Ein bisschen Italien in Höngg

Samuel Binkert hat schon überall gearbeitet und gewohnt – zum Glück tut er nun beides hier im Quartier.

«Ravioli, Delikatessen und Kinder» – Samuel Binkert vor dem «Bravo»-Ladenlokal.

Heute bin ich Ravioli, Delikatessen und Kinder. Das war aber natürlich nicht immer so. Angefangen hat alles vor zwölf Jahren, als meine Frau Daniela und ich kurz vor der Geburt unserer ersten Tochter in Höngg zusammengezogen sind. Ich arbeitete damals als Koch bei der Binz und wollte nicht mehr ständig die ganze Stadt durchqueren. Ausserdem sind die Restaurantzeiten nun mal schwierig, wenn man gerne Zeit mit der Familie verbringen würde. So haben Daniela und ich in einem leeren Ladenlokal «bravo Ravioli» eröffnet. Aber jetzt greife ich vor – nur eins muss ich noch sagen, damit es nicht falsch wirkt in einem Text, der nur um mich geht: ohne Daniela würde gar nichts laufen.
Vor «bravo» habe ich ein bisschen überall gearbeitet und gewohnt. Als Jugendlicher zog ich vor der Lehre für ein Jahr in die Toskana. Dort habe ich Italienisch gelernt und auf dem Agritourismo gearbeitet; habe Wohnungen geputzt, abgewaschen, die Pferde versorgt und bin mit den Hunden spazieren gegangen. Zurück in der Schweiz fing ich meine Lehre als Koch an und lernte klassische französische Küche, aber mein Italienjahr hat mich kulinarisch geprägt.
Als ich den Lehrabschluss in der Tasche hatte, merkte ich, dass ich etwas anderes wollte. So fing ich die Dimitri-Schule an. Nach drei Monaten Probezeit hatte ich aber genug vom Jonglieren und den Purzelbäumen und merkte, dass ich trotzdem gerne als Koch arbeiten würde. So kam ich zu Meret Bissegger in die Küche. Das war eine Horizonterweiterung! In der Lehre hatte ich Rüebli gerüstet und Bohnen geputzt, wie man Rüebli eben rüstet und Bohnen putzt. Hier bekam ich eine ganz neue Sicht auf Gemüse, Kräuter und deren Verwendung.
Nach einem Jahr in der Küche ging ich zur Filmschauspielschule. Während meines dreijährigen Studiums und den zwei Jahren, die ich danach als Schauspieler arbeitete, war die Gastro mein Nebenjob. Damals fing ich auch mit Caterings an, was ich bei «bravo» heute noch mache. Irgendwann merkte ich aber, alles nur halb machen, das geht nicht. So entschied ich dann, das Schauspiel aufzugeben. Denn sich beim Vorsprechen immer selbst verkaufen zu müssen und daneben nur in der Küche zu arbeiten, um Geld zu verdienen, gefiel mir nicht. Ich investiere mich gerne voll.
In der Zwischenzeit hatte ich einen guten Freund gefunden, der sich auf Filmcaterings spezialisiert hatte. Mit ihm war ich vier Monate in Barcelona und in Deutschland auf dem Set von Süskinds «Parfum», dann bei «Krabat» in Rumänien – und merkte: ich bin auf der Seite des Kochs richtiger als auf jener des Schauspielers. So war ich von Anfang an dabei, als mein Freund das G27 bei der Binz übernahm… und damit sind wir wieder beim Anfang dieses Texts.
Drei Jahre lang arbeitete ich im G27. Wir hatten dort Ravioli von einem anderen Lieferanten und ich fand das ein lässiges Produkt – man kann sie immer essen und mit allem füllen. Die Anfangsidee hinter «bravo Ravioli» war, Restaurants zu beliefern, tagsüber zu produzieren und abends Zeit für die Familie zu haben. Den Laden wollten Daniela und ich nebenbei als eine Art «Rampenverkauf» führen, weil er eben ein Schaufenster hatte. Wir hätten nie gedacht, dass man an einer so uncharmanten Strasse einen Laden haben kann, der so gut läuft. Vor zwei Jahren haben wir dann auch die Metzgerei nebenan übernommen – ohne viel Vorwissen, einfach, weil die sonst zugegangen wäre. Unser Prinzip ist, sich dort zu investieren, wo man lebt.
Heute arbeiten bei «bravo» sechs Menschen, Daniela und ich. Ausserdem ist mittlerweile meine ganze Familie in den Betrieb involviert. Meine Mutter kümmert sich schon seit bald zehn Jahren um die Büroarbeiten und um die Wäsche. Meine beiden jüngeren Zwillingsschwestern, die das Grafikatelier meines Vaters übernommen haben, machen alles, was die Gestaltung und den Auftritt von «bravo» betrifft. Die Partnerin meines Vaters macht die Zeichnungen für unsere Etiketten und mein Schwager röstet unseren Kaffee.
Daniela verkauft sehr gerne. Ich mag es am liebsten, am Morgen alle zu begrüssen und zu schauen, wer was zu tun hat. Kundenkontakt ist mir auch wichtig, aber in meinem Fall sind das vor allem Restaurantkunden: Wir beliefern Restaurantküchen um den ganzen Zürichsee herum. Das nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch und ich bin immer mal wieder einen ganzen Tag unterwegs. Aber Restaurantküchen zu beliefern, ist für mich immer ein bisschen wie Nachhausekommen und ich mache das sehr gerne.
Unser Olivenöl ist der Grundstein von allem, was wir kochen. Ich fahre jedes Jahr in die Toskana, an den Ort, wo ich in meinem Italienjahr gelebt habe, um bei der Olivenernte zu helfen. Sonst beziehen wir unsere Produkte sehr regional: Eier, Früchte, Gemüse und Säfte etwa kommen von Zürcher Bauernhöfen, manches vom Wegmann in Höngg, manches auch vom Engrosmarkt. Für unser Fleisch haben wir in der Umgebung einen Familienbetrieb gesucht, mit dem man von Person zu Person reden kann. Es kommt vom Eichenberger in Wetzikon, der gerade gross genug ist, neben der eigenen noch eine zweite Metzgerei zu beliefern. Sie machen beispielsweise auch unsere «Hönggerli». Und selbst unser Mehl stellen wir jetzt dann auf Schweizer Hartweizen um, darauf freue ich mich mega.
Wir sind jetzt so verwurzelt im Quartier, dass ich fast verheiratet bin mit Höngg. Dabei bin ich gar kein Stadtmensch. Aber der Wald ist ja nah. Dorthin gehe ich in meiner Freizeit gern – mit dem Velo oder mit meinen beiden Töchtern.

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