Einfach wieder sehenswert

La-La-Land? Kann man vergessen. Auch wenn der Musical-Film soeben sechs Oscars abgeräumt hat, gesehen hat man ihn bereits vor der Pause. Das passiert einem bei «Gary’s Nine», der 20. Produktion des Musicalprojekts Zürich 10 sicher nicht. Ausser man geht nicht hin.

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Die letzte Pose und bereit für den Schlussapplaus.
Zugabe auf der Treppe – perfekt bis zum Ende.
Nelly (Tiziana Lockridge) tanzt in «Those Where The Days» zusammen mit den beiden Russen (Sebastian Berroth und Gabriel Maurer).
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Premiere-Abend letzten Freitag, 24. Februar. Wie immer ist der Saal des reformierten Kirchgemeindehauses voll besetzt. Viele junge Leute im Publikum gehören wohl zum Freundeskreis der Darstellerinnen und Darsteller, die nun hinter dem grossen Vorhang bestimmt nervös sind – jedenfalls tigerten sie, wie es von der Redaktion des «Hönggers» aus zu beobachten war, den ganzen Nachmittag aufgeregt durch den Proberaum. Doch Punkt 20 Uhr stehen da plötzlich zwei düster dreinblickende Türsteher vor dem Vorhang, dem imaginären Eingang zur Disco «Golden Globe», um deren Ausraubung sich das ganze Stück dreht. Also Vorhang hoch und Auftritt von Ted (Pascal Schleiss), dem Besitzer des «Globe» und seiner unterkühlten, auch als «Hausdrachen» bezeichneten Geschäftsführerin Nelly. Das Globe ist an der Ladies-Night voll besetzt – das ganze Ensemble ist auf der Bühne – und das Eröffnungsstück «Jump» hält bereits, was der Titel besagt. Auch das Solo von Roshani Sivaratnam, «Song For You», ist hörenswert. Generell gilt an diesem Abend: Der musikalische Leiter, Viktor Szlovák, hat die im Stück vorgegebenen Songs mit dem Ensemble einstudiert, dass es ein Ohrenschmaus ist. Und diesmal fallen die Stimmen nicht hinter der Band zurück, wie es in vergangenen Produktionen leider der Fall war, denn erstmals wurde ein E-Drum verwendet, und die Lautstärke der Band konnte entsprechend reguliert werden. Doch zurück zum Stück: Da will unterdessen Gary, soeben aus dem Gefängnis entlassen, ins Globe, wo gerade «Ladies Night» angesagt ist. Für die Disco ist das der lukrativste aller Abende, doch das Geschäft, so hört man, wird nicht in der Disco selbst gemacht, sondern in den Hinterräumen: dort treffen sich Teds Freunde von der «Russenmafia», um die tanzenden Frauen heimlich zu beobachten, sich welche auszusuchen und diese dann von der Barfrau mit KO-Tropfen betäubt hinter die Bühne bringen zu lassen – Menschenhandel ist das eigentliche Geschäft des halbseidenen Ted. Natürlich schafft es Garry nur kurz an den Türstehern vorbei in die Disco, zu der ja nur Frauen Zutritt haben. Doch die Zeit reicht, um eine Begegnung mit Nelly zu haben. Der Grund für das Knistern zwischen den beiden wird erst nach der Pause gelüftet und es knistert noch oft, bricht Gary die Frauenherzen doch gleich reihenweise.

Garry möchte man sein

Wieder zuhause auf dem Sofa wird Gary von seiner Oma überrascht, die als erstes gleich mal versehentlich mit ihrer Pistole die TV-Fernbedienung erlegt. Debora Schlumpf, die bereits in der letzten Produktion, «Hinz, Kunz und Hundekot», die alte Vreni Oeri spielte, macht auch hier wieder eine gute Figur als wäre sie, abgesehen von der jungen Stimme, tatsächlich eine alte Dame. Doch diese hat es in sich: Um ihrem Lieblingsenkel und Ex-Knacki ohne Jobaussichten doch noch ein besseres Leben zu ermöglichen, hat sie den Plan ausgeheckt, das «Golden Globe» zu überfallen, denn «wer redet schon von Arbeit?», wie sie Gary belehrt. Und sie heuerte dazu auch gleich acht talentierte Frauen an, acht Musen für Gary, und mit Oma zusammen eben «Gary’s Nine», die ihn formidabel mit dem Song «Hello Gary» begrüssen. So auf dem Sofa sitzend, zwischen seinen Musen: Gary möchte man sein! Dann wird mit vereinter Frauenpower der ganze Plan erläutert, wie Discobesitzer Ted die Schlüsselkarte abgeluchst werden soll und wer, wann, wo, was zu tun hat. Reichlich umständlich klingt das und dürfte nicht nur für die Zuschauer zu schnell und kompliziert gewesen sein – ein kleiner Schwachpunkt der Geschichte, doch abgesehen vom Bühnenbild, das für eine Disco etwas zu steril und mit zu wenig Glamour ausgefallen ist, der einzige dieses Abends.

Einige stellvertretend für alle

Und so harrt man als Zuschauer gespannt dem weiteren Verlauf, der – eben ganz entgegen zum oscargekrönten La-La-Land-Streifen – nicht belanglos und absehbar ist. Und das junge Ensemble singt und tanzt sich geradewegs und knapp zwei Stunden lang durch alle Wendungen und Irrungen der Story in die Herzen der Zuschauenden. Um nur noch einige der 25 Darstellenden herauszupicken: Romeo Oliveras gibt den Gary so glaubwürdig, als wäre er im echten Leben selbst ein Filou, was speziell in der Szene zur Geltung kommt, als er mit seiner Muse und Freundin Mel eine «Tussi-Scheiss-Debatte» führt. Joëlle Regli spielt und singt nicht nur die Mel, sondern ist auch für die ganze Choreografie verantwortlich – und alles gelingt ihr auf sehr hohem Niveau. Im Stück als ihre Konkurrentin im Wettstreit um Garys Gunst spielt Julia Sommerhalder die zurückhaltende, unsichere Elektrikerin Polly: Im Duett «Smile» treffen diese zwei verschiedenen schönen Stimmen zusammen, und im Stück «He’s/She’s The One», dort noch mit Gary, deren drei, dass es einem die Nackenhaare aufstellt. Was übrigens auch gilt, wenn die erst 17-jährigeTiziana Lockridge alias Nelly loslegt. Sie sorgt mit Sebastian Berroth und Gabriel Maurer, in den Rollen der beiden Russen, im Stück «Those Where The Days» auch für herrliche Tanzeinlagen und anhaltenden Applaus. Und dann wäre da noch Moira Rodriguez, die die esoterische Muse und ehemalige russische Tänzerin Urania äusserst bewegt gibt, und auch Melina Eisenring, ihr Typen-Gegenstück, mimt die hypochondrische Rundum-Allergikerin Klio herrlich. Oder Marion Hanggartner, welche die erfolglos auf Hochdeutsch zu reimen versuchende Erato so überzeugend bringt, dass man erst in der Dankesrede merkt, dass ihre Muttersprache eigentlich Zürich-Deutsch ist – und wie Alessandra Sablone als Muse Thalia, eine mürrische Bauerstochter in Gummistiefeln über die Bühne stapft, ist einfach köstlich und nur eines von vielen Beispielen, wie diverse Sprüche in diesem Stück ganz ohne Durchhänger für Lacher sorgen.

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Musik, Gesang, Tanz, Schauspiel und Dialoge sitzen bereits am Premiéreabend sehr gut, was bekanntlich nicht selbstverständlich ist. Was sich – zumindest dem Schreibenden – in ihrer Logik nicht so ganz erschliesst, ist, wie bereits beim ersten Auftritt der Musen vermutet, der Plan des Überfalls: Selbst als dieser dann auf der Bühne tatsächlich stattfindet, ist man sich nicht ganz sicher, ob das nun alles so sein sollte oder ob da irgendwo die Technik versagt hat und die Discokugel des «Globe», in der ja alles Geld versteckt ist, nicht doch noch hätte herunterschweben sollen. Was in Filmen wie «Ocean’s Eleven» schon nicht immer funktioniert hat – jedenfalls sobald man sich etwas mehr nach der Logik des Geschehens zu fragen getraut – ist auf einer Bühne eben noch schwerer zu erklären. Und dennoch ist es spannender, einer anspruchsvolleren Handlung zu folgen als einer – siehe La-La-Land – die in zwei langweiligen Sätzen erklärt ist. Zumal wenn man dabei musikalisch, gesanglich, tänzerisch und schauspielerisch auf so gutem Niveau unterhalten wird, wie es zu dieser eigentlichen «Laien-Truppe» gar nicht passen will. Kompliment!

«Gary’s Nine», Musicalprojekt Zürich 10
Reformiertes Kirchgemeindehaus Höngg, Ackersteinstrasse 190.
Letzte Vorstellungen:
Freitag, 3. März, 20 Uhr
Samstag, 4. März, 20 Uhr
Eintritt frei – Kollekte
AUSVERKAUFT ist die Galavorstellung am Sonntag, 5. März, 16 Uhr.
Weitere Informationen: www.musicalprojekt.ch

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