Ein Stadtführer der anderen Art

Yves und François G. Baer erzählen in ihrem reich bebilderten neuen Buch «Die Zürcher Altstadtkirchen» die Zürcher Stadtgeschichte einmal anders. Es sei auch jenen ans Herz gelegt, die sich sonst nicht für Kirchen interessieren.

Es ist der Untertitel, der den Hinweis darauf gibt, was alles in diesem Buch steckt, dass das Vater-Sohn-Gespann François G. und Yves Baer in zweijähriger Arbeit geschrieben und gestaltet hat. «Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten» enthält den Stoff, aus dem heutige Historienserien sind. Den Einstieg bildet ein Überblick zur Geschichte der Region Zürich, die vor rund 6500 Jahren zum ersten Mal besiedelt wurde. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass die ältesten Siedler in Zürich zum keltischen Kulturraum gehörten, davon zeugen die Festung auf dem Uetliberg und die befestigte Siedlung auf dem Lindenhof. So ist auch die Bezeichnung «Zürich» keltischen Ursprungs, Sie stammt vermutlich vom Ausdruck turos, stark. Später wurde sie von den Römern in «Turicum» lateinisiert. Als diese um das Jahr 400 nach Christus wieder abzogen, besiedelten die Alemannen die Ostschweiz und auch Zürich gehörte später zum Bistum Konstanz, das zu Beginn des siebten Jahrhunderts vom alemannischen Herzog Gunzo gegründet worden war.

Als es im Fraumünster noch Adlige gab

Im achten Jahrhundert wird die Stadtgeschichte erstmals fassbar. Zürich hatte aufgrund seiner Lage an der Nord-Süd-Handelsroute und am See an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen. In der ältesten erhaltenen Zürcher Urkunde von 853 überschrieb Ludwig der Deutsche, ein Enkel Karls des Grossen, seiner Tochter Hildegard die damals bereits bestehende Abtei Felix und Regula, aus der sich das Fraumünsterkloster entwickelte. Ludwig integrierte sie in den Königshof und gab ihr eine eigene Gerichtsbarkeit. Die Stiftsdamen des Königsklosters waren nicht nur Nonnen, sondern hochadelige, unverheiratete Frauen mit ihrem Hofstaat. Das Kloster verwaltete die königlichen Ländereien im Elsass, im heutigen Kanton Zürich und in der Innerschweiz. Die Adelsdamen gaben regelmässig rauschende Empfänge, Könige und andere wichtige Persönlichkeiten wurden von der Äbtissin ins Kloster eingeladen. Da das Fraumünster aus bislang ungeklärten Gründen in Sumpf und Schwemmland gebaut worden war, dürfte das eher eine feuchte Angelegenheit gewesen sein, Überschwemmungen bei Hochwasser waren an der Tagesordnung. Dasselbe galt übrigens auch für die Wasserkirche, die rund 1000 Jahre lang quasi in der Limmat stand und auch heute noch auf einer Insel steht. Und obschon anzunehmen ist, dass die jeweilige Äbtissin politisch bewandert war, realisierte die im Jahr 1386 amtierende Stadtherrin nicht, was auf sie zukommen würde: Nur wenige Tage vor der Schlacht bei Sempach gab sie noch einen grossen Empfang für die Habsburger. Diese Schlacht aber – eine von mehreren Befreiungskriegen gegen die habsburgische Feudalherrschaft – wurde bekanntlich von den Eidgenossen gewonnen. In der Folge verlor die Fraumünsterabtei ihre Ländereien in der Innerschweiz und in Habsburg – und das hohe Ansehen bei den Urnern. «Der Eintritt Zürichs in die Eidgenossenschaft 1351, vier Belagerungen durch die Österreicher und den Kaiser sowie der Sempacherkrieg mit seinen Folgen machten aus der einst stolzen Königsabtei ein stilles Frauenkloster, zwar respektiert, aber ohne politische Bedeutung und Autorität.», schreiben die Autoren Baer. 1524 wurde das mittlerweile verarmte Kloster schliesslich aufgelöst und die Kirche umgenutzt. Die letzte Äbtissin, Katharina von Zimmern, übergab im Zuge der Reformation alle Rechte und Eigentümer an den Rat von Zürich. Als Bürgerin der Stadt heiratete sie ein Jahr später Ritter Eberhard von Reischach. Die politische Stellung der Bürger war zu dieser Zeit zwar erstarkt, allerdings waren mit «Burger» nur reichsunmittelbare Fernkaufleute und zu Reichtum gelangte Bürgerfamilien gemeint. Handwerker und Leibeigene, sowie zugewanderte Vertreter jüdischer und lombardischer Minderheiten blieben weiterhin ohne Rechte.

Auch ein Bilderbuch

Jeder der sieben Stadtkirchen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, und jede von ihnen steht für eine bestimmte Epoche. Beleuchtet werden Baugeschichte, Gründungslegenden und individuellen Nutzungen der Sakralbauten. Kunsthistorisch Interessierte werden sich an den Bildern der Fresken, Kapitelle, Wandmalereien und Kirchenfester erfreuen. In die Kapitel eingeflochten finden sich im Zusammenhang stehende Themen, wie der Prozessionsweg, die Zürcher Bibel oder die Legende der Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius. Und obwohl es in der Zürcher Stadtgeschichte keine Helden im klassischen Sinne gibt, widmen die Autoren einigen wichtigen Persönlichkeiten ihre Aufmerksamkeit. Dass es sich dabei fast ausschliesslich um Männer handelt, ist zwar schade, aber wohl dem Geist dieser Zeit verschuldet. Mit der Beschreibung der Entstehung und Bedeutung der Sakralbauten wird immer auch die Zürcher, Schweizer und Europageschichte mit erzählt. Bilderreich wird die Entwicklung Zürichs von einer Staatstadt zu einer Kleinstadt bis zur Metropole, die sie heute ist, aufgezeigt. Vieles scheint fast vergessen, wie die vielen Kriege, in die Zürich involviert gewesen war, mal auf der Seite der Habsburger, mal gegen sie. Die Reformation bildet ein Kernkapitel im historischen Überblick. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Stadt zu einem sittenstrengen Ort geworden. Es wurde immer schwieriger, das Stadtzürcherische Bürgerrecht zu erlangen, die Landbevölkerung hatte so gut wie kein Mitspracherecht, durfte keine Zünfte gründen und bestimmte Berufe, wie Lehrer oder Pfarrer, nicht ausüben. Während sich im Nachbarland die Revolution anbahnte und der Unmut auf dem Land wuchs, blühte in Zürich die Kultur auf, stark geprägt von der Aufklärung, die ganz Europa erfasst hatte. Diese Epoche brachte zahlreiche Philosophen, Kulturschaffende und Künstler hervor, neben Johann Jakob Bodmer, Literaturkritiker und Geschichtsprofessor, auch den Maler Johann Heinrich Füssli oder den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi – auf eine originelle Namenswahl schien man in dieser Zeit wahrlich keinen Wert gelegt zu haben. Doch der Geist der Französischen Revolution hatte die ländliche Oberschicht ergriffen. Im «Stäfner Memorial» forderten dessen Autoren 1794 unter anderem die Gleichstellung aller Bürger, Gewerbe- und Bildungsfreiheit, und vor allem: Eine Verfassung nach französischen Vorbild. Darauf wollte sich die Regierung nicht einlassen: Sie besetzte Stäfa und die Seegemeinden zwei Monate lang militärisch und liess die politischen Anführer verhaften. Erst als 1798 die Franzosen in die Alte Eidgenossenschaft einmarschierten, wurde auch in Zürich die herrschende Ordnung gestürzt, ab 29. März desselben Jahres galt die Helvetische Verfassung, der sich auch die Stadtzürcher zu unterwerfen hatten. Nun hört die Geschichte hier natürlich nicht auf. Doch alles sei nicht verraten. Nur so viel noch: Ein paar Aha-Momente sind gewiss.

Die Zürcher Altstadtkirchen. Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten. Seitenanzahl: 256. Abbildungen: 614. ISBN: 978-3-03810-438-4. 34 Franken. Auch erhältlich im Infozentrum, Meierhofplatz 2.

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