Ein Zeitzeuge wird belebt

Das Haus an der Limmattalstrasse 281 soll im Sommer durch einen Neubau ersetzt werden. Als es im Dezember schliesslich leer stand, wurde es besetzt. Die jetzigen Bewohner*innen erzählen von ihren Motiven. Die Eigentümerin reagiert.

1
Das besetzte Haus an der Limmattalstrasse. (Foto: dad)

Sie nennen es Casa Ingrid, das Haus an der Limmattalstrasse 281. «Sie», das ist eine Gruppe von Menschen, die das Haus Mitte Dezember besetzt hat. Ingrid hingegen sei, so sagt die Gruppe, die Enkelin des Erbauers gewesen, die «uns sicher Mut zusprechen würde».

Gegenüber der «Höngger Zeitung» waren sie bereit, über ihre Motive und Pläne zu sprechen, mit einer gewissen Zurückhaltung: Sie verraten aktuell nicht, wie viele Menschen ein Zuhause auf Zeit in der Casa Ingrid gefunden haben, noch geben sie ihre Namen preis.

Etwas «lauter» war die Ankündigung der Besetzung in den sozialen Medien: «Besetzt, bewohnt, belebt!» – das vermeldete die Kampagne «Alles wird besetzt» am 7. Dezember auf ihren Kanälen. Man wolle das Haus wieder «beleben», gefolgt von: «Wir bleiben!»

Bleiben wollen sie in einem Haus, das die «Höngger Zeitung» im Juli 2022 als «Zeitzeugen der Zwischenkriegszeit» bezeichnete; es handelte sich dabei um einen Artikel aus der Architektur-Serie. Der klassische Altbau aus dem Jahr 1922, einst erstellt vom Höngger Architekten Jakob Eugen Ernst, verfügt heute über insgesamt drei Wohnungen auf vier Stockwerken. Ende letzten Jahres zog die Mieterschaft aus.

Die Eigentümerin, die Seraina Invest AG in Zürich, will dort ab Juli 2024 einen Neubau errichten. Das Gebäude sei dringend sanierungsbedürftig, nicht mehr behindertengerecht und genüge den energetischen Anforderungen nicht mehr, wie sie in einem Statement mitteilt. Und weiter: «Dort entsteht ein Haus mit 15 Wohnungen, damit wird zusätzlicher Wohnraum geschaffen.»

Die Verhandlungen laufen

«Solange alles friedlich bleibt, verzichten wir auf eine Strafanzeige», teilte die Seraina Invest AG noch im Dezember mit. Man analysiere die Situation und habe das Gespräch mit den Besetzer*innen aufgenommen. Man wolle einen sogenannten Gebrauchsleihvertrag aufsetzen, heisst es. Kurz: Die Gruppe muss die Kosten für Strom, Wasser und Heizung übernehmen.

Sei dies der Fall, könne man ihnen die Räumlichkeiten bis zum Baubeginn überlassen. Dass die Wohnungen bereits im Dezember 2023 leer standen, sei nicht geplant gewesen, wie die Seraina Invest AG schreibt. «Wir haben der Mieterschaft mit einem Vorlauf von eineinhalb Jahren auf Ende Juni 2024 gekündigt, damit alle genügend Zeit haben, etwas Neues zu suchen.»

Dabei wurden die Mietenden unterstützt, schliesslich haben alle Parteien früher als erwartet eine neue Wohnung gefunden. Eine Idee sei es dann gewesen, das Haus bis zum Baubeginn über einen Verein an Bedürftige zur Verfügung zu stellen.

Die Gruppe in der Casa Ingrid bestätigt, dass man noch mit der Seraina Invest AG verhandle. «Wir wollen in gutem Kontakt zur Besitzerin stehen.» So habe man sich nach dem Einzug umgehend gemeldet, ebenso seien die Angaben am Stromzähler dokumentiert worden. «Ab diesem Zeitpunkt werden wir die Kosten übernehmen.»

Ein Café in der Casa Ingrid?

Die Motive der Hausbesetzerinnen sowie der entsprechenden Bewegung sind bekannt: Leerstand ist kein Zustand, lautet der Tenor. Günstiger Wohnraum werde dringend benötigt, ebenso ein unkomplizierter und unkommerzieller Zugang zu kulturellen Angeboten.

Bezogen auf Höngg sagt die Gruppe: «Wir sind eine Konstellation von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen.» Klar sei, dass viele in der Bewegung sich die Mieten in der Stadt Zürich nicht mehr leisten können. Hier fanden sie nun ein Haus vor, das laut der Gruppe «in einem herausragenden Zustand» sei.

Eine Hausbesetzung bringe auch Verpflichtungen mit sich: Es werde erwartet, dass man sich einbringe, im Miteinander, aber auch in der Kommunikation. Es gelte, sich nicht abzuschotten, sondern den Austausch zu fördern. Noch Ende Jahr wurde die Nachbarschaft zum Glühwein-Umtrunk eingeladen. Die Begegnungen seien erfreulich gewesen.

Die Gruppe nimmt sich nun vor, in den nächsten Wochen ein Café im Haus einzurichten, einen unkommerziellen Ort im Quartier, wo man sich treffen kann. In einem ersten Schritt lade man zu Kaffee und Kuchen ein. Und sobald es wärmer werde, soll auch der grosse Garten des Gebäudes genutzt werden. Man sei sich zudem bewusst, dass man sich in einem Wohngebiet befinde, übermässigen Lärm soll es nicht geben.

Die Meinungen über die neue Hausbesetzung sind laut Zuschriften an die Redaktion der «Höngger Zeitung» geteilt. Ausser den Transparenten und Fahnen am Haus bemerke man nichts, so eine der Stimmen. «Eine Frechheit, wir müssen auch Miete zahlen», lässt hingegen eine andere verlauten, die Rechtslage spreche schliesslich von einem Hausfriedensbruch (siehe unten).

Sie seien sich bewusst, was eine Besetzung auslösen könne, sagt die Gruppe. Sie erinnert aber auch an die ehemaligen Mieter*innen, die man kurz kennengelernt habe. Das Zusammentreffen sei wertschätzend gewesen.

Und so kam auch die Frau namens Ingrid ins Spiel, deren Bild schon lange vor der Besetzung im Treppenhaus angebracht war. Auf die Bitte eines ehemaligen Mieters wurde es dort hängen gelassen.

Hausbesetzung: die Rechtslage

Eine Hausbesetzung gilt als Hausfriedensbruch (Tatbestand Artikel 186 des Schweizerischen Strafgesetzbuches). Dieser Tatbestand wird als Antragsdelikt klassiert, folglich kann die Polizei nur handeln, wenn ein Strafantrag vorliegt. Geht aber eine Anzeige ein, prüft die Polizei geeignete Massnahmen zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands. Voraussetzungen dafür sind neben dem gültigen Strafantrag einer der drei folgenden Sachverhalte: eine Abbruch- oder Baubewilligung, eine rechtmässige Neunutzung oder der Denkmalschutz sowie die damit verbundene Sicherheit. (Quelle: Merkblatt «Hausbesetzung» in der Stadt Zürich)

1 Kommentare


Szalatnay Andy Sek Lachenzelg 1963 bis 1966. Turner im TV und Jungschütz. 1970 zog ich weg nach Luzern wegen dem Studium.

11. Januar 2024  —  17:32 Uhr

Ja das ist schade. Den Lauf der Zeit können wir nicht stoppen. Unsere Generation muss lernen auch von den Häuser und nicht nur von den Kameraden abschied zu nehmen. Das Lied die «alten Häuser noch..» muss leider umgeschrieben werden.
Meine Eltern liegen auf dem Hönggerberg, und immer beim Besuch von Höngg staune ich was sich alles verändert hat. Teils auch zum Guten muss festgehalten werden. Besten Gruss vom Bodensee meiner neuen «Heimat» seit 45 Jahren.

Themen entdecken