Eine kleine Geschichte des Alters

Alter war früher oftmals gleichbedeutend mit Armut. Erst im Laufe des vergangenen Jahrhunderts entstanden soziale Einrichtungen für Betagte. Heute profitieren auch ältere Generationen von Privilegien, die zuvor der Jugend vorenthalten waren.

Heute möchten ältere Menschen selbstbestimmt und unabhängig leben.
Hauserstiftung: Das Altersheim der Hauserstiftung wurde 1930 eröffnet und war ein Pionierprojekt.
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Bis ins frühe 20. Jahrhundert galt als alt, wer körperlich oder geistig schwach war. Das kalendarische Alter spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Erst mit der Einführung der Renten- und Pensionssysteme wurde «alt-sein» mit einer gewissen Zahl verknüpft. Für finanziell schwächer gestellte Menschen bedeutete Alter sehr oft auch Armut, ein Thema, auf das in einer kommenden Ausgabe eingegangen werden soll. François Höpflinger setzt sich in seinem Artikel «Zur Geschichte des Alters in der Schweiz» ausführlich mit der Thematik auseinander. Er schreibt, dass die Wahrnehmung des Alters immer von einer Zweideutigkeit geprägt war: Einerseits wurde es mit Gebrechlichkeit, Zerfall und Tod gleichgesetzt, andererseits mit Erfahrung und Weisheit in Verbindung gebracht. Dies trug gemäss Höpflinger dazu bei, «dass das Ansehen alter Menschen im Verlaufe der Zeit deutlichen Wandlungen unterlag». So wurden in manchen Gebieten der Alten Eidgenossenschaft im 16. und 17. Jahrhundert ältere Menschen lange hochgeschätzt, so zum Beispiel in den handwerklichen Berufen, wo sie als «Meister» ihre Erfahrung teilten und von den Zünften im Alter noch unterstützt wurden, was das Risiko eines sozialen Abstiegs im Alter reduzierte. Bauern und unqualifizierte Arbeitskräfte hingegen erhielten keinerlei Unterstützung. Dies wirkte sich natürlich auf die Lebenserwartung der verschiedenen Schichten aus: «Ein hohes Alter zu erreichen, blieb denn bis ins 19. Jahrhundert weitgehend ein <Privileg> der Reichen», schreibt Höpflinger.

Privilegien der Jugend auch für die Älteren

Die biologische Lebensspanne der Menschen hat sich eigentlich nie geändert. Alterskrankheiten wie Demenz oder Osteoporose gab es schon immer, nur traten sie seltener auf, weil die Menschen früher starben. Was die effektive Lebensdauer beeinflusste, war die Lebensführung, Ernährung und Hygiene. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand erstmals eine Sozialmedizin des Alters und es wurde zwischen dem «mittleren und dem hohen Lebensalter» unterschieden. Das Ansehen der älteren Bevölkerung in der Gesellschaft unterlag immer einer Art «Trends». Vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit des ersten Weltkrieges, war Jugendlichkeit ein gesellschaftlicher Wert, der von allen, auch von älteren Frauen und Männern, angestrebt wurde. Ein Phänomen, das sich heute noch beobachten lässt. Doch in den 70er-Jahren wurden die Defizit-Theorien des Alters in Frage gestellt und die negative Konotation gemildert. Immer mehr ältere Menschen nahmen Privilegien wahr, die früher der Jugend vorbehalten waren, wie Reisen, Weiterbildungen und Sport.

Der Mythos Mehrgenerationenfamilie

Anders als allgemein angenommen, war das Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach schon im 16. Jahrhundert nur mehr in ländlichen Regionen mit patriarchalen Familienstrukturen üblich. Auch war durch den vergleichsweise frühen Tod der Grosseltern das Zusammenleben in drei Generationen bis ins 20. Jahrhundert hinein eher selten. Neben der hohen Sterblichkeit spielte ab dem 18. Jahrhundert die vergleichsweise späte Familiengründung eine Rolle: Es blieb schlicht weniger gemeinsame Lebenszeit. Dies änderte sich nur Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts, als es vorübergehend häufiger Drei-Generationen-Familien gab. «Die Zunahme in der Zahl von Drei-Generationen-Familien blieb ein vorübergehendes Phänomen (sie hat jedoch den Mythos von der vorindustriellen Grossfamilie geprägt)», schreibt Höpflinger in seiner Arbeit. Die Haushaltssituationen der Älteren waren schon immer divers und abhängig vom sozialen Status. Während auf dem Land – zu dem man Höngg zumindest bis zu dessen Eingemeindung 1934 teilweise zählen kann – in bäuerlichen Kreisen die Versorgung der alten Bauern oder Bäuerinnen im Rahmen der Hausgemeinschaft oft rechtlich geregelt wurde – weit weniger romantisch als weitläufig dargestellt – führten die meisten über 60-jährigen Städterinnen und Städter schon früh ihren eigenen Haushalt und konnten auf ein Angebot und Strukturen – auch dank der erwähnten Zünfte – zurückgreifen, die ihnen bei abnehmender Arbeitskraft eine Existenz sicherten. Dies änderte sich allerdings im 19. Jahrhundert mit dem Niedergang des Handwerks und der Zunftordnung und dem Aufstieg der industriellen Produktion. Der Trend zum selbstständigen Wohnen ausserhalb der Familiengemeinschaft setzte sich in der Nachkriegszeit bis heute fort.

Späte Entstehung von Institutionen der Altersvorsorge

Wie bereits erwähnt, war vor allem für Angehörige der Unterschicht Armut eine unumgängliche Begleiterscheinung des Alters. Während es Armenhäuser und Hospize schon im späten Mittelalter gab, bestand bis ins 18. Jahrhundert keine öffentliche Altersvorsorge. Arbeitsunfähige, aber ansonsten gesunde Betagte, kamen in Hospizen unter. «Tatsächlich nahm im 18. Jahrhundert der Anteil der hospitalisierten Alten vor allem in den Städten zu, unter anderem, weil die Spitäler allmählich besser eingerichtet waren, mit kranken oder pflegebedürftigen Betagten umzugehen». Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entstanden unterschiedliche Einrichtungen wie Alters- und Bürgerheime und es wurde unterschieden zwischen Spital, Pflegeheim und psychiatrischen Anstalten. In Höngg war es die Hauserstiftung, die das erste Altersheim eröffnete. In einer der zahlreichen Mitteilungen der Ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins ist die Geschichte der Stiftung aufgezeichnet. Hier zeigt sich, dass Armenpflege auch Alterspflege war. In einer Sitzung im Jahr 1924 wurde der Bau eines «Altersasyls» mit Hilfe einer Schenkung des ehemaligen Höngger Bürgers und Metzgermeisters Johann Heinrich Hauser von Rüschlikon beschlossen. Der anwesende Präsident der Armenpflege Höngg, Reinhold Frei, regte damals an, dass unbemittelte Bürgerinnen und Bürger dank Zuschüssen der schon bestehenden Schmid-Wörnerstiftung (Siehe Höngger vom 14. Juni 2018) aufgenommen werden sollten, und dass man das Altersasyl in «Altersheim» umbenennen solle. Seine Vorschläge wurden umgesetzt. Der Stiftungsrat besuchte in Folge bestehende Altersheime und Bürgerasyle im Kanton Zürich, um sich ein Bild machen zu können, wie ein solches Heim aussehen könnte. Als das Altersheim der Hauserstiftung 1930 feierlich eröffnet wurde, gab es entgegen der Erwartungen aber noch keine Höngger Anwohnerinnen. Um den Titel «Altersheim Höngg» zu rechtfertigen, «hatte man für eine zwar noch nicht 60-jährige, aber etwas invalide Bürgerin ein Plätzchen offen behalten», heisst es in der Mitteilung. Schon früh war es den Gründern bewusst, dass nicht nur Essen und ein Dach über den Kopf wichtig waren, sondern auch geistige Anregung, welche sie mit Vorlesungen, musikalischen Darbietungen, und Lichtbildervorführungen boten. Damit gehörte die Hauserstiftung zu den Pionieren der Altersvorsorge. Erst 1982 kam mit der Eröffnung des Altersheims Riedhof eine zweite Institution dazu. Dies war Pfarrer Studer zu verdanken, der die Jugendgruppe «Zwinglistube» gegründet hatte und ab 1965 die «Aktion Altersheim Höngg» vorantrieb. Dank der Initiative der Jugend und auch dank des Einsatzes des damaligen und inzwischen verstorbenen Pfarrers Karl Stokar – übrigens Ehemann der von Margrit Stokar von Neuforn, welche ab 1986 Präsidentin der Hauserstiftung war. Pfarrer Stokar wollte den betagten Menschen im Altersheim Riedhof einen Lebensabend in schöner und würdiger Umgebung verschaffen. In den Anfängen war die Pflegeabteilung im 1. Stock eingerichtet, wer krank wurde, musste dorthin verlegt werden. Dies hat sich dank modernen Vorrichtungen in allen Institutionen geändert: Die Anwohner*innen können bis an ihr Lebensende in ihrer jeweiligen Wohnung verbleiben und werden dort gepflegt. Die Stadt Zürich beschloss erst 1950 die Gründung der Stiftung Alterswohnungen, die heute 34 Siedlungen mit insgesamt 2000 Wohnungen umfasst, im Frankental existiert eine solche Siedlung. In den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden viele städtische Alterszentren. Parallel dazu baute die Stadt Zürich acht Pflegezentren, darunter das Pflegezentrum Bombach in Höngg. Schliesslich kam im Oktober 1990 mit dem Tertianum Im Brühl die dritte Altersresidenz ins Quartier. Neben den 95 dreieinhalb- und zweieinhalb-Zimmer-Appartements stehen 21 Zimmer für pflegebedürftige Menschen zur Verfügung. Bekannt und beliebt ist auch das öffentliche Restaurant Am Brühlbach, welches zur Residenz gehört. Inzwischen sind die Betreibenden der Institutionen weggekommen von dem etwas negativ behafteten Ausdruck «Altersheim». Man spricht heute von Residenzen, Zentren oder «Wohnen im Alter».

Wohn- und Pflegebedürfnisse verändern sich

Mit den Babyboomern kommt heute eine geburtenstarke Generation ins Alter, welche sich für neue Wohnformen interessiert. «Neue Wohnformen im Alter gewinnen an Bedeutung, etwa Altershausgemeinschaften oder Mehrgenerationenwohnen. Gegenwärtig zeigt die überwiegende Mehrheit älterer Menschen eine klare Vorliebe für generationengemischtes Wohnen», schreibt François Höpflinger in seinem Bericht «Alter und Altern – wichtige Trends und Versorgungsfragen im urbanen Raum» von 2019. «Laut Age-Report 9 kann sich fast ein Drittel der 65- bis 74-jährigen Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer vorstellen, einmal in einer Hausgemeinschaft zu wohnen, und für 15 Prozent ist es denkbar, einmal in einer Alters-WG zu leben», ist in der Altersstrategie 2035 der Stadt Zürich zu lesen. Und: «Die Nachfrage nach gemeinschaftlichen und insbesondere nach generationengemischten Wohnformen im Alter dürfte in den nächsten Jahren weiter steigen.» Immer wichtiger wird daher auch das Betreuungsangebot zu Hause, man spricht von der «ambulanten» Pflege im häuslichen Umfeld. Die Stadt Zürich tendiert hier zum Szenario «Verlagerung», das davon ausgeht, dass «künftig zehn Prozent weniger Menschen mit einem mittleren bis schweren Pflegebedarf und 50 Prozent weniger Menschen mit einem leichten oder ohne Pflege- oder Unterstützungsbedarf in einem Heim leben werden». Entsprechend würde sich der Bedarf an Pflegeplätzen bis 2035 von heute 6400 um 600 auf 5800 reduzieren. Wie die neue Altersstrategie aussehen soll und wie sie sich finanzieren soll, darüber spricht der «Höngger» in der kommenden Ausgabe mit Stadtrat Andreas Hauri, Vorsitzender des Departements Gesundheit und Umwelt.

Diese Fokusreihe zum Thema «Alter» entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung. Die Stiftung unterstützt vorwiegend in der Stadt Zürich domizilierte Institutionen, die sich für betagte oder behinderte Menschen einsetzen. Sie hat keinen Einfluss auf Inhalt und Form der Artikel genommen.

Quellen:
Hauserstiftung Altersheim Höngg, Mitteilung-Nr. 33 der Ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins Höngg. 1988.
Höpflinger, François: Zur Geschichte des Alters in der Schweiz. 2002. http://www.hoepflinger.com/fhtop/fhalter1A.html
Höpflinger, François: Alter und Altern – wichtige Trends und Versorgungsfragen im urbanen Raum. 2019.
Archiv der Höngger Quartierzeitung

 

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