Ein Catwalk der etwas anderen Art

Ferienzeit ist Reisezeit: Da kann auch die «Höngger»-Redaktorin Dagmar Schräder ihr Quartier verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen. Was bietet sich da mehr an als ein Besuch im Zoo? Insbesondere dann, wenn der Zoodirektor zu einer Medieninformation einlädt.

Der neue Catwalk von oben. (Foto: Zoo Zürich, Ann Willemse)
Bei der Montage mit einem Kran. (Foto: Zoo Zürich, Nick Soland)
Der aufliegende Stamm stammt von einer Fichte. (Foto: Zoo Zürich, Nick Soland)
Wird bald über den Catwalk laufen: ein Amur-Tiger. (Foto: Zoo Zürich, Enzo Franchini)
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Für viele Zürcher Familien steht ein Zoobesuch ganz oben auf der Agenda für Ferienzeiten. Auch und vor allem dann, wenn das Wetter so unberechenbar ist, wie es sich in dieser ersten Woche der Frühlingsferien präsentierte. Das war an diesem frostigen Mittwochmorgen deutlich zu erkennen.

Schon im Tram auf der Strecke zwischen Central und Endstation war der Anteil junger Familien an der Gesamtpopulation der Fahrgäste überdurchschnittlich hoch. Kleinkinder in Skihosen, mit Mützen, Handschuhen und Schals bestückt, rieben ihre Nasen an den beschlagenen Fensterscheiben, Mütter verteilten Kracker und Apfelschnitze an den bereits hungrigen Nachwuchs, Väter bemühten sich, ihre Zöglinge bei Laune zu halten.

Oben angekommen begann das obligate Spiel: Auf den auf dem Gehweg aufgemalten Fussspuren von Zebra und Löwe (oder waren es Strauss und Elefant?) bis zum Eingang des Zoos hüpfen. Doch nicht nur Eltern und deren Nachwuchs, ganze Busladungen von Ferienhorten oder sonstigen Ferienaktivitäten strebten morgens um 10 Uhr gemeinsam mit der Reporterin den Eingangspforten des Tiergartens entgegen. Eine bunte und fröhliche Menge, bereit, einen entspannten Tag mit allerhand tierischen Einsichten zu verbringen.

Doch anders als die übrigen Zoobesucher*innen hatte die «Höngger»-Reporterin keine Zeit zum Schlendern und gemütlichen Verweilen. Schliesslich hatte heute Zoodirektor Severin Dressen zu einer Medieninformation geladen. Und das wollte sich die Redaktorin nicht entgehen lassen. Also schnell zum Treffpunkt, direkt hinter dem Haupteingang, wo bereits eine relativ überschaubare Gruppe von rund zehn Medienschaffenden wartete.

Punkt 10.30 Uhr eröffnete Dressen die Medieninformation. Zu diesem Zweck nahm er sein Publikum mit auf die Baustelle. Weg vom Trubel des Eingangsbereichs, hin zur Baugrube in der Grosskatzenanlage. Ausgerüstet mit Leuchtwesten und schmucken Helmen, wie es der Vorschrift beim Baustellenbesuch entspricht.

Denn der Lebensraum von Tiger, Schneeleopard und Löwe wird momentan gerade totalüberholt. Eines der spannendsten Elemente der neuen Anlage ist soeben montiert worden: der «Catwalk». Für Models wäre dieser Laufsteg jedoch eine echte Herausforderung: Es handelt sich hierbei um eine 17 Meter lange stählerne Brücke in einer luftigen Höhe von 4,5 Metern, auf der die grossen Katzen in Zukunft von einem Gehege zum anderen wechseln können. Als eigentlicher Catwalk dient den Katzen dabei ein auf der Brücke installierter Baumstamm, über den sie balancieren müssen.

Damit erweitert sich der Lebensraum der Zoo-Katzen: In der neuen Anlage werden zwar wie bisher vier getrennte Gehege vorhanden sein, die unterschiedlichen Tierarten werden jedoch nach einem Rotationsprinzip regelmässig die Bereiche tauschen. Alle Bereiche werden demnach abwechselnd von allen drei Grosskatzenarten bewohnt werden.

Das bedeutet für die Katzen eine olfaktorische Bereicherung: Sie werden beim Wechsel in eine neue Anlage mit den Gerüchen der Vorbewohner konfrontiert, müssen sich jeweils erst mal neu orientieren und abklären, ob sich diese noch in der Anlage befinden. Wie oft solche Gehege-Wechsel vorgenommen werden, ist willkürlich und obliegt der Entscheidung der Tierpfleger*innen – das kann von mehrmals täglich bis zu einmal monatlich geschehen.

Mit dieser Tierrochade betritt der Zoo Zürich Neuland: «In der Form, wie wir es zu praktizieren gedenken, existiert ein solcher Catwalk bis anhin nirgends», erklärte Dressen. Es war zwar in Zürich und auch in anderen Städten bereits üblich, dass etwa die Wölfe von Zeit zu Zeit das Gehege der Tiger bewohnten, umgekehrt war jedoch ein Wechsel der Tiger in das Gehege der Wölfe nicht möglich. Und dass so komplett die Gehege ausgetauscht werden können, werde bis jetzt in keinem Zoo praktiziert.

Futter selbst verdienen

Neuland wird auch die angestrebte Futtermethode sein: In drei Gehegen werden Seilbahnen installiert, an denen die Futtertiere für die Grosskatzen durch die Anlage gezogen werden. Die Tiere werden sich ihr Futter also erarbeiten müssen. Für das menschliche Auge sieht das schier unmöglich aus: In einer Höhe von rund drei Metern wird die Seilbahn gespannt werden, das Futter wird also mitnichten am Boden durch die Anlage schleifen, sondern in der Höhe über die Köpfe der Katzen hinwegschweben – in grosser Geschwindigkeit.

Doch Dressen beruhigt die Medienschaffenden, die sich wundern, ob die Snacks für die Raubtiere überhaupt erreichbar sein werden: «Es ist unglaublich, welche Distanzen und Hindernisse beispielsweise wilde Schneeleoparden auf der Jagd überwinden können», erklärt er.

Gleichzeitig ist es aber durchaus gewollt, dass die Tiere mit dieser Futtermethode nicht immer Erfolg haben werden: «Mit der Seilbahn», so Dressen, «wollen wir das Element des Scheiterns in das Leben der Grosskatzen einbringen. Denn in der freien Wildbahn gelingt in der Regel nur 1 von 10 Jagdversuchen.»

Der Zoo will sich damit nun der natürlichen Lebensweise der Tiere ein wenig annähern: Wenn sie nicht schnell genug sind, um die Beute zu fangen, erhalten sie erst bei der nächsten Fütterung wieder die Gelegenheit, ein Stück Fleisch zu ergattern – natürlich unter kontrollierten Bedingungen, so dass keines der Tiere Gefahr laufen muss, an Hunger zu leiden. Doch wenn es gut funktioniert und die Tiere das präsentierte Futter als Jagdbeute anerkennen, werde fast ausschliesslich via Seilbahn gefüttert.

Ob die Pläne der Zooverantwortlichen aufgehen, werden diese schon sehr bald verifizieren können: Die Fertigstellung des Geheges ist bereits in wenigen Monaten vorgesehen. Über den Sommer werden dann die Pflanzen Gelegenheit haben, anzuwachsen, bevor die Tiere in die Anlage einziehen. Diese sind momentan für die Dauer der Bauarbeiten ausgezogen und in anderen Zoos untergebracht.

Ob dieselben Individuen, die vorher in Zürich lebten, wieder in die Limmatstadt zurückkehren werden, ist aber ungewiss. «Die Tiere werden vom Europäischen Zuchtprogramm zugeteilt», erklärte Dressen. Sicher ist jedoch, dass je ein Pärchen Schneeleoparden und Tiger sowie ein kleines Löwenrudel, bestehend aus einem männlichen Löwen und zwei bis drei Löwinnen, hier einziehen werden.

Verkannte Superhelden

Doch die Grosskatzen sind nicht die einzigen Protagonisten, die in der neuen Anlage bewundert werden können. «Vergessen Sie die Raubkatzen, jetzt kommen wir zu den wirklich wichtigen Tieren», versprach Dressen der versammelten Presse augenzwinkernd. Interessant und für die Biodiversität von enormer Bedeutung, zudem ebenfalls in ihrer Artenvielfalt bedroht –  aber nicht ganz so beliebt wie die Grosskatzen, sei die Tiergruppe, die in Zukunft im Löwenhaus ihr neues Domizil finden werde. Und etwas weniger Platz benötigen die Individuen dieser Gruppe auch: Es handelt sich um Insekten.

Insekten würden nicht nur in ihrer Bedeutung für unser aller Leben oft verkannt, es sei auch viel zu wenig bewusst, wie stark gewisse Arten gefährdet seien, erklärte Dressen seinem Publikum. Denn die Wirbellosen stellen zwar die artenreichste aller Tierklassen, gleichzeitig ist in dieser Tierklasse jedoch auch der Verlust der Artenvielfalt enorm hoch: Zwischen 50 und 75 Prozent der Gesamtbiomasse aller Insekten ist in den vergangenen 30 Jahren verschwunden.

Der Zoo betrachte es als eine seiner Aufgabe, sich für den Erhalt der Biodiversität einzusetzen, erklärte der Direktor den Medienschaffenden. Und diese Aufgabe beginne direkt vor der eigenen Haustüre. Deshalb soll das Löwenhaus den Insekten gewidmet werden.

Während draussen ein natürliches Habitat für heimische Insekten entstehen soll, wird daher im Inneren des Hauptraums ein «Insektenwald» entstehen. Hier werden sich tropische Insekten wie Stabheuschrecken, Käfer und andere faszinierende Krabbeltiere frei bewegen und von den Besucher*innen ohne trennende Scheiben betrachtet werden können. Und auch Spinnen wird es zu bewundern geben – dies allerdings wohl zur Erleichterung nicht weniger Besucher*innen dann doch hinter Glas: in der Spinnenhöhle werden in einem abgedunkelten Bereich die handtellergrossen Geisselspinnen auf ihren Besuch warten.

Ob die Bewohner des Insektenwalds in Zukunft Affen, Elefanten und Grosskatzen den Rang ablaufen werden und sich zu den heimlichen Stars der besuchenden Familien entwickeln werden? Man darf gespannt sein. Die Eröffnung von «Panterra» ist für das Frühjahr 2025 geplant.



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