Es gibt (k)ein Dahinter – das Theater 58 wühlte auf

Kritisches, anspruchsvolles, anregendes, aber auch verwirrendes Theater boten am vergangenen Sonntagabend die professionellen Schauspieler und Schauspielerinnen des Zürcher Theaters 58 in der katholischen Kirche Heilig Geist. Gut 150 Personen wollten sich das Schauspiel nicht entgehen lassen. Zu Recht!

Madame Babeline spielte wie das ganze Ensemble eindrücklich.

«Hajo, warum willst du diesen Jesusfilm drehen?», fragt Madame Babeline, die als Choreografin auftritt, den Regisseur und Schauspieler Hajo. Das ist ihm zu Beginn klar: Es geht um das Phänomen Jesus und es soll kein Anti-Jesusfilm werden. Hajo will die Figur Jesus neu, zeitgemäss, weit entfernt vom Mystischen inszenieren. Nicht als «Auferstandenen», sondern als Menschen mit Gefühlen, Wünschen, Neigungen – «so wie du und ich». Keinen Heiligen, sondern einen Jesus, der seine Magdalena liebt. Denn erst die Kirche habe Jesus zum Auferstanden gemacht. Und der Film soll diesen Auferstehungsschwindel aufdecken, einen Schwindel, der bis heute weitergehe und immer wieder Menschen erfasse. Darum muss das Filmprojekt Jesus als einen Menschen «wie du und ich» zeigen.

Jesus sitzt im Publikum

Konsequenterweise ist Jesus im Stück ganz normal gekleidet. Und er sitzt am Anfang im Publikum. Dann tritt er auf die Bühne. Und sagt plötzlich zu Susej, der Hauptdarstellerin und Tänzerin: «Jetzt gehen wir in die zerstörte Stadt!» Und sie weiss überhaupt nicht, wovon er spricht. Es ist doch alles in Ordnung. «Wir sind doch in Zürich. Das ist doch eine tolle Stadt.» Und hier beginnt es, als er sagt: «Schau tiefer!»

«Schau tiefer» – das wird erwartet

«Schau tiefer» – das erwartet Silja Walter, gestorben 2011, die Klosterfrau und Schriftstellerin, die das Stück geschrieben hat, auch von den Schauspielern und den Besuchern. Das ist Walters Thema, die Frage und Suche nach dem Dahinter hinter der Realität, denn man lebt nur im Vorne. Und zwischen diesem Vorne und Dahinter, zwischen dem Jetzt und Damals entwickelt sich auf der Bühne das Spiel.
Hier die Schauspielerin und Tänzerin, die die Magdalena und Geliebte Jesu spielen soll, die beim Lesen des biblischen Textes den Bezug zur Realität verliert, und Babeline, die Choreografin, für die Jesus ein Betrüger, ein Schwindler ist: «Es braucht keine Auferstehung – es geht der Welt besser ohne sie», ist ihre Überzeugung. Dahinter und «immer jetzt» die Person Alef, die als erster und letzter Auferstandener alle Zeitgrenzen durchbricht und Susej die Augen öffnet für das Geschehen damals, als die Toten aus den Gräbern auferstanden sind.
Aus Babeline wird «dahinter» und teuflisch gut gespielt die dunkle Gegenmacht, die das Nichts proklamiert: «Es gibt nichts, nur das Nein! Diese Kloake, dieser Sumpf, diese Nacht ist unser Leben. Das ist hier die Hölle!» Bei Silja Walter gehört in jedem Stück auch das Dunkle dazu, denn: «Es gibt kein Heil ohne ein Unheil. Das ist die Heilsgeschichte», wie sie André Revelly, dem inzwischen 81-jährigen Leiter des Theaters 58, anvertraut hat.

«Glaubst du etwa an die Auferstehung?»

Babeline vertritt die uralte und doch zeitgemässe Leugnung der Auferstehungswirklichkeit und reisst die völlig verwirrte Susej in eine totale Sinn- und Glaubenskrise: «Wo bist du Alef?» Da ist nichts, nur Stille, und Susej ist «wieder eine, die merkt, dass nichts mehr dahinter kommt». Doch wer Susej heisst – man lese den Namen mal rückwärts – bleibt nicht in diesem Abgrund. Bis am Schluss der ermordete Mario – ist er auferstanden oder war er nicht tot? – die Hoffnung laut werden lässt: «Es hat begonnen, alle werden leben in der Stadt ohne Tod!»
Der katholische Pfarreileiter Andreas Beerli und der reformierte Pfarrer Matthias Reuter, die den Theaterabend – oder war es eine Glaubenserfahrung, eine persönliche Begegnung mit der Frage nach der Auferstehung – organisiert hatten, konnten nach kräftigem Applaus sichtlich berührte und nachdenkliche Frauen und Männer verabschieden.

Eingesandt von Matthias Reuter

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