Einsamkeit im Alter

Mit steigendem Alter wird das soziale Umfeld zunehmend kleiner, die eigene Mobilität lässt nach. Das birgt das Risiko sozialer Isolation und Einsamkeit. Doch was bedeutet Einsamkeit für den Menschen? Was lässt sich dagegen unternehmen?

Die Adventszeit ist jene Zeit des Jahres, in der die Einsamkeit viele Menschen einholt, besonders auch ältere Semester. (Symbolbild: Pixabay)

Sich einsam zu fühlen haben alle schon einmal erlebt. Ein in der Regel sehr unangenehmes und beklemmendes Gefühl. Doch während die Emotion für die meisten nur von kurzer Dauer ist, sind viele ältere Menschen dauerhaft einsam. Das kann gravierende psychische und physische Folgen haben.

Über Einsamkeit zu sprechen ist jedoch nach wie vor ein Tabuthema. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht ganz einfach, dafür aber umso wichtiger. Was ist Einsamkeit genau? Was sind ihre Ursachen, wie wird sie erlebt – und vor allem, was lässt sich dagegen tun?

Allein oder einsam?

«Einsamkeit ist nicht das Gleiche wie alleine sein. Man kann sich auch in Gesellschaft sehr einsam fühlen. Und umgekehrt kann man allein sein, sich aber überhaupt nicht einsam fühlen.» (Nuri, 16 Jahre alt)

Einsamkeit, so definieren Fachleute, ist ein subjektives Empfinden, eine Diskrepanz zwischen den erwünschten und den tatsächlich erlebten Sozialkontakten und stellt eine ungewollte soziale Isolation dar. Sie lässt sich nicht an den bestehenden Sozialkontakten einer Person messen, ist nicht quantifizierbar, sondern qualitativer Natur: Auch inmitten einer Gesellschaft kann der/die Einzelne sich allein fühlen, wenn die sozialen Kontakte etwa nur oberflächlich sind.

Und Einsamkeit ist weitverbreitet. 160 000 Menschen im Alter von über 62 Jahren leiden laut Angaben von Pro Senectute in der Schweiz an ihr. Die zunehmende Vereinzelung innerhalb der Gesellschaft ist in allen Industrienationen ein wachsendes Problem. Grossbritannien etwa hat im Jahr 2018 sogar ein eigenes Ministerium gegen Einsamkeit gegründet, um der Situation besser Herr werden zu können.

Dabei sind es nicht nur die alten Menschen, die betroffen sind – ganz im Gegenteil: Nach Erhebungen des Bundesamtes für Statistik sind es vor allem Teenager und junge Erwachsene zwischen 15 und 24 Jahren, die am häufigsten Gefühle der sozialen Isolation erleben. In höheren Alterskategorien sinkt der Anteil derjenigen, die sich regelmässig einsam fühlen, wieder etwas – bei der Gruppe der über 65-Jährigen sind es «nur» noch 32 Prozent – im Vergleich zu rund 48 Prozent bei den Jüngeren.

Das soziale Umfeld bricht weg

Im höheren Lebensalter nimmt die Einsamkeit wieder zu – und unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von der Problematik der Jüngeren:

«Bei alten Menschen gibt es einen Unterschied: Es fehlt die Hoffnung, dass die Einsamkeit vorbeigeht. Lebenspartner, Freunde und Weggefährten werden krank oder sterben, man hat immer weniger Bezugspersonen», sagt R.E. in einem Interview auf christines-seniorenbetreuung.ch.

Sind es bei den Jungen oft die verschiedenen und sich ändernden Lebensumstände, die Einsamkeit verursachen, ist diese im höheren Lebensalter eher dem Umstand geschuldet, dass das soziale Umfeld zunehmend wegbricht und auch die eigene Mobilität und die Gesundheit nachlassen.

Die Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen, Menschen kennenzulernen, werden immer kleiner – und eine Hoffnung auf Verbesserung der Situation gibt es kaum. Die Pandemie in den vergangenen Jahren, in der soziale Isolation quasi medizinisch verordnet wurde, hat das Problem für viele zusätzlich noch verschärft:

Es begann mit der Pandemie, erzählt R.H.* (Name der Redaktion bekannt). Vorher hatte der 82-Jährige einen kleinen Freundeskreis, man traf sich, eher unkompliziert. Dann kam die «dunkle» Zeit, die Einsamkeit trat in sein Leben. Es fällt Robert schwer, wieder zurück ins Leben zu finden.

Das Gefühl des Ausgeschlossenseins, die Nicht-Teilnahme am sozialen Leben hat nicht nur Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Betroffenen, sondern auch gesundheitliche Folgen. Zahlreiche Studien belegen einen kausalen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Isolation und einer geringeren Lebenserwartung.

Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Demenz und Depressionen ist bei den Betroffenen deutlich erhöht. Ein Problem, das nicht nur jede Einzelne, jeden Einzelnen betrifft, sondern schliesslich die ganze Gesellschaft.

Wege aus der Einsamkeit?

Doch was lässt sich dagegen tun? Was können wir, was kann ein Quartier dazu beitragen, dass sich niemand isoliert fühlt?
Helfen könnte es, meint Eve Bino vom Verein Silbernetz, «öffentliche Begegnungsräume zu schaffen, wo spontane Gespräche einfach möglich sind, Wege zu finden, wie schwer erreichbare Zielgruppen besser angesprochen werden können sowie eine hohe Gewichtung der interprofessionellen Zusammenarbeit und Vernetzung zu schaffen».

Ihr Verein hat mit dem Angebot «malreden» ein Plaudertelefon aufgebaut, «welches älteren Menschen täglich eine niederschwellige Möglichkeit bietet, mit anderen in Kontakt zu treten. Es bietet ein Gegenüber, wenn gerade niemand da ist.»
Ein Gegenüber kann man auch in einem Haustier finden, weiss Sonja Ruckli aus Erfahrung. Im Film «Einsamkeit hat viele Gesichter» (Romana Lanfranconi, Voltafilm) schildert sie, wie sie den Verlust ihres Partners zu verkraften versucht:

«Die Leere kann niemand ausfüllen», sagt Ruckli. Trost fand sie bei ihrer Katze, so sei sie nicht allein, kann diese streicheln, für sie da sein. Und sie besuchte ein Weihnachtsessen für einsame Menschen. Die Skepsis wich der Freude: «Es war ein schöner Anlass», sagt sie.

Dass Tiere positive Effekte auf die Gesundheit haben können, wurde an dieser Stelle bereits thematisiert. Und Anlässe im Quartier können helfen, neue Menschen in ähnlichen Situationen kennenzulernen. Angebote hierzu bieten Organisationen wie die Kirchen, das Rote Kreuz, die Nachbarschaftshilfe Zeitgut, die beiden Landeskirchen und Pro Senectute, um nur einige Beispiele zu nennen (siehe Box). Sie organisieren Begegnungsmöglichkeiten, vermitteln Hilfe in der Nachbarschaft, Tandems für gemeinsame Ausflüge oder Gesprächs- und Bewegungsangebote.

Die Pflege bereits bestehender Kontakte ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, wie R.E. auf christines-seniorenbetreuung.ch erklärt. Der Einsamkeit könne man begegnen, indem man verbliebene Freundschaften sorgfältig pflege und bereit sei, neue Freundschaften zu schliessen.

«Aber es braucht Energie, um sich aufzuraffen, man muss aus dem Haus gehen, sich anstrengen, etwas zu tun

«Einsamkeit hat viele Gesichter» (Romana Lanfranconi, Voltafilm)

Anlaufstellen (eine Auswahl)

Die Kirchen und ihre Angebote
Reformierte Kirche,
www.kk10.ch
Katholische Kirche Heilig Geist,
www.kathhoengg.ch

Pro Senectute Zürich
www.pszh.ch, 058 451 50 00

Genossenschaft Zeitgut
www.zeitgut-zuerich.ch,
077 538 49 93

malreden, Verein Silbernetz Schweiz
0800 890 890, von 9 bis 20 Uhr
www.malreden.ch

Schweizerisches Rotes Kreuz, Zürich
www.srk-zuerich.ch, Unterstützung im Alltag, 044 388 25 25

Fachstelle Zürich im Alter
www.stadt-zuerich.ch/zuerich-im-alter, 044 412 11 22

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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