Eine grosse Liebe zu Lastwagen

Barbara Bernhard braucht immer wieder Veränderung – aber die Motoren sind eine Konstante.

Barbara Bernhard als Lastwagenchauffeurin in «ihrem» Laster.

Lastwagenchauffeurin zu werden, war mein Kindheitstraum. Ich bin in Höngg gross geworden und habe auch meine Lehre als Drogistin hier in der Drogerie Hönggermarkt gemacht. Zur bestandenen LAP schenkte mir mein Vater die Lastwagenprüfung. Ich zog nach Kloten, wo ich weiter als Drogistin arbeitete, und lernte parallel dazu, Laster zu fahren.
Auf der Strasse schaute ich mir die Lastwagen an und fragte mich, ob ich mich als Lastwagenchauffeurin auf den Baustellen wohl durchsetzen könnte. Als Frau stellte ich mir das nicht einfach vor. Aber irgendwann fasste ich den Mut und bewarb mich bei einer Firma. Das war eine mega coole Zeit für mich – und eine super Lebenserfahrung, mich durchsetzen zu müssen. Am Anfang musste ich mich auf den Baustellen nämlich tatsächlich behaupten. In der Drogerie war ich irgendwie behütet, beschützt gewesen, und wenn ich morgens mit meinem Drogerie-Lächeln auf der Baustelle auftauchte, schauten mich nur alle grimmig an. Aber bald kannten mich die Bauarbeiter und sie freuten sich, wenn ich angefahren kam. Es kam höchstens einmal vor, dass mir ein älterer Bauleiter meine Arbeit nicht zutraute. Wenn beispielsweise mein Nein nicht galt, weil es nicht möglich war, eine Mulde so hinzustellen, wie er es wollte. Dann sagte ich jeweils: «Chasch ufesitze und sie sälber anestelle», und er widersprach mir nicht weiter.
Vier Jahre lang arbeitete ich im Winter über meine Firma im Pikettdienst für den Flughafen Zürich, weil ich ja in Kloten wohnte. Dort räumte ich mit einem Achtmeterpflug den Schnee von der Landebahn. Oft kam morgens um 2 oder 3 Uhr ein Telefon, weil es schneite oder Schneegefahr bestand. Das hiess: Aufstehen, Gesicht waschen, losfahren. Das habe ich wahnsinnig gerne gemacht, auch wenn ich in dieser Zeit nicht viel schlafen konnte. «Schneeschlaf» nannte ich diesen leichten Schlummer, während dem ich immer mit einem Telefon rechnete. Bis heute muss ich meinen Wecker nur ganz leise stellen, um davon aufzuwachen.

Die Zeit als Lastwagenfahrerin war schön. Ich hatte eine gute Firma mit einem tollen Team gefunden und hatte Spass an der Arbeit. Aber ich bin ein Mensch, der immer wieder Veränderung braucht. Und als meine Firma an eine grössere verkauft wurde, schaute ich mich nach etwas Neuem um. So kam es, dass ich mich auf dem Flughafen Zürich als Marshallerin bewarb, ohne Erfahrung und ohne grosse Hoffnung. Aber ich bekam den Job! Als Marshallerin fahre ich den Flugzeugen mit dem «Follow me»-Auto voraus, stelle mich dann hin und winke sie ein. Die grossen Maschinen sind schon respekteinflössend. Aber ich winke weniger Linienflüge ein, sondern meistens Privatjets. Die sind zwar kleiner, aber viel schneller. Wenn die landen, denkt man manchmal: uh, kann der noch bremsen? Auf jeden Fall ist meine Arbeit Übungssache, es braucht aber viel Konzentration. Sobald der Controller im Turm der Pilotin funkt: «Follow the Marshaller», habe ich volle Verantwortung über die 60 Meter Spannweite. So habe ich übrigens meinen Mann kennengelernt, er ist Apron Controller am Flughafen Zürich.

Im Moment habe ich wegen Corona natürlich viel weniger zu tun. Statt der üblichen neun arbeiten nur zwei Schichten täglich, also ist man in der Schicht allein. Manchmal landen grad mehrere Flieger nacheinander und dann gibt es eine ganze Weile keine Pause. Sonst ist es aber extrem ruhig: statt der üblichen 700 bis 800 Bewegungen pro Tag haben wir jetzt 20.

Jetzt bin ich schon zehn Jahre als Marshallerin tätig. Aber vor vier Jahren beschloss ich, dass wieder einmal Zeit für etwas Neues sei. Am Flughafen habe ich mein 100-Prozent-Pensum reduziert und die Fahrlehrerausbildung angefangen – und seit Januar 2018 bin ich selbstständige Fahrlehrerin. In der Fahrlehrerschule hatten alle gesagt, zwei Jobs parallel, das gehe doch nicht. Aber für mich ist das eine tolle Abwechslung: Meine eigene Firma zu führen, wobei ich natürlich meist auf dem Beifahrersitz sitze, und dann am Flughafen selbst lenken zu dürfen. Ein cooler Ausgleich, obwohl ich bei beiden Jobs nur im Auto sitze – die Motoren sind geblieben, seit ich Lastwagenfahrerin war.
Seit sieben Jahren lebe ich wieder in Höngg, im Haus, in dem ich aufgewachsen bin – eine Konstante braucht es ja doch. Ich wäre gerne Teil des Vereinslebens hier, aber das erlaubt die Schichtarbeit nicht. Dafür verbindet mich die Arbeit als Fahrlehrerin mit dem Quartier. Über meine jungen Fahrschüler*innen lerne ich es jetzt neu und anders kennen. Als Jugendliche war ich selbst nicht so verwurzelt in Höngg. Es schien mir in verschiedene kleine Quartiere aufgeteilt – den Rütihof etwa, das Vogtsrain oder Am Wasser – und ich bin selbst in einem «Zwischenquartier» aufgewachsen. Meine beste Freundin aus der Drogistenschule und auch mein damaliger Freund kamen aus Kloten, so war ich schon als Jugendliche eher in diese Richtung orientiert. Auch mit meinem Hobby war ich mehr in der Schweiz als im Quartier unterwegs: Ich habe wettkampfmässig Rollkunstlauf gemacht. Unser Highlight war immer das Schaulaufen auf dem Bürkliplatz, wo wir jedes Jahr in der fünften Sommerferienwoche fürs Kinderdorf Pestalozzi sammelten.
Bei Ferien in den USA schenkten unsere Eltern meinen Schwestern und mir Inlineskates. Als Jugendliche war ich dann immer am Monday-Night-Skate dabei. Damals war er noch «illegal», wir waren eine kleine Inline-Clique und skateten vom Bürkliplatz oder der Landiwiese aus durch die Stadt. Heute ist mir der Monday-Night-Skate zu gross. Ich fahre lieber um den Greifensee oder – natürlich! – um den Flughafen. Wenn ich dann dort einen der Flughafenlaster sehe, verdrücke ich manchmal ein Tränli. Die Lastwagen vermisse ich schon. Mein Traum ist, mit meiner Fahrschule irgendwann auch die Lastwagenprüfung anbieten zu können.

In diesen monatlichen Beiträgen werden ganz normale Menschen aus Höngg porträtiert: Man braucht nicht der Lokalprominenz anzugehören und muss auch nicht irgendwelche herausragenden Leistungen vollbracht haben, nein, denn das Spezielle steckt oft im scheinbar Unscheinbaren, in Menschen «wie du und ich».
So funktioniert’s: Die zuletzt porträtierte Person macht drei Vorschläge, an wen der Stab der Porträt-Stafette weitergereicht werden soll. Die Redaktion fragt die Personen der Reihe nach an und hofft auf deren Bereitschaft.
Sollte die Stafette abreissen, sind wir froh, wenn auch Sie uns mögliche Kandidat*innen melden. Kontaktangaben bitte per Mail an redaktion@hoengger.ch oder Telefon 044 340 17 05.

0 Kommentare


Themen entdecken