Ein Dorf ohne Dorfplatz

Höngg sagt von sich selbst, es sei ein Dorf geblieben, und vieles an Höngg und seinen Einwohnerinnen und Einwohnern bestätigt dieses Bild auch aus der Aussenansicht. Einzig ein zentrales Dorfelement fehlt: Ein Dorfplatz. Muss das so bleiben? Diese Frage steht im Fokus dieser Ausgabe.

Postkartenmotiv des Meierhofplatzes, zwischen 1908 und 1923 aufgenommen.
Die Schärrerwiese 1979: einfach eine offene Wiese, mehr war da nicht.
Dasselbe Motiv Meierhofplatz 1908 bis 1923, Aquarell von Peter Ruggle nach Bild- und Quellenrecherche.
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Die 2013 vom Verein Handel und Gewerbe Höngg (HGH) durchgeführte Umfrage brachte, nebst vielen anderen Erkenntnissen, auch an den Tag, dass in Höngg ein Dorfplatz vermisst wird. Als eine lose Gruppe engagierter Hönggerinnen und Höngger versuchte, im nicht offiziellen «Netzwerk Höngg» aus den Ergebnissen etwas entstehen zu lassen, tauchte die Idee auf, der Schärrerwiese die Funktion eines Dorfplatzes zuzuweisen und sie entsprechend umzugestalten. Dieser einzige zentral gelegene, grössere und verkehrsfreie öffentliche Ort ist heute in der Bau- und Zonenordnung (BZO) der Zone «C», «Bade- und Sportanlagen», zugeteilt. Obwohl dort weder gebadet noch institutionell Sport betrieben wird, doch die noch gültige BZO kennt keine spezielle Zone für Plätze. Mit der anstehenden BZO-Revision soll dies jedoch geändert werden. Auf provisorischen Plänen ist die Schärrerwiese deshalb bereits der neuen Zone «FP», «Parkanlagen und Plätze» zugeteilt. In dieser Zone sollen, wird die BZO angenommen, auch kleinere, allenfalls nur temporäre Verpflegungsmöglichkeiten zugelassen werden. So viel, oberflächlich betrachtet, zur Ausgangs- und Rechtslage. Vor drei Jahren dabei in der losen Arbeitsgruppe «Netzwerk Höngg» waren auch Andreas Egli (Gemeinderat FDP) und Guido Trevisan (Alt-Gemeinderat GLP). Sie wollten damals konkreter wissen, ob für die Idee «Dorfplatz Schärrerwiese» überhaupt ein Realisierungspotential bestünde. Unter anderem trafen sie sich mit Vertretern der Stadt Zürich und klärten, was zum Beispiel rein technisch möglich wäre. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass ein Grossteil der Schärrerwiese ja auf dem Dach der Parkgarage des Hönggermarktes realisiert wurde. Die Belastungsmöglichkeiten haben dort also ihre Grenzen. Das musste übrigens auch bei der Neugestaltung des Spielplatzes beachtet werden: Die Stützen des alten Klettergerüstes waren direkt mit der Decke der Tiefgarage verbunden, das neue musste an derselben Stelle zu stehen kommen.

«Annähernd vernichtende» Reaktionen

Daraufhin holten sie beim Grundbuchamt die Adressen der Immobilienbesitzer ein und luden sie zu einem informativen Gespräch Ende Januar 2016. «Ungefähr zehn Personen erschienen. Auch jemand von der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich, welcher nebst der Schärrerwiese selbst viele der umliegenden Grundstücke gehört», erinnert sich Trevisan. Ziel des Abends war es, die direktbetroffenen Anwohner wenigstens ansatzweise für die Idee «Dorfplatz Schärrerwiese» zu gewinnen, denn gegen Widerstand aus der Anwohnerschaft, so war und ist die Meinung, lässt sich gar nichts machen. «Wenn man im Gemeinderat einfach einen Vorstoss macht, dann bringt das nichts, wenn aus dem Quartier danach Protest kommt», ist Trevisan überzeugt. Andreas Egli fügt als Beispiel den 2014 erfolgten Versuch der SP an, mittels Postulat im Erdgeschoss des Hauses «Weingarten» eine kleine Verpflegungsmöglichkeit zu initiieren und den angrenzenden Garten zu nutzen: «Sofort kamen erboste Reaktionen aus der betroffenen städtischen Liegenschaft: Man solle doch bitte auch gleich sagen, wer von den Mietern ausziehen müsste. Das wollten wir vermeiden». Die Resonanz der Anwesenden an besagtem Abend sei «mässig positiv« bis «klar ablehnend» gewesen, so Egli. Trevisan bewertet sie rückblickend sogar als «annähernd vernichtend» und beide halten unmissverständlich fest, dass nicht sie hinter der Idee stecken, das Thema «Dorfplatz Schärrerwiese» in dieser Form nun an die Öffentlichkeit zu tragen. Nur der Vertreter des Hönggermarktes habe damals der Idee etwas Positives abgewinnen können, weil alles, was Frequenz bringe, auch Umsatz generiere. Von den Anwohnenden aber hörte man mehrheitlich, dass bereits genug, mitunter lauter Betrieb herrsche: Abends von Jugendlichen und tagsüber von all den spielenden Kindern, denn der Spielplatz wird gerne auch von allen umliegenden Kindertagesstätten genutzt.

Gibt es andere örtliche Optionen?

«Nach diesem klaren Feedback war für uns beide klar, dass wir die Idee nicht weiter verfolgen würden», sagt Trevisan und fügt an, dass für diesen Ort das Thema Dorfplatz beerdigt war. Mit Betonung auf «diesen». Denn eigentlich «brauche» es ja einen Platz und es gäbe noch andere Optionen – wo, darauf wollte er nicht eingehen. Tatsächlich, so äussert sich eine gut informierte Quelle gegenüber dem «Höngger», wäre auch an anderen Orten in Höngg ein «Dorfplatz» denkbar. Und es gebe dazu auch schon Anregungen. So könnten andere, kleinere Plätze als die Schärrerwiese «aufgewertet» werden und Dorfplatzcharakter erhalten. Konkrete Orte benennen wollte besagte Quelle nicht. Doch denkbar wären da in erster Linie der bereits öffentliche kleine Park beim «Weingarten» (gegenüber der Soccar-Tankstelle), der Kirchplatz zwischen «Desperado» und Kirche oder der Parkplatz direkt vor dem Infozentrum des «Hönggers» am Meierhofplatz. Dass der Meierhofplatz selbst je wieder ein Dorfplatz werden wird, davon ging auch diese Informationsperson nicht aus.

Platz-, Beizen- oder gar kein Problem?

Der «Höngger» hatte sich zum Informationsaustausch mit den beiden Politikern zum Lunch getroffen. Beim Kaffee wurde weiter diskutiert. Guido Trevisan war damals als Gemeinderat in jener Kommission aktiv, die zum heutigen Sechseläutenplatz führte. Natürlich will er keinen Vergleich ziehen, erinnert aber daran, dass sich niemand hätte vorstellen können, dass dieser offene, leere Platz dereinst so beliebt sein würde wie er es innert Kürze geworden ist. Die Frage aber, ob es legitim wäre, die möglichen Bedürfnisse einer Allgemeinheit höher zu gewichten als den Wunsch der Anwohnerschaft nach Ruhe, wagt niemand zu beantworten. Das gilt für jeden «Dorfplatz», wo immer er auch wäre: Nutzungskonflikte sind vorprogrammiert. Wo Platz und Häuser gleichzeitig realisiert werden, wie es in Neu-Oerlikon geschah, ist das anders – die neuen Mieter wussten, dass sie an einen Platz ziehen, an dem es auch mal laut werden könnte. Und in Wipkingen? Den angestellten Vergleich mit dem Röschibachplatz will Gemeinderat Egli nicht gelten lassen: «Der Röschibachplatz wurde vorher ˂disfunktional˃ genutzt», wie er das vorsichtig ausdrückt, «Dass er heute auch im Alltag als Platz funktioniert, ist das Verdienst des Restaurants ˂Nordbrüggli˃ mit seiner Aussenbestuhlung». Trevisan wirft rhetorisch die Frage auf, ob man heute tatsächlich noch so einen Platz brauche, ob so ein Platz, der dann nur für wenige Anlässe pro Jahr wirklich genutzt werde, noch zeitgemäss sei. «Vielleicht», sinniert er, «ist es mit einem Dorfplatz ähnlich wie mit den Geschäften: Alle wollen möglichst alle Angebote gleich vor der Haustüre – in Tat und Wahrheit geht dann ein erheblicher Teil der Bevölkerung ins Shoppingcenter, fährt ins nahe Ausland oder kauft im Internet ein, während die lokalen Detaillisten sich neu erfinden müssen». Und obwohl es Anzeichen für eine Bewegung wieder hin zum Lokalen gibt, fragt er sich offen, ob «man» zwar einen Höngger Dorfplatz wolle, dann aber doch zum Schluss in die Stadt fährt, um vom vielfältigeren kulturellen und kommerziellen Angebot zu profitieren. Für Andreas Egli hat Höngg so oder so kein Platz-, sondern eher ein «Beizenproblem». Trendigere, hippere Treffpunkte, auch für ein jüngeres oder jung gebliebenes Publikum fehlen, auch wenn es das Da Biagio als traditionelle Quartierbeiz schon sehr gut macht, sagt er. Persönlich würde er Höngg einen Dorfplatz gönnen, auch auf einem Teil der Schärrerwiese, doch «nicht auf Kosten der Anwohner», betont er, und fügt an, dass auch die Baukosten und die Folgekosten für Sicherheit und Unterhalt zu bedenken wären. Ob diese im Verhältnis zum Nutzen stehen würden, wagt er indes zu bezweifeln. Sicher ist, dass an einem solch empfindlichen Ort nichts ginge ohne ein verbindliches Nutzungskonzept. Guido Trevisan schliesst das Gespräch mit dem Gedanken, dass es sowieso ein Wagnis wäre: «Man wüsste nicht, in welchem Mass es für die einen besser und für die anderen schlechter würde». Er selber sieht jedoch nach wie vor das Potential der Schärrerwiese als Dorfplatz. Aber das sei ein Gefühl, und dies allein reichte ihm nicht, um einfach mal einen politischen Vorstoss einzureichen: «Da müsste man Visionär sein, und ich bin zu sehr Realist». Fährt man mit dem Bus an einem Sommerabend vom Hauptbahnhof nach Höngg, beobachtet man bis zur Nordstrasse Leben – danach, und speziell in Höngg, scheint es, als wären die Gehsteige längst hochgeklappt worden. Ausser ansatzweise am Zwielplatz, wo Kiosk und Kebabstand bis spät nachts Menschen nach draussen locken. Man mag das schätzen oder bedauern – nachdenklich macht es in beiderlei Hinsicht. Genau mit diesem Ziel war der «Höngger» in die Arbeiten zu diesem Fokus-Thema gestartet: Nachzudenken.

Podiums- und Diskussionsabend
Montag, 3. Juli, 19.30 Uhr, Fasskeller Zweifel Weine, Regensdorferstrasse 20.
Gäste:
Andreas Egli, Gemeinderat FDP und Vorstand Quartierverein Höngg
Beni Weder, Präsident Quartierverein Wipkingen
Florian Berner, Architekt und Stadtplaner, Weyell Berner Architekten, Zürich
Moderation: Patrick Hässig, Zürcher Radiomoderator
Anschliessend Apéro.

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