ETH Hönggerberg
Ein neues Stadtquartier entsteht
Mit dem Bau- und Entwicklungsprojekt «Science City», das 2003 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sollte der ETH-Campus am Hönggerberg zum Stadtquartier für Wissenschaft und Forschung avancieren.
28. März 2018 — Patricia Senn
Die Geschichte der ETH Hönggerberg endete im letzten «Höngger» mit der dritten Ausbauetappe 2004, deren Ausschreibung die Architekten Mario Campi und Franco Pessina 1990 gewonnen hatten. Das von ihnen entworfene Chemiegebäude HCI bildete einen eigentlichen Bruch mit dem ursprünglichen städtebaulichen Leitbild des Architekten und Städteplaner Albert Heinrich Steiner. Dieser bekämpfte das Projekt entsprechend bis vor Bundesgericht, seine Klage wurde jedoch 1994 abgewiesen. Marcel Knörr, Architekt in Höngg und Alt-Gemeinderat, erinnert sich, dass das HCI Gebäude ursprünglich als 252 Meter langer Riegel vorgesehen gewesen war. «Damals kämpfte ich als Vertreter des Quartiervereins zusammen mit Ernst Cincera und zwei Professoren dagegen an. Wir fanden die Erweiterung gut, aber nicht in dieser Form. In direkten Gesprächen mit der ETH konnten wir erreichen, dass man den Raum zwischen den fünf Fingern geöffnet hat und so der Blick in die Alpen von innen heraus frei wurde. Ausserdem sollte es in der Silhouette nicht so hoch in Erscheinung treten. Das war ein grosser Erfolg für uns, so wurde das Gebäude auch für das Landschaftsbild verträglicher». Mit der Eröffnung des Chemiegebäudes und dem Einzug der Chemie, des Departements Materialwissenschaft, der pharmazeutischen Wissenschaften und dem Institut für Mikrobiologie fand der Ausbau 2005 vorerst einen Abschluss.
Stadtquartier für Wissens- und Denkkultur
Aus den Widerständen gegen die 3. Ausbauetappe zog die Hochschule ihre Lehren und bemühte sich in der Folge, die Anwohner der Anrainerquartiere Höngg und Affoltern in die weitere Planung miteinzubeziehen. 2003 war die Vision «Science City» erstmals öffentlich vorgestellt worden. Es handelte sich dabei um ein Bau- und Gestaltungsprojekt der ETH Zürich, welches die Grundlage dazu bieten sollte, die ehemalige Aussenstation ETH Hönggerberg zu einer «Drehscheibe des Wissens mit nationaler und internationaler Ausstrahlung und für den Dialog von Wissenschaft, Bevölkerung und Wirtschaft werden zu lassen». Durch die Verknüpfung von Leben und Arbeiten würde ein neues «Stadtquartier für Wissens- und Denkkultur» entstehen und der inzwischen auf 9’000 Mitarbeitende und Studierende angewachsene Standort zu einem 24-Stunden-High-Tech-Campus ausgebaut werden. Nach einer ersten Informationsveranstaltung im November 2003 organisierte die ETH Leitung im darauffolgenden Frühjahr die beiden Workshops «Futurelab» und «Designlab», an denen rund 80 Personen die verschiedenen Aspekte der Vision «Science City» diskutieren konnten. Zu den Teilnehmenden gehörten sowohl ETH-Angehörige als auch die lokale Bevölkerung und die Quartiervereine Höngg und Affoltern. Eine der vorgestellten Thesen sah den Hönggerberg zum «In-Quartier» avancieren, am 25. März 2004 schreibt der «Höngger»: «Überhaupt nimmt die Begegnung mit der Gesellschaft und der Kontakt mit den Anwohnern von Science City in den meisten Ansätzen eine zentrale Stellung ein». In seiner Begrüssungsrede an einem öffentlichen Brunch, an welchem vier verschiedene Entwicklungsvorschläge präsentiert wurden, die in den offenen Workshops von Architektenteams erarbeitet worden waren, liess der ehemalige ETH-Vizepräsident für Planung und Logistik Gerhard Schmitt die rund 100 Gäste wissen, dass die ETH «(…) die kritischen Stimmen, Sorgen und Befürchtungen der Bevölkerung sehr ernst [nimmt]. Wir wollen sie als Rahmenbedingungen aufnehmen. Wir wünschen uns aber auch konstruktive Vorschläge und Ideen, wie Science City zu einem Ort der Begegnung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft werden könnte».
Angst um Naherholungsgebiet
Aus den parteilichen Reihen wehrten sich damals vor allem die Grünen und Teile der SP gegen das Bauvorhaben auf dem Hausberg der Höngger, erinnert sich Marcel Knörr, der damals den Gemeinderat präsidierte. Er selber war und ist noch heute der Meinung, dass die ETH für das Quartier ein Gewinn und eine Chance sei und unterstützte deshalb die massvolle Erweiterung des Campus. «Weil eine Stadtentwicklung aber auch rollend ist, muss man manchmal einen Kompromiss eingehen und etwas akzeptieren, weil es nötig ist», meint Marcel Knörr, der selber auch am Mitwirkungsprozess beteiligt war.
Dennoch befürchteten damals einige, dass das beliebte Naherholungsgebiet komplett verbaut würde. Im Herbst 2004 reichte die AG Pro Grüner Hönggerberg eine Petition ein mit der Bitte an alle involvierten Verantwortlichen, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, damit die Naherholungszone erhalten bliebe. «Science City in der heute bekannten Form als neuer Stadtteil auf dem Hönggerberg darf nicht gebaut werden». 2006 antwortete der Stadtrat ausführlich auf den Antrag und verwies auf die im Laufe des Jahres 2005 in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen entwickelten Sonderbauvorschriften und Gestaltungsprinzipien, die zu dieser Zeit öffentlich auflagen. Die hauptsächlichen Änderungen beträfen die Nutzungsmöglichkeiten auf dem Areal, so sollten neu auch Wohnungen und gewerbliche Nutzungen erlaubt sein. Die Sonderbauvorschriften würden den bereits bestehenden Perimeter der Zone für öffentliche Bauten gemäss Bau- und Zonenordnung betreffen und kein zusätzliches Baugebiet beanspruchen. «Die umgebende Freihaltezone wird in ihrer Funktion und Qualität als Naherholungsgebiet erhalten und soll gestärkt werden», versicherte der Stadtrat in seinem Schreiben. Im Januar 2007 stimmte der Gemeinderat den Sonderbauvorschriften für das Gebiet ETH Zürich, Standort Hönggerberg mit 107 zu 1 Stimme zu.
Zugang auch für die Bevölkerung
In der Zwischenzeit hatte Kees Christiaanse, ETH-Professor für Architektur und Städtebau, den «Masterplan Science City» vorgelegt, mit dem die Vision konkret werden sollte. Der Einbezug der einzelnen Nutzergruppen habe dazu beigetragen, dass das Projekt jetzt einen starken, politischen Rückhalt geniesse, erklärte Gerhard Schmitt an der Präsentation 2005. Auch mit der AG «Pro grüner Hönggerberg» sei man inzwischen in einem sachlichen Dialog. Laut Christiaanse sollten die Gebäude den Plätzen, Innenhöfen und Gassen untergeordnet sein. Neben architektonischen Themen gäbe es noch 13 weitere Schwerpunkte, welche auch für Nicht-ETH-Angehörige zugänglich seien, wie zum Beispiel der studentische Wohnraum, das Konzept «Sport für alle», das Lern- und Begegnungszentrum mit der Bibliothek 21, und die Alumni Lounge. Allerdings seien dies Inhalte, die vom Bund nicht finanziert würden, weshalb man auf der Suche nach Investoren sei. Das Interesse in der Bevölkerung schien derweil abzunehmen, an einer Informationsveranstaltung im September 2008 nahmen nur noch 25 Anwohner teil. «Die Errichtung eines Campus, wo Studenten nicht nur lernen, sondern auch wohnen werden, ist kein grosses Thema in Höngg», und die ETH habe auch nicht mit einem grossen Ansturm gerechnet, schrieb der «Höngger» anschliessend.
Vieles, aber nicht alles wird realisiert
Nicht alle Projekte kamen tatsächlich zustande. So wurde ein auf dem Dach des Physikgebäudes geplantes Gästehaus, welches ein Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten für die zahlreichen akademischen Besucher der ETH umfassen sollte, auch aus finanziellen Gründen nie umgesetzt. Ein halbes Jahr nach der Eröffnung des «Branco Weiss Information Science Laboratory» wurde im Frühjahr 2009 das neue Sportzentrum eingeweiht, welches ein erstes greifbares Resultat der Umsetzung des Masterplans sein sollte, das auch Vereinen aus den umliegenden Quartieren zur Verfügung stehen würde. Der Bau wurde unter anderem durch eine Schenkung der ZKB von 12 Millionen Franken ermöglicht. Doch bereits kurz nach der Inbetriebnahme wurde klar, dass die Kapazität des Sportzentrums alleine durch die ETH-Angehörigen mit 900’000 Eintritten pro Jahr schon ausgelastet war. Dafür konnte bereits 2010 die Alumni Lounge eröffnet werden. Zwischen 2013 und 2015 entstand sozusagen vor den Toren der ETH, respektive gegenüber des HCI Fünf-Finger-Gebäudes das Büro- und Seminargebäude HCP, dessen Struktur sich relativ flach und stufenförmig an den Hügel angepasst hat. Ursprünglich war dort ein Container-Provisorium vorgesehen gewesen, das nur einen Drittel der heute beanspruchten Fläche eingenommen hätte. Die Mensen im Chemie- und im Physikgebäude wurden entsprechend dem neuen Gastronomiekonzept der ETH umgebaut. Im sogenannten «Foodmarket» der Physiker stehen den Studierenden 605 Plätze zur Verfügung, es gibt drei verschiedene Theken, wo sie sich wahlweise vegetarisch, fleischhaltig oder mit Pizza verpflegen können. Das Gebäude HPR, in dem sich diese Mensa befindet, «sowie weitere Gebäude aus der Zeitperiode 1960 bis 1980 auf dem Campus Hönggerberg wurden im August 2013 in das Inventar der schützenswerten Bauten und Gärten aufgenommen», ist auf der Homepage der ETH nachzulesen.
Studierende ziehen auf den Berg
Neben anderen Bauten waren die Wohngebäude wohl am sehnlichsten erwartet worden, schliesslich ist eine «City» ohne Wohnungen keine richtige Stadt. Im August 2016 war es schliesslich soweit: Die beiden Gebäudegruppen HWO und HWW mit Platz für rund 900 Studierende waren pünktlich zu Semesterbeginn bezugsbereit, die Kinderkrippe «kihz Feyerabend» wurde mit 50 Plätzen eröffnet. Auch die seien theoretisch für die Quartierbevölkerung zugänglich, allerdings könne diese nicht von den Subventionen profitieren, hiess es an einer Informationsveranstaltung zur Einweihung. Unten im Quartier ist vom grossen Ansturm junger Menschen nicht viel zu merken, wenn man von den stark ausgelasteten Bussen einmal absieht. Es scheint nicht viele Gründe zu geben, vom Berg herunter zu kommen – immerhin werden die elementarsten Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und etwas Unterhaltung auf dem ETH Campus gut abgedeckt. In Höngg selber scheint man nicht sonderlich erpicht darauf zu sein, die Studierenden ins «Tal» zu locken, Angebote für Leute zwischen zwanzig und dreissig fehlen gänzlich und die meisten Wohnungen können sich höchstens Professoren leisten. Dass es lukrativ sein könnte, diese Marktlücke zu schliessen, scheint hier niemanden wirklich zu kümmern. Architekt Marcel Knörr sieht heute immerhin eine zaghafte Annäherung zwischen den Anwohnenden, wenn auch etwas einseitig: «Die ETH organisiert Veranstaltungen für die Bevölkerung wie den <Treffpunkt Science City>. Jetzt müssten auch wir noch etwas unternehmen, damit die Studierenden und Mitarbeitenden der ETH öfter ins «Dorf» kommen, sei es in die Restaurants, für Einkäufe oder Anlässe wie das Wümmetfäscht», meint er.
Am 14. Dezember 2016 hat der Stadtrat dem Masterplan «Campus Hönggerberg 2040» zugestimmt, der auf der Grundlage des Masterplans «Science City» aufbaut. Was der neue Plan beinhaltet und inwiefern er sich die Sonderbauvorschriften von ihren Vorgängern unterscheiden, darüber berichtet der «Höngger» in einer kommenden Ausgabe.
Bereits erschienen:
15. März, «Als die ETH nach Höngg kam»
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