die 70 angeschlossenen Liegenschaften sparen im Jahr 3,4 Millionen Liter Heizöl, was einer CO2-Reduktion von 8310 Tonnen entspricht. Angestrebt wird eine Fernwärmeerschliessung von 30’000 Haushalten und eine damit einhergehende CO2-Verminderung von 30’000 Tonnen.
2016 bewilligte die Stadt einen Objektkredit in der Höhe von 1,96 Millionen, um im Zuge eines Ausbaus im Klärwerk Werdhölzli die Infrastruktur für einen Energieverbund bereitzustellen. Ausserdem erstellte das ewz ein Gebäude zur Verwertung von Abwärme, um die «Synergien mit dem Erweiterungsbau der ERZ zu nutzen», wie es in der Abstimmungszeitung heisst.
Wird die Vorlage vom Stimmvolk angenommen, baut das ewz in einer ersten Etappe in Höngg und in Altstetten Nord, nördlich der Bahnlinie, einen Wärme- und Kälteverbund. Dafür konnten bereits genügend Eigentümer*innen von Gebäuden für einen Anschluss gewonnen werden, wie die Stadt bekannt gibt. Somit sei ein kostendeckender Betrieb gewährleistet. Die ersten Liegenschaften sollen ab 2020 über den Energieverbund mit Fernwärme versorgt werden. Der Kälteverbund wird in dieser Etappe nur in Altstetten Nord zwischen Autobahn und Bahngleisen gebaut. Auch die neue Eishockey- und Sportarena soll vom Energieverbund Altstetten versorgt werden.
Verdichtung des Fernwärmenetzes und Ausbau der Anergieleitung*
In einer zweiten Etappe wird das Netz entsprechend der Nachfrage verdichtet. Der Anschluss ist freiwillig, die Preise sollen für das ganze Verbandsgebiet einheitlich gestaltet werden. In der dritten Etappe wird schliesslich die Anergieleitung vom Werdhölzli zum bestehenden ewz-Energieverbund Flurstrasse verlängert. Dies als Voraussetzung für künftige Etappen, in denen die Gebiete Altstetten-Mitte und -Süd erschlossen werden sollen. Diese sind von dieser Abstimmung nicht betroffen und werden separat durch die zuständigen städtischen Stellen bewilligt. Dies sind: das ewz, ERZ, das Tiefbauamt und die Energie 360° AG. Letztere versorgt heute einen Grossteil der Liegenschaften in Altstetten und Höngg über das Gasnetz mit Wärme, will sich aber zurückziehen, sobald die Versorgung über Fernwärme gewährleistet ist. Die Gasversorgung soll jedoch noch mindestens 15 Jahre sichergestellt sein.
Gemeinderat hat Vorlage klar angenommen
Am 14. November 2018 hat der Gemeinderat der Vorlage mit 101 zu 14 Stimmen zugestimmt. Einzig die SVP lehnt den Kredit «Energieverbund Altstetten» gänzlich ab. Sie fände die Nutzung von Abwasser zur Gewinnung von Heizwärme zwar grundsätzlich sinnvoll, sieht darin aber ein Hochrisikogeschäft. Sie bezweifelt, dass sich genügend interessierte Haushalte im Gebiet finden lassen, da Heizöl und Gas noch immer günstiger seien. Solche Risiken sollte ihrer Meinung nach nicht der Steuerzahler tragen, sondern eine private Betreibergesellschaft. Die Gründung einer Aktiengesellschaft als gemeinsames Unternehmen des ewz und der Energie 360° AG hatte der Gemeinderat in einer früheren Abstimmung jedoch abgelehnt. Während die übrigen Parteien das Projekt als Teil der Umsetzung der Energieplanung der Stadt Zürich anerkennen und auch die Nutzung von bereits vorhandenen und aktuell brachliegenden Energiequellen befürworten, schliessen auch sie, je nach politischer Färbung, potentielle Schwierigkeiten nicht aus. So sieht die FDP das mögliche Risiko, dass bei schlechter Kundenakquisition keine Amortisation der Kosten gelingt. Weiter kommen die generellen Risiken beim Bau von Grossprojekten hinzu, wie beispielsweise unvorhergesehene Probleme, welche zu zusätzlichen Kosten führen. Ausserdem müssten bei einer Ablehnung der Vorlage bereits getätigte Vorinvestitionen abgeschrieben werden. Die FDP stellt sich gegen einen Anschlusszwang und eine ökonomisch nicht sinnvolle Abdeckung der Spitzenlasten (rund 25 Prozent der Gesamtenergie) durch CO2-neutrale Quellen (Maximalforderungen). Beides ist jedoch gemäss Abstimmungsvorlage auch nicht vorgesehen. Für die Grünen ist offen, ob der «Energieverbund Altstetten und Höngg-West» in Zukunft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben werden kann, da zurzeit unklar ist, wie sich die ganze Energiepreis-Thematik weiterentwickelt und welche Grundlagen zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit beigezogen werden. Die Kosten von 130 Millionen werden von glp kritisch betrachtet. Das Verhältnis zwischen ewz und Energie 360° sei ausserdem weiterhin unklar, auch wenn die Koordination in diesem Projekt gewährleistet ist. Ausserdem könnten die mit dem Projekt verbundenen Bauarbeiten für die Anwohner zumindest zwischenzeitlich zu Unannehmlichkeiten führen. Auf Anfrage äusserte sich der Hauseigentümer Verband Zürich (HEV) grundsätzlich positiv gegenüber dem Projekt, weil eine bereits vorhandene Energie genutzt und das Heizen mit Öl oder Gas reduziert, wenn nicht sogar ersetzt werden könne. Wichtig seien dem HEV, dass kein Bezugszwang entstehe und über einen Ersatz von Gas durch Fernwärme rechtzeitig und umfassend informiert werde. Schliesslich sollen sich die Kosten für die Fernwärme im Rahmen der anderen Energieträger bewegen und allfällige Verluste nicht an den Steuerzahler übertragen werden.
*Anergie
Exergie bezeichnet den Anteil der Energie eines Systems, welcher Arbeit leisten kann. Anergie ist nun der Gegenbegriff hierzu – also Energie, die keine Arbeit leisten kann. (…) Wenn Wärme beispielsweise in Form heissen Wassers in einer Fernwärmeleitung geliefert wird, dann kann diese Energielieferung gedanklich in Exergie und Anergie aufgeteilt werden. Der Exergieanteil ist die Menge elektrischer Energie, die man theoretisch mit einer perfekten Wärmekraftmaschine gewinnen könnte – wobei als zweites Temperaturniveau zum Beispiel die Temperatur der Aussenluft verwendet wird. Die Menge von Anergie wäre dann die gesamte gelieferte Energiemenge abzüglich der Menge von Exergie.
Quelle: https://www.energie-lexikon.info
Mehr zum Thema in der Ausgabe vom 24. Januar. Unter anderem besucht der «Höngger» die Kläranlage Werhölzli.
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