Andres Türler: «Es gab für mich nichts Interessanteres»

In seiner Sitzung vom 16. Mai hat sich der Stadtrat neu konstituiert, und der Höngger Andres Türler ist damit aus dem Amt ausgeschieden. Der «Höngger» hat mit ihm über seine 16 Jahre als Stadtrat und über seine Zukunft gesprochen.

Andres Türler nach der Generalversammlung der FDP10 in Höngg, wo er zum letzten Mal offiziell als Stadtrat verabschiedet wurde.

«Höngger»: Andres Türler, nach einer so langen Zeit, in der Politik und Amt Ihre Agenda bestimmt haben, was ist das nun für ein Gefühl?

Ist schwierig zu beschreiben. Eine Unsicherheit über das, was kommt, besteht schon. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass nicht mehr so häufig fremd bestimmt zu sein auch seine schönen Seiten hat.

Bevor Sie Stadtrat wurden, waren Sie acht Jahre Gemeinderat. Wie empfanden Sie damals den Wechsel von der Legislative in die Exekutive? Veränderte sich Ihre Sicht auf den Politikbetrieb stark?

Meine Sicht auf den Politikbetrieb veränderte sich nicht. Aber was ich mit dem Wechsel ins Profilager unterschätzt hatte, war der Umgang mit der Partei. In der Legislative und der Exekutive spielt man unterschiedliche Rollen, und weil ich als Stadtrat ans Amtsgeheimnis und ans Kollegialitätsprinzip gebunden war, konnte ich mich gegenüber der Partei nicht erklären. Ich wurde von den Freisinnigen kritisch beäugt und musste mich als Parteimitglied in der Anfangsphase wieder neu definieren – auch wenn ich stets alles daransetzte, den Maximen «eigenverantwortlich» und «fortschrittlich» nachzuleben.

Bis zu Ihrem Amtsantritt waren Sie Staatsanwalt in Uster und Zürich. Konnten Sie in Ihrem Amt von dieser Erfahrung profitieren?

Ja sicher. Die als Untersuchungsrichter erworbene Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, um den Sachverhalt zu erkennen und die Zusammenhänge zu verstehen, war mir auch als Stadtrat dienlich. Es gab aber auch einen grossen Unterschied: Als Staatsanwalt durfte mich jedes Gegenüber anlügen. In meinem neuen Amt musste ich wieder lernen, den Leuten zu glauben und zu vertrauen. Das war sehr wohltuend.

Sie waren nun 16 Jahre Vorsteher der VBZ und der industriellen Betriebe, also EWZ und Wasserversorgung. Stand ein Wechsel nie zur Diskussion?

Nein, denn ich durfte einem Departement vorstehen, wo sowohl energie- als auch verkehrspolitisch viele Weichen gestellt wurden. Es gab für mich nichts Interessanteres, als hier mitgestalten und mich für die Versorgung der ganzen Stadt einsetzen zu dürfen.

Was empfanden Sie persönlich als die grösste Herausforderung, die das Amt als Stadtrat mit sich bringt?

Das Bewusstsein, dass ich als Stadtrat eine Verantwortung habe für die vielen Mitarbeitenden, die mir anvertraut sind, und die zum Teil schweren Entscheidungen, die ich treffen muss, raubte mir hin und wieder den Schlaf. In solchen Positionen geht das aber den meisten so. An meine Grenzen stiess ich, als ich stellvertretend auch noch dem Tiefbau- und Entsorgungsdepartement vorstand. Das war zu viel, und ich brauchte längere Zeit, um mich bei laufender Arbeit wieder zu erholen.

Sie haben mit und bei den VBZ und den industriellen Betrieben viel erreicht – welches war Ihr persönliches Highlight und was eher eine Enttäuschung?

Höhepunkte waren für mich die Entwicklung des ewz vom Stromversorger zum nachhaltigen Unternehmen für erneuerbare Energie und Energieeffizienz, der Bau des Trinkwasserstollens zwischen den Reservoiren Lyren und Moos sowie der Ausbau des VBZ-Liniennetzes mit dem Tram Zürich-West und der neuen Verbindung über die Hardbrücke. Eine Enttäuschung ober besser gesagt eine verpasste Chance war aus meiner Sicht die Anbindung der Tramlinie 2 an den Bahnhof Altstetten sowie die Rechtsformänderung des ewz. Ob meine Einschätzung stimmt, wird die Zukunft weisen.

Natürlich ist man Stadtrat der ganzen Stadt – aber liegen einem manchmal nicht die Belange des eigenen Wohnquartiers besonders am Herzen?

Selbstverständlich habe ich bei einem Geschäft zu Höngg oder Wipkingen aufgehorcht, weil ich einfach die Verhältnisse kannte und gut Bescheid wusste. Ich glaube aber nicht, dass ich dabei die Objektivität verloren habe. Das offene Ohr für alle Quartiere und Anliegen konnte ich stets bewahren.

Gab es eine Begegnung mit einem Menschen, die Ihnen besonders in Erinnerung bleiben wird?

Nicht eine einzelne und auch nicht mit einem bestimmten Menschen. Es hat aber immer wieder Begegnungen gegeben, sei es mit Mitarbeitenden oder mit Leuten aus der Bevölkerung, die mich bewegt und ein Glanzlicht in den Alltag gesetzt haben – sei es mit einer helfenden Hand, einem Gruss oder mit aufmunternden Worten.

Was denken Sie, werden Sie nach Ihrem Rücktritt am meisten vermissen?

Da muss ich nicht lange überlegen. Es sind meine Mitarbeitenden.

Bekannt ist, dass Sie sich in Ihrer spärlichen Freizeit gerne auf die Jagd begaben oder sich in Ihre gut ausgerüstete Holzwerkstatt zurückzogen. Haben Sie nun mehr Zeit dafür oder ist die Agenda bereits wieder voll?

Sicher freue ich mich darauf, unbelasteter meiner Passion frönen und auch vermehrt «werkeln» zu können. Primär geht es nun aber darum, die verschiedenen Schichten, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben, abzutragen und aufzuräumen. Was den Beruf angeht, so kann ich meine 16-jährige Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft einbringen, um Gemeinden und private Unternehmen zu beraten. Für einzelne Mandate bin ich schon angefragt worden. Ferner werde ich im Herbst mit einer Mediationsausbildung beginnen. Aber im Vergleich zu früher ist meine Agenda geradezu erfrischend entschlackt.

Herr Türler, besten Dank für das Interview.

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