Ein Königreich für einen «Dorfplatz»?

Braucht Höngg einen «Ort der Begegnung» und wenn ja, wo soll der sein? Die Diskussion im Fasskeller war schnell entfacht. Auch wenn sie künftig nur auf kleiner Flamme lodert, Hauptsache, sie brennt.

Die Podiumsgäste erhielten bald Reaktionen aus dem Publikum. (v.l.n.r): Patrick Hässig, Beni Weder, Andy Egli, Florian Berner und Daniel Fontolliet.
Franziska Lang eröffnet den Gesprächsabend, hoffentlich nur der Beginn einer weiterführenden Diskussion.
Gemeinderätin Claudia Simon brachte den Kirchenplatz ins Spiel.
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Es war eine überschaubare Runde, die sich an diesem lauen Sommerabend im Fasskeller des Zweifel Vinariums eingefunden hatte, um über die Vision «Höngger Dorfplatz» zu diskutieren. Eine reine Männergruppe hatte sich an dem Stehtisch-Podium versammelt: Andy Egli, Gemeinderat der FDP und Vorstandsmitglied des Quartiervereins Höngg, Daniel Fontolliet, Drogist und seinerzeit aktiv im «Netzwerk Höngg», Florian Berner, Architekt und Stadtplaner, sowie Beni Weder, Präsident des Quartiervereins Wipkingen. Radiomoderator Patrick Hässig war eingeladen worden, die Diskussion zu leiten. Begrüsst wurde das Publikum von Franziska Lang, Stiftungsrätin der Stiftung Höngger Quartierzeitung. In ihrer eindringlichen Eröffnungsrede machte sie klar, worum es an diesem Abend gehen sollte: Kann ein Dorf – oder ein Quartier – lebendig sein, ohne einen zentralen Ort der Begegnung? Oder braucht es überhaupt keinen «Dorfplatz»? Dies sei die Gelegenheit, die verschiedenen Bedürfnisse der Anwohner abzuholen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Aber sie erhoffe sich noch mehr, nämlich, dass dies nur der Auftakt einer Diskussion sei, die auch nach diesem Abend noch weitergeführt wird. Damit war das Gespräch eröffnet.

Ein Dorfplatz ist ein Wohlfühlfaktor

Eine kleine Bemerkung gleich zu Beginn zur Verwendung des Begriffs «Dorfplatz»: Im Laufe des Abends äusserten manche ihr Befremden darüber, Höngg als «Dorf» zu bezeichnen, es handle sich schliesslich um ein Stadtquartier. Alteingesessene Höngger sprechen jedoch immer noch – und nicht ohne einen gewissen Lokalstolz – von einem Dorf. Nichtsdestotrotz ist Höngg ein Teil der Stadt, was sich zum Beispiel darin äussert, dass es nicht unabhängig über die Finanzen verfügen kann, wie Andy Egli richtig anmerkte. Dennoch wird in diesem Artikel von einem «Dorfplatz» die Rede sein, denn auch in einem Quartier gibt es – im besten Fall – solche Begegnungsorte, egal wie man sie bezeichnet. Wie es denn um die Entwicklung des Quartiers stehe, wollte Patrick Hässig, der selber in Oerlikon lebt, als erstes von Andy Egli wissen. Es sei tatsächlich so, dass sich Höngg mehr und mehr zu einem Schlafquartier entwickle, meinte der FDP Gemeinderat. Es «verslume» zwar nicht, wie Presseartikel vor ein paar Jahren suggerierten, aber der Leerstand der Gewerberäume sei ein reales Problem. Andererseits sehe er auch gute Entwicklungen, zum Beispiel die Eröffnung der «Osteria Da Biagio». Auf einer Skala von eins bis zehn würde Egli dem Quartier eine Acht geben, allerdings mit Tendenz zu einer Sieben. Er sei sich dennoch nicht sicher, ob ein Dorfplatz alleine matchentscheidend sei für eine Verbesserung der Lage. Auch Daniel Fontolliet glaubt nicht, dass ein zentraler Platz dem Gewerbe grundsätzlich auf die Beine helfen würde, zu mannigfaltig seien die Gründe für die Leerstände. Bei einem Dorfplatz gehe es aber um etwas anderes: Er sei ein Wohlfühlfaktor. Fontolliet, der vor einigen Jahren die mittlerweile wieder aufgelöste Gruppe «Netzwerk Höngg» mitbegründete und sich als dezidierter Befürworter eines Dorfplatzes outete, verwies auf die grosse HGH-Umfrage, die im Jahr 2012 durchgeführt worden war. Diese hatte ergeben, dass sich die Menschen in Höngg sehr wohl fühlten, aber dass vor allem der Altersgruppe zwischen 15 und 44 ein Begegnungsort fehle.

Ein Ort der Begegnung schafft Identität

Das «Wohlfühlen» sei essentiell für ein funktionierendes Quartier, stimmte auch Architekt Florian Berner zu und gab einen kurzen Einblick in die Theorie des Städtebaus. Ein Platz habe das Potential, identitätsstiftend zu sein – oder in Fontolliets Worten: Ein «Wir-Gefühl» zu generieren – er müsse jedoch zum Quartier passen, seinen Charakter stärken. Ein Prozess namens «placemaking» untersucht, wieso Plätze funktionieren. Es sei offensichtlich so, dass öffentliche Orte, die von aussen aktiviert werden müssten, meist nicht nachhaltig Bestand hätten. Deshalb sei es auch nicht sinnvoll, eine Lösung für alle Quartiere der Stadt zu entwickeln und sie ihnen «überzustülpen», vielmehr müsse die Entwicklung von der ansässigen Bevölkerung den eigenen Bedürfnissen entsprechend angestossen werden. Früher seien Dorfplätze dort entstanden, wo man sich zufällig und informell getroffen habe, wie es in Höngg heute vor dem Coop und der Migros der Fall sei. Nur gibt es dort aufgrund der Strasse keine Möglichkeit für eine Erweiterung des Platzes. Ein Beispiel eines von unten her entwickelten «Dorfplatzes» ist der oft erwähnte Röschibachplatz in Wipkingen. Beni Weder, Präsident des dortigen Quartiervereins, erzählte, wie alles vor bald zehn Jahren mit einer provisorischen Petangue-Bahn begann. Die Initiative kam damals vom Quartierverein. Es waren kleine Dinge: ein paar Stühle auf dem Platz, ein Open-Air-Kino, ein Quartierplatzfest. «Den Leuten im Quartier gefiel das, darum war die Unterstützung auch da und es gab automatisch weniger Reklamationen», sagt Weder. Ausserdem habe es in diesem Fall einen Einfluss auf das Gewerbe, denn Leerstände gäbe es rund um den Röschibachplatz keine. Keine zehn Minuten waren vergangen, als bereits die ersten Wortmeldungen aus dem Publikum kamen. Eine Anwohnerin machte die Podiumsgäste darauf aufmerksam, dass die Schärrerwiese bereits heute einen solchen «Ort der Begegnung» darstelle, eine natürliche Erholungsoase, die von Jugendlichen, Familien und älteren Personen genutzt werde. Gemeinderätin Claudia Simon, ebenfalls Anwohnerin, wies ausserdem darauf hin, dass sich die Zürcher Stadtbevölkerung diesen Frühling für den Schutz von Grünflächen ausgesprochen habe und es bestimmt nicht in deren Sinn sei, eine Wiese zuzupflastern. Es sei an dieser Stelle – nachträglich – noch einmal betont, dass es sich bei der im letzten «Höngger» gedruckten Visualisierung lediglich um ein Beispiel, einen Denkanstoss gehandelt hat. Nachdem man sich eine Weile über das Für und Wider eines Dorfplatzes auf der besagten Wiese unterhalten hatte, war die Stimmung so weit aufgewärmt, dass man den Blick öffnen konnte und auch über andere Möglichkeiten zu sprechen begann. Gemeinderätin Simon brachte den Kirchenplatz ins Gespräch, der an den meisten Orten traditionellerweise auch als Dorfplatz funktioniert und in Höngg ja als historischer Dorfkern gilt. Dieser verfüge über eine wunderbare Kulisse und eigne sich zum Beispiel ideal für einen Weihnachtsmarkt.

Wer ist zuständig?

An Ideen mangelte es an diesem Abend kaum. Man war sich einig darüber, dass es in Höngg einige Orte wie den erwähnten Kirchenplatz, aber auch den kleinen Platz vor dem «Höngger», den Weingarten und die Pergola des Zweifel Vinariums gibt, die man mit kleinen Massnahmen aufwerten und so schöne Begegnungsorte bilden könnte. Vielleicht, so bemerkte Walter Zweifel, der ebenfalls im Publikum sass, braucht es nicht einen zentralen Dorfplatz, sondern verschiedene kleinere Plätze für unterschiedliche Bedürfnisse und unterschiedliche Tageszeiten. Auch das Generationenhaus Sonnegg sei grundsätzlich offen, der Umbau geschah schliesslich auch mit der Idee, den Platz zu beleben. Die Schwierigkeit sei – wie an den meisten Orten – die Anwohner ins Boot zu holen, die sich am Lärm störten. Fontolliet thematisierte schliesslich den Elefanten im Raum: Niemand ist zuständig. Es brauche jemanden, der die Koordination der verschiedenen Akteure an die Hand nehme. Quartiermarketing fehle hier gänzlich. «Wir haben in Höngg ein gutes Image, die Menschen leben gerne hier. Aber wir dürfen uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen», mahnte er eindringlich, «jemand muss den Samen pflanzen». Auf Patrick Hässigs Frage, ob dies nicht die Aufgabe des Quartiervereins sei, blieb Andreas Egli als Vertreter des QV eine Antwort schuldig. Bezogen auf die Schärrerwiese sagte er, dass man sicherlich nicht gegen den Willen der Anwohnerschaft einen Dorfplatz durchsetzen würde. Zur nötigen Koordination meinte er, man wisse aus Erfahrung, dass zwar alle am selben Strang ziehen würden, aber nicht in dieselbe Richtung. Allein die Meinungen darüber, wo ein solcher Begegnungsort angelegt sein sollte, gingen weit auseinander. Ausserdem gäbe es dafür kein Budget in Höngg. Der eigentliche Dorfplatz sei hier die Höngger Zeitung, in diese investiere das Gewerbe viel Geld. Dessen müsse man sich bewusst sein und den Wert auch anerkennen. Deshalb sei ein Dorfplatz auch nicht das prioritäre Anliegen des Quartiervereins. Ausserdem, so Egli entschieden, müsse nicht jedes Quartier gleich sein wie das andere, und Höngg sich auch nicht zwingend zu einem Ausgangsviertel entwickeln.

Taten statt Worte

Es ist klar: Jedes Quartier ist anders und selbst wenn es, wie Wipkingen und Höngg, im selben Kreis liegt, können die Bedürfnisse der Anwohner komplett verschieden sein. Patrick Bolle, Leiter des GZ Höngg/Rütihof, gab auch zu bedenken, dass die Entwicklung in Wipkingen schon viel früher angefangen hat und viel schneller vorangeschritten sei, und die Beizen einen wesentlichen Einfluss darauf hatten. Die demografische Struktur sei (noch) eine andere und die Orte in Höngg bereits von verschiedenen Nutzern «besetzt» und deshalb eben nicht offen für alle. Dies mache es schwierig, die beiden Quartiere miteinander zu vergleichen. Beni Weder appellierte dennoch an die Anwesenden, eine Politik der kleinen Schritte zu wagen: Ein paar Stühle auf einen Platz stellen, das Sonnegg vielleicht einmal abends länger offen zu lassen und dann zu sehen, ob sich daraus etwas entwickle. Wenn es nicht funktioniere, könne man wenigstens sagen, man habe es versucht. Nichts tun sei einfach keine Lösung. Auch Franziska Lang plädierte für mehr Mut, Dinge auszuprobieren. Patrick Hässig rundete die Diskussion nach fast zwei Stunden mit einem Vier-Punkte-Programm ab: Den Kirchenplatz nicht vergessen, Samen streuen, kleine Schritte tun, und die Schärrerwiese muss kein Dorfplatz sein, aber man könnte sie noch besser machen. Vielleicht könnte man noch einen fünften Punkt hinzufügen: Dranbleiben, am Gespräch und vor allem mit konkreten Taten. Denn Daniel Fontolliet hatte recht, das Appenzeller Sprichwort zu bemühen: Von nichts kommt nichts.
Um dieses «Nicht Nichts aus dem Nichts» ging es gesprächlich im anschliessenden Apéro, zu dem der «Höngger» geladen hatte. Dort wurde noch lange über das eine oder andere Thema von eben und über Lösungsansätze diskutiert. An mehr als einem Tisch war man sich einig, dass wo ein Wille ist, auch ein Weg zu finden wäre – und ähnlich wie zu der Verkehrsthematik in Höngg gelte vielleicht auch hier: Wenn jede Seite bereit ist, sich zu bewegen, da auf etwas zu verzichten, um dafür andernorts etwas zu erhalten, würde die grosse Mehrheit im Endeffekt nur profitieren.

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