Sport
Ein Leben auf Fechtbahnen
Die 18-jährige Hönggerin, Alessandra Luna, hat einen sehr grossen Teil ihres Lebens in Fechthallen verbracht. Ihr Traum ist es, mit ihrem Degen an der nächsten Fecht-Weltmeisterschaft anzutreten – und dafür gibt sie alles.
21. November 2018 — Lara Hafner
Leichtfüssig umtänzeln sich die Gegner, jederzeit bereit, einen Angriff zu parieren oder selber überraschend nach vorne zu schnellen. Die Waffen prallen aufeinander, einer greift an, der andere weicht zurück, macht ein paar schnelle Schritte, nur, um gleich darauf zurückzuschlagen. Eine der Lampen leuchtet auf, jemand wurde getroffen und beide nehmen wieder ihre Ausgangsposition ein. Diesen Tanz, der Teil einer historischen Kampfsportart mit Degen, Säbel oder Florett ist, tanzt die Hönggerin Alessandra Luna schon seit dreizehn Jahren. Sieben Mal konnte sie den Schweizermeistertitel mit nach Hause nehmen, und ihre Ziele sind noch um einiges höher. «Man konzentriert sich beim Fechten überwiegend darauf, was der Gegner macht. Aus seinen Bewegungen muss ich lesen, wie ich ihn angreifen soll und wie ich ihn schlagen kann.» Am langen Holztisch der «Höngger»-Redaktion, erzählt sie von ihrem Hobby und davon, wie sie es schafft, Ausbildung und Fechten unter einen Hut zu bringen.
Wie kann man alles gleichzeitig schaffen?
«Beim Fechten ist der ganze Körper im Einsatz, die Konzentration ist extrem wichtig. Man benötigt eine gute Strategie und Technik, Schnelligkeit und Beweglichkeit, darauf legt man auch im Training einen grossen Fokus. Daneben braucht man natürlich Muskeln und Ausdauer.» Alessandra trainiert achtmal in der Woche. Das Wochenende nicht mitgerechnet, dann finden die Wettkämpfe statt. Daneben macht sie eine kaufmännische Lehre im Kinder- und Jugendzentrum (KIZ) in Regensdorf und ist jetzt im vierten Lehrjahr. Wie sie das alles gleichzeitig schafft? «Ich besuche die «UNITED school of sports», eine Berufsschule, die es ihren Schülern ermöglicht, daneben ihren zeitaufwändigen Leistungssport auszuüben. Mit dieser habe ich quasi einen Sportlervertrag und kann kommen und gehen wie es mein Training und meine Turniere zulassen. Verpasste Zeit kann ich ohne Probleme nachholen.» Schon der ehemalige Torhüter der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft, Diego Benaglio, hat es dank dieser Möglichkeit bis ganz weit nach oben geschafft, ohne auf einen Lehrabschluss zu verzichten. In den ersten zwei Jahren ihrer kaufmännischen Ausbildung, besuchen die Schüler etwa 22 Stunden in der Woche die Berufsschule. Daneben können sie sich ihrem Spitzensport widmen. Die zwei letzten Jahre finden im Betrieb statt, mit einer Anstellung von 50 Prozent haben die Lernenden ebenfalls die Möglichkeit, viel zu trainieren und sich ihre Zeit selber einzuteilen. «Mit einer normalen Lehre hätte ich meine Leidenschaft niemals in diesem Umfang ausüben können», ist Alessandra überzeugt. Schon nach der Primarschule hat sie sich gemeinsam mit ihren Eltern für die Sportsekundarschule entschieden, die nach dem gleichen Prinzip funktioniert.
Knie OP vermasselt WM-Antritt
Seit ihrem ersten Fechtjahr nimmt Alessandra an Wettkämpfen teil und will hoch hinaus. Bereits an ihrer ersten Schweizermeisterschaft, bei den ganz Kleinen, konnte sie den Sieg für sich entscheiden, und seither ging es erfolgreich weiter. Momentan fechtet sie in der Mannschaft U20 an den Weltcups, nur einen Schritt entfernt von der Elite, der sie gerne angehören würde. Ihr nächstes Ziel sind die Fechtbahnen der Europa- und Weltmeisterschaft. «Ich trainiere seit einigen Jahren für diese grossen Turniere, als ich aber das erste Mal antreten wollte, kam mir leider eine Knie-Operation dazwischen.» Die Schmerzen seien langsam gekommen, hätten bei Alessandra jedoch schon mit zehn oder elf Jahren begonnen. Keine Kühlung, Cremes und Tabletten hätten zur Besserung beigetragen, und da sie sich gerade in der Vorbereitungsphase auf die wichtigen Wettkämpfe befand, konnte sie nicht einfach aussetzen. Schliesslich wurde bei ihr Morbus-Osgood-Schlatter diagnostiziert, eine schmerzhafte Reizung am Ansatz der Kniescheibensehne. Diese tritt häufig aufgrund trainingsbedingter Überbelastung auf. «Knieprobleme sind im Fechten die häufigsten Beschwerden, aber auch bei uns in der Schule hat immer jemand Krücken oder einen Gips. Das ist bei Sportlern einfach so», lacht Alessandra. Setzt sie deshalb auf zwei Schienen und macht daneben noch eine Ausbildung? Weil es jederzeit mit dem Sport vorbei sein könnte? Nein, mit Fechten könne man sich in der Schweiz finanziell ohnehin nicht über Wasser halten. Höchstens im Militär, dieses unterstütze seit neuem Schweizersport. Man könne dort die Spitzensport-Rekrutenschule (RS) absolvieren und dann weiter im Militär unter Vertrag bleiben. Ob dies vielleicht für sie in Frage komme? «Ja, es wäre unter Umständen ein Ziel. Aber erst mache ich jetzt diese Ausbildung.»
Immer auf Achse
Den grössten Teil ihres Alltags verbringt die junge Sportkanone in Fechthallen oder auf dem Weg zu diesen. Ihre Trainings finden mal in Biel, Bern oder Zürich statt, die Wettkämpfe sind international. Die nächste Station ist Luxemburg. Meist sieht sie allerdings nur die Fechthalle von innen, viel Zeit, um die fremde Stadt anzusehen bleibt wegen den Wettkämpfen nicht. Ein gewöhnliches Teenagerdasein hat Alessandra nie erlebt, an Freitagabenden, wenn bei anderen Ausgang angesagt ist, sitzt sie im Flieger zur nächsten Wettkampfdestination, am Wochenende wird gefochten. Kontakt mit gleichaltrigen Nicht-Leistungssportlern hat sie nur noch selten. Doch für sie ist das vollkommen normal. «Ich habe eben nicht viel Freizeit und das geht allen Sportlern so», meint sie. «Wir kennen dieses Leben gar nicht und haben deshalb auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen». Das Pendlerleben der 18-Jährigen hat aber auch im wortwörtlichen Sinne seinen Preis: Die Ausrüstung muss aus Sicherheitsgründen praktisch jedes Jahr ersetzt werden, was mit einem Lehrlingslohn schwierig zu finanzieren ist. Auch die Kosten für Zugfahrten, Flüge, Hotels, Ausrüstung und Jahresbeiträge muss sie selber übernehmen, was bei den vielen internationalen Wettkämpfen ziemlich ins Geld geht. Um dennoch weiterhin daran teilnehmen zu können, sucht Alessandra momentan einen Sponsor. «Ich würde ihn natürlich ebenfalls unterstützen, sein Logo auf meiner Fechtausrüstung und an meiner Tasche tragen und auch auf Social Media Werbung für ihn machen.» Die Suche gestalte sich bisher nicht einfach, andere Sportarten wie Fussball oder Tennis seien bei potenziellen Sponsoren höher im Rennen. An mentaler Unterstützung fehlt es Alessandra jedoch nicht, ihre Familie versucht, bei so vielen Wettkämpfen wie möglich im Publikum zu sitzen. Eine wichtige Bezugsperson ist auch ihr Trainer, der immer an sie glaubt, auch wenn sie sich selber mal in einer Down-Phase befindet und den Glauben verloren hat. «Im Moment mache ich mir einen ziemlichen Druck, weil ich weiterkommen will. Dieser ist aber eher hinderlich, das merke ich in letzter Zeit», meint Alessandra. Wie sie es denn bisher geschafft habe? «Ich habe nie aufgegeben, immer weiter trainiert und wenn ich mal nicht an mich geglaubt habe, habe ich eben noch einige Stunden mehr in der Fechthalle verbracht. Jetzt versuche ich, wieder entspannter auf die Sache zuzugehen.» Mit ihrem Motto «Gib alles, aber niemals auf» ist sie ja schon auf dem richtigen Weg. Dann kann auf den nächsten Stationen der laufenden Saison – Luxemburg, Spanien, Frankreich, Italien und der Slowakai – nichts schiefgehen.
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