Quartierleben
Ein Fall für zwei – und den Scheidungsanwalt
Wer einen Scheidungsfall beschreibt, wird 99 andern nicht gerecht und beschreibt man 100, so fügt jemand den 101. an. Denn alle kennen unschöne Geschichten vom Ende einer Ehe, weil für rund 52 Prozent der Frischvermählten der Scheidungsanwalt quasi hinter der Kirchentüre wartet.
12. Juni 2014 — Fredy Haffner
Der «Höngger» traf sich mit dem Scheidungsanwalt Andreas Egli just an dem Tag, als eine Vier-Milliarden-Abfindung Schlagzeilen machte, welche ein Genfer Gericht der Ex-Frau eines russischen Oligarchen zugesprochen hatte. Der Artikel lag auf dem Tisch neben dem Mikrofon. Natürlich ein Extrembeispiel, der Alltag sieht anders aus und über diesen drehte sich das Gespräch.
Von der Schuldfrage
Egli ist seit 2008 auf Trennungen und Scheidungen spezialisiert. Männer und Frauen sind gleichermassen seine Klientel, und er betont gleich vorweg, dass er beide Seiten gleich gern und engagiert vertrete. Menschlich sehe und mache er da keine Unterschiede. Fachlich hingegen schon: «Als Vertreter eines Mannes ist man meistens in der Defensive und versucht zurückzuhalten, was noch zu retten ist. Als Anwalt einer Frau ist es gerade umgekehrt: Man muss herausholen, was die Gegenseite nicht hergeben will.» Das betrifft aber nur die finanziellen Aspekte. Sobald Kinder involviert sind, ist es genau umgekehrt: Ab dem 1. Juli gilt zwar generell das gemeinsame Sorgerecht, doch darauf, wer die Obhut zugesprochen bekommt, hat dies keinen Einfluss. Damit verbunden ist die Wohnortsfrage und die hat Einfluss auf die Unterhaltsbeiträge. «Da werden Kinder oft instrumentalisiert, um höhere Unterhaltsbeiträge zu erhalten», so Egli, denn in der Regel ist es so, dass die obhutsberechtigte Person nur eingeschränkt zu einer Erwerbsarbeit verpflichtet werden kann: Zuerst gar nicht und dann, wenn das jüngste Kind zehn Jahre alt ist, zu 50 Prozent. Erst wenn es 16 ist, kann eine Vollanstellung verlangt werden. Entsprechend besteht Anrecht auf Unterhalt, den die andere Partei dann zu bezahlen hat. Und so kommt es eben zu Streitereien darüber, wer die Kinder wie oft betreut. «Schwierig wird es dann», beschreibt Egli den Fall eines Vaters, «wenn er die Kinder auch mehr betreuen will als nur jedes zweite Wochenende.» Die Gerichte orientieren sich an dem, was vor der Trennung üblich war: Hat sich der Vater dort auch schon zeitlich umfangreicher um die Kinder gekümmert, so soll und kann dies auch danach weitergeführt werden. War er aber nur der «Brötchengeber», so hat er schlechte Karten. «Will er nach der Trennung plötzlich die Kinder mehr betreuen, so hat dies wohl auch eine Einkunftseinbusse zur Folge, und das schmälert wiederum den Unterhalt der Ex-Frau, wogegen diese sich natürlich wehrt.» In diesem Spannungsfeld von wechselndem Einfordern und Abblocken agiert der Anwalt. Als Rollenwechsel will Egli dies nicht verstanden haben: «Mit meiner Rolle hat dies nichts zu tun. Es sind bloss andere Techniken, verschiedene Werkzeuge.» Situativ müsse er da reagieren, manchmal mitten im Verfahren: «Unterhalt wird ja in der Regel bereits während der Trennung geleistet. Dann ist man im Scheidungsverfahren und die Einkommensverhältnisse des Mannes ändern sich, zum Beispiel weil er arbeitslos wird – also muss ich versuchen, etwas zurückzuholen, damit der Mann nicht in Schulden ertrinkt. Ich mache also genau das, was ich sonst meistens im Auftrag der Frau mache.»
Von der Schuldfrage zum «Schlachtfeld Kinder»
Seit der letzten Revision des Scheidungsrechts vor 14 Jahren spielt die Schuldfrage keine Rolle mehr. Vor Gericht hat dies einiges vereinfacht. «Man streitet noch über Geld und Kinder, fertig», so Egli. Natürlich höre er sich im Erstgespräch an, was zur Scheidung führte, sein Mitgefühl könne er aussprechen, doch ein Dauerthema dürfe es nicht werden: «Ich muss mich auf die vor Gericht wesentlichen Faktoren konzentrieren.» Mehr als ein «Hintergrundrauschen», mit welchem man den Ermessensspielraum in anderen Fragen vor Gericht vielleicht beeinflussen könne, sei die Schuldfrage heute nicht mehr. Das ist menschlich zwar hart, aber simple Realität: Die Schuldfrage ist vor Gericht kein Schlachtfeld mehr. Dafür sind es oft Fragen um die Kinder. Wer die Kinder betreut, erhält in der Regel auch Unterhalt, sprich Geld. Egli weiss von Fällen, in denen seiner Meinung nach Kinder besser ganztags fremdbetreut worden wären, weil beide Elternteile nicht gut zu den Kindern schauen konnten. Trotzdem wurde nur des Unterhalts wegen an der Vollbetreuung festgehalten. Ganz zu schweigen von all jenen Geschichten, in denen mit teils üblen Tricks das Besuchsrecht verwehrt wird. Von vorgetäuschten Krankheiten über angebliche Weigerung der Kinder bis hin zum Vorwurf von Kindsmisshandlung ist alles «Recht». Oft sind das traurige Geschichten und noch öfter ein «Ersatz» für das, was früher die Schuldfrage war. Selbst Fälle, in denen ein Beistand einbezogen wurde, können sich über Jahre hinziehen. «Für die Gegenpartei – und die Kinder – ist das enorm schwer.» Und unter liegt die obhutsberechtigte Person, zieht sie mit den Kindern einfach in einen anderen Kanton und das ganze Spiel beginnt von vorn. Als Hauptproblem dabei beklagt Egli, dass solche Vorwürfe, wenn sie sich als falsch erweisen, für die anzeigeerstattende Partei nur ganz selten strafrechtlichen Folgen haben. «Viele Eltern glauben, ihre Scheidung wirke sich nicht auf die Beziehung zu den Kindern aus – doch das ist oft falsch.»
Wer am längeren Hebel sitzt
Wer kämpft mehr? Männer oder Frauen? Egli zögert: «Männer sind allgemein eher daran interessiert, alles schnell über die Bühne zu bringen. Kurz und schmerzlos. Auch wenn die Verpflichtungen danach etwas kosten. Frauen zeigen mehr Geduld. Wenn das Gericht mehr Zeit braucht, scheint ihnen dies nichts auszumachen.» Warum das so ist? «Vielleicht entwicklungsbiologisch?», mutmasst der Anwalt, «Frauen, die Kinder erziehen, brauchen und haben sehr viel Geduld.» Oder kommt die Geduld daher, dass die Gerichte zum Schluss immer auf die Linie der Frau einschwenken? «Nein», kontert Egli, «das ist ein Klischee. Diesen Vorwurf kann man den Gerichten sicher nicht machen.» Trotzdem darf in diesem «HönggER» die Frage erlaubt sein: Sitzen Frauen tatsächlich am längeren Hebel, wie jeder Stammtisch bestätigt? Egli runzelt die Stirn, will aber nicht pauschal widersprechen: «Die Tendenz ist da, dass in aller Regel die Frau die Zahlungsempfängerin ist. Das ist, wenn sie Kinder betreut, grundsätzlich richtig.» Die Problematik entstehe aber deshalb, weil das schweizerische Durchschnittseinkommen in der Regel nicht für eine angemessene Lebensführung in zwei Haushalten nach der Scheidung reicht. «So bleibt dem Mann oft nur das Existenzminimum, und das ist eine massive Einschränkung gegenüber dem Zustand von vorher.» Gezögert hatte Egli deshalb, weil es genau umgekehrt ist, wenn die vorhandenen Finanzen das beidseitige Existenzminimum nicht decken: Dem Mann wird das Existenzminimum belassen, die Frau muss sich das Manko beim Sozialamt besorgen. Doch diese Zahlungen bleiben ihr als Schuld: Wenn sie irgendwann Einkommen hat, muss sie diese Schuld begleichen. Wieder anders ist es, wenn viel Geld vorhanden ist. Dann sitzt der Mann auch mal am längeren Hebel und kann Einkommen und Vermögen beiseiteschaffen. «Und trotzdem», so muss auch Egli zugeben, «im Einzelfall kann der Hebel der Frau aus Sicht des Mannes sehr gross wirken. Im Grossen und Ganzen ist unser Scheidungsrecht aber fair.»
Verbesserungen wären dennoch wünschbar
Allerdings könnte prozessual mehr mit Pauschalen gearbeitet werden. Zum Beispiel bei den Wohnkosten. Da würden oft Spielchen getrieben. So etwa, wenn jemand mit den Kindern im gemeinsamen Wohneigentum verbleibt. Auch da müssen die Wohnkosten festgelegt werden, zusammengesetzt aus Hypothekarzins und Unterhalt. Doch plötzlich werden auch Beträge für einen Gärtner aufgeführt, den man früher nie beschäftigte. Und darüber kann dann unendlich gestritten werden. «Als Anwälte leben wir ja davon, aber für die Parteien ist es zermürbend. Pauschalen könnten da vieles vereinfachen.» Etwas aber gibt es, das Egli wirklich stört: Die aktuelle Praxis der Gerichte, wonach es einer Frau – und es ist in der Regel eben immer noch die Frau – die während bis zu 20 Jahren Kinder betreute und nun über 45 Jahre alt ist, im Grundsatz nicht mehr zumutbar sei, wieder eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. «Der Mann bleibt dann zahlungspflichtig bis zur Pensionierung oder gar darüber hinaus – und dies in einer Zeit, welche das lebenslange Lernen propagiert!» Dass die Gerichte diese Praxis aufrechterhalten, findet er fast schon verwerflich. Dass solche Fälle selten bis nie vor die höheren Instanzen gebracht werden, liegt an den Finanzen und der Energie der Betroffenen. Individuell ist das verständlich, doch gesellschaftlich betrachtet schade. «Das Bundesgericht hat in den vergangenen Jahren diese Praxis nur geringfügig angepasst, anstatt sie grundsätzlich zu ändern. Das ist zu strukturkonservativ und trägt der gesellschaftlichen Entwicklung zu defensiv Rechnung», moniert Egli.
«Es kommt drauf an . . . »
Doch zurück zum Anfang jeder Scheidung: zur Heirat. Machen Eheverträge Sinn oder kommt es gar nicht darauf an? «Wenn man einen Anwalt fragt, wird er immer sagen: ‹es kommt drauf an›», schmunzelt Egli, «das lernt man schon an der Uni so, denn jeder Fall ist individuell.» Doch selbst seinen Freunden rät er nicht zwingend zu einem Ehevertrag, denn an der Unterhaltspflicht im Scheidungsfall ändert dieser kaum etwas: «Dem Gericht ist egal, was man in guten Zeiten abgemacht hatte. In der Frage der Unterhaltszahlung geht es nur um gesetzliche Ansprüche.» Das Schweizer Recht kennt drei Möglichkeiten eines Ehevertrages: Die Errungenschaftsbeteiligung, die Gütertrennung und die Güterverbindung. Ohne Vertrag gilt die Errungenschaftsbeteiligung. Die Errungenschaft wird bei Auflösung der Ehe geteilt. Errungenschaft ist alles, was während der Ehe aus Eigenleistungen erwirtschaftet und gespart wurde. Das Eigengut – also in die Ehe eingebrachtes Vermögen sowie Schenkungen und Erbschaften während der Ehe − bleibt abgesehen von den Zinsen, welche in die Errungenschaft fallen und geteilt werden, den Ehegatten auch bei einer Scheidung. Im Falle des erwähnten Oligarchen fügt Egli mit Blick auf den Zeitungsartikel an, hätte ein Vertrag jedoch etwas gebracht: «Wäre eine Gütertrennung vereinbart gewesen, wäre es nur noch um einen angemessenen Unterhalt gegangen. Der Mann wäre deutlich besser weggekommen – doch bei diesen Summen geht es ihm sicher auch jetzt nicht schlecht.»
Es bleibt der Glaube – und die nötige Achtung
Und glaubt der Scheidungsanwalt an die Ehe? Die Antwort kommt schnell und lachend: «Ein klares Ja, aber sehenden Auges – ich bin seit mehreren Jahren verlobt.» Und als das Aufzeichnungsgerät bereits abgestellt ist, fügt er an, dass es für ihn in einer längeren Beziehung auch eine Frage der Achtung sei, dass man sich gegenseitig absichere. Und sei es nur in einem Konkubinatsvertrag, der auch Fragen des Sozial versicherungs- und des Erbrechts regle − aber das ist ein Thema für sich, wieder mit hundertundeiner Geschichte.
Andreas Egli wohnt in Höngg, ist Vorstandsmitglied des Quartiervereins, frisch gewählter FDP-Gemeinderat und spielt, wenn er nicht grad verletzt ist, bei den Veteranen des SV Höngg Fussball. Rechtsanwaltskanzlei RA Andreas Egli Nordstrasse 31, 8006 Zürich Telefon 043 960 31 92 www.egli-law.ch egli@egli-law.ch
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