Energie aus dem Fluss

Wasser ist eine elementare Lebensader. Und das nicht nur für die Versorgung mit Trinkwasser für Menschen, Tiere und Pflanzen, sondern auch für die Produktion von Strom. Auch in Höngg wird Wasserkraft zur Gewinnung von elektrischer Energie genutzt. Ein Besuch auf der Werdinsel.

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Um das Thema Wasserkraft kommt die Fokusreihe Energie nicht herum, schliesslich stellt sie in der Schweiz die wichtigste Stromquelle dar. Momentan (Stand 31.12.2019) besteht der Wasserkraftwerkpark der Schweiz nach Informationen des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen aus 674 Grosskraftwerken (Anlagen mit einer Generatorleistung von über 10 MW), mit welchen pro Jahr durchschnittlich rund 36 567 Gigawattstunden Strom produziert werden.  Dazu kommen noch einmal rund 1000 Kleinkraftwerke. Wie bereits im Artikel über die Solarenergie in der letzten Ausgabe dargelegt, werden rund 2/3 der Strommenge schweizweit durch Wasserkraft produziert, für den Strommix in Zürich beträgt der Anteil der Wasserkraft gar 85,7 Prozent, wie Jens Harenberg, Leiter der ewz-Kraftwerke an der Limmat, im Gespräch mit dem «Höngger» erklärt. «Man kann also durchaus sagen, dass die Wasserkraft das Rückgrat unserer Stromversorgung darstellt», führt Harenberg aus.

Strom für die Stadt

Dabei ist die Wasserkraft auch eine der ältesten gebräuchlichen Energiequellen: Seit dem Jahr 1892 wird Zürich durch das städtische Unternehmen ewz mit Strom versorgt. Das erste Kraftwerk, das der Bevölkerung Strom lieferte, war das Wasserkraftwerk am Letten. Mit dem hier generierten Strom wurde die Beleuchtung der Stadt elektrifiziert. Nur wenige Jahre später, im Jahr 1898, entstand auch in Höngg, auf der Werdinsel, ein Wasserkraftwerk. Dies befand sich allerdings zunächst in Privatbesitz und gehörte zur «Werdmühle». Tagsüber wurde die Mühle mit dem Strom angetrieben, nachts, wenn die Mühle ruhte, wurde das umliegende Quartier mit Strom versorgt. 1974 schliesslich, nach der Stilllegung der Mühle, wurde das Werk an die Stadt Zürich veräussert. Heute produziert es, so Harenberg, mit einer Leistung von 1,2 MW etwa 8,9 GWh elektrische Energie pro Jahr. «Das entspricht in etwa der Menge, die 2200 Haushalte verbrauchen», erklärt er. Waren es zu Beginn drei Turbinen, die je einen Generator betrieben, wird der Strom heute nur noch mit einer grossen Turbine erzeugt, welche einen Generator antreibt.

Wachsender Bedarf

Neben den Kraftwerken Letten und Höngg wird an der Limmat auch in Wettingen Strom produziert. Doch mit der Produktion an der Limmat allein kann die städtische Nachfrage nach Strom natürlich schon längst nicht mehr gedeckt werden. Daher begann das Stromunternehmen, auch ausserhalb des Kantons Strom für die Stadt zu produzieren. Insbesondere in Graubünden wurden grosse Stauseen errichtet, mit denen Speicherkraftwerke betrieben werden können. Für den Transport des hier generierten Stroms wurde eigens eine Leitung bis nach Zürich verlegt. Mittlerweile bezieht ewz Strom hauptsächlich aus den eigenen Kraftwerken in Mittelbünden und im Bergell. In Graubünden, genauer in Sils, steht auch die Zentrale von ewz, von der aus alle Produktionsanlagen, darunter das Höngger Werk, kontrolliert werden.

Ökologie und Naturschutz

Im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energieträgern, so Harenberg, habe die Wasserkraft den Vorteil, dass sie wenig tageszeitlichen Schwankungen unterworfen sei. Zudem sei sie eine sehr effiziente Energieform: «Der Wirkungsgrad der Wasserkraft liegt bei rund 90 Prozent», erklärt Harenberg. Mit diesem Ausdruck wird der Anteil der zugeführten Energie bezeichnet, die in nutzbringende Energie umgewandelt werden kann. Zum Vergleich: Energie aus Gaskraft kommt auf einen Wirkungsgrad von rund 50 bis 60 Prozent.
Doch wie jede Technologie hat auch diese ihre Kehrseiten. Nicht nur der Bau von Stauseen, Wehren und Kraftwerken stellt eine Belastung für die Natur dar, auch der Betrieb führt aufgrund der reduzierten Wassermengen im Fliessgewässer, der Zerschneidung von Lebensräumen und der Veränderung der Fliessdynamik zu folgenreichen Veränderungen der Ökosysteme, wie Naturschutzverbände wie «pro natura» beklagen.

Restwassermenge als wichtige Grösse

Eine wichtige Grösse im Zusammenhang mit dem Naturschutz ist dabei die sogenannte «Restwassermenge». Das ist der Anteil des Wassers, der nicht durch das Kraftwerk läuft, sondern daran vorbeigeleitet wird, um die natürliche Struktur des Flusses zu erhalten. Wie gross die Restwassermenge im Verhältnis zur verwendeten Menge mindestens sein muss, wird kantonal in der Wasserrechtskonzession festgelegt. «Hier in Höngg laufen immer mindestens 20 000 Liter Wasser pro Sekunde durch den Limmatarm, maximal 50 000 Liter pro Sekunde dürfen durch den Kanal geleitet und turbiniert werden», so Harenberg. Damit sollen Fliessgeschwindigkeit und die natürliche Fauna und Flora der Limmat erhalten bleiben. Die Regulation der Wassermenge erfolgt über das Wehr. Für die rund um das Kraftwerk lebenden Fische ist zudem die Fischtreppe von Bedeutung, die Mitte der 80er-Jahre erbaut wurde. Mittels dieser Treppe soll den Fischen, die zum Laichen flussaufwärts schwimmen, der Aufstieg ermöglicht werden.
Dank dieser Massnahmen hat das Höngger Kraftwerk das Zertifikat «naturmade star» erhalten, ein Zertifikat, das vom Verein für umweltgerechte Energie vergeben wird. Neben Restwassermenge und Fischtreppe sind auch Beitragszahlungen an einen Fonds, der die Renaturierung von Gewässern und die Aufwertung von seltenen Lebensräumen für Pflanzen und Tiere unterstützt, eine Bedingung für das Zertifikat. «Pro Kilowattstunde Strom, die wir hier in Höngg produzieren», erklärt Harenberg, «geben wir einen Rappen in diesen Naturschutzfonds.»

Dem Verbrauch mit erneuerbaren Energien gerecht werden

In den kommenden Jahren wird die Bedeutung der Wasserkraft für die inländische Stromerzeugung weiter zunehmen. Zwar sinkt nach Angaben des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen aufgrund von Effizienzsteigerungen und Einsparungen der Pro-Kopf-Verbrauch in der Schweiz seit Anfang der 2000er-Jahre, doch im Zusammenhang mit der Abkehr von fossilen Energieträgern und der zunehmenden Elektrifizierung in den Sektoren Verkehr und Wärme dürfte in Zukunft gleichzeitig auch der Strombedarf ansteigen. Im Hinblick auf die Klimaziele ist demzufolge ein starker Ausbau an erneuerbaren Energielieferanten notwendig. Erst vor wenigen Tagen verabschiedete der Bundesrat seine Vorlage für das «Bundesgesetz über die sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien». Damit will er «den Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energien sowie die Versorgungssicherheit der Schweiz stärken, insbesondere auch für den Winter», so der Wortlaut der Vorlage.

Welches Potenzial bietet die Wasserkraft?

In punkto Wasserkraft ist in der Energiestrategie 2050 laut Informationen des Bundesamtes für Energie vorgesehen, dass mit Erneuerungen, Um- und Neubauten von Kraftwerken die durchschnittliche jährliche Stromproduktion bis zum Jahr 2035 auf 37 400 Gigawattstunden (GWh) und bis 2050 auf 38 600 GWh erhöht wird. In diesem Zusammenhang hat auch das ewz im vergangenen Jahr ein weiteres Kraftwerk in Graubünden erstellt sowie zwei Dotierungskraftwerke, welche die nicht turbinierte Restwassermenge für die Stromerzeugung nutzbar machen können.
Generell ist jedoch nach Angaben von VSE die Kapazität zum Ausbau der Technologie schweizweit ziemlich ausgeschöpft: «Das technische Wasserkraftpotenzial (…) bezeichnet die Energiemenge, die unter Berücksichtigung von technischen Belangen tatsächlich nutzbar ist. In der Schweiz wird dieses auf circa 40 TWh geschätzt, ist aber bereits zu 90 bis 95 % realisiert.» Gerade der Bau grosser Kraftwerke und Staudämme ist im dichten Netz an Produktionsanlagen in den Alpen kaum mehr möglich – nicht nur aus technischen, sondern auch aus ökologischen Gründen. Insbesondere in Bezug auf den Ausbau an kleineren Kraftwerken spielen auch die politischen Rahmenbedingungen und die Förder- und Vergütungsmassanahmen im Spannungsfeld zwischen Gewässerschutz und Stromproduktion eine gewichtige Rolle.
Die Zukunft der Wasserkraft ist daher ein Thema, das kontrovers diskutiert wird. Ob der Bund das Ausbauziel bis zum Jahr 2050 überhaupt wird erreichen können, ist unsicher, wie eine Studie des Bundesamtes für Energie aus dem Jahr 2019 belegt: «Der in der Botschaft zur Energiestrategie 2050 postulierte Aus-, bzw. Zubau bei der Wasserkraft bis 2050 bleibt aufgrund der vorliegenden Analyse unklar.»

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