Ein architektonischer Rundgang

Auch im neuen Jahr führt der «Höngger» die Artikelserie zum Thema Architektur fort. Den Beginn macht ein kleiner Quartierrundgang mit einer Höngger Architektin.

Die Architektin Regula Wüst hat sich viel Zeit genommen, um dem "Höngger" ihre Lieblingsgebäude zu zeigen. (Foto: Dagmar Schräder)

Neujahrsspaziergänge sind eine schöne Tradition. Warum also nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und bei einem Spaziergang gleich noch etwas über die Architektur in Höngg lernen? Die Höngger Architektin Regula Wüst hat sich die Zeit genommen, dem «Höngger» auf einem Rundgang durchs Quartier einige ihrer Lieblingshäuser zu zeigen und zu erklären, warum diese Gebäude sie besonders faszinieren.

Nachhaltiges Bauen

Die Runde startet an diesem frostig kalten Samstagnachmittag im Rütihof. Hier, ganz oben an der Hurdäckerstrasse, oberhalb des alten Dorfkerns, liegt die Überbauung «Sunny Woods» des Architekturbüros Kämpfen Zinke + Partner AG. «Diese 2001 fertiggestellte Überbauung im Minergie-Standard fasziniert mich, weil sie zu einer Zeit erbaut wurde, als es noch gar nicht üblich war, in diesen Standards zu bauen», erklärt Wüst. Der Holzbau ist mit einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach ausgerüstet sowie mit Röhrenkollektoren, die die Balkongeländer bilden und für die Warmwasserbereitung zuständig sind.» Tatsächlich war es bei der Erstellung sogar das erste Mehrfamilienhaus der Schweiz, dem ein Nullheizenergiekonzept zugrunde lag. Die sechs zweigeschossigen Wohnungen haben jeweils den Charakter von Einfamilienhäusern, jede Wohnung hat durch Terrassen oder Balkone Zugang zum Aussenraum. «Mir gefällt der Bau zudem, weil er sich architektonisch gut in den alten Dorfkern einfügt. Das Holz altert auf natürliche Weise und behält so seinen lebendigen Charakter.»

Schön gelegen und nachhaltig: Sunny Woods im Rütihof (Foto: Dagmar Schräder)

Zeuge der Moderne

Und weiter geht’s. Vorbei an den Gebäuden der Wohngenossenschaft «Kraftwerk», die für Wüst ebenfalls zu den interessanten Häusern gehören, jedoch an anderer Stelle noch ausführlicher thematisiert werden sollen, zum Schulhaus Riedhof. «Das Riedhof hat es mir sehr angetan», erklärt sie ihre Auswahl. «Hier wäre ich als Kind selbst gerne zur Schule gegangen. Die Lage direkt im Hang mit Blick über die Stadt und das Limmattal ist einmalig. Die langgezogenen, aber relativ niedrigen Körper und die Anordnung der Gebäude mit den verschiedenen Ebenen und Terrassen erscheinen mir sehr kindgerecht. Auch von innen ist der Bau durchdacht, mit kleinen Arbeitsnischen auf den Korridoren und Oberlichtern, die für Helligkeit sorgen.» Erstellt wurde das Gebäude in den frühen 60er-Jahren, Erstbezug war 1963. Architekt war Alfred Roth, ein wichtiger Vertreter der Moderne und des «neuen Bauens» und während einiger Jahre Mitarbeiter des berühmten Architekten Le Corbusier.

Schulhaus Riedhof: Hier wäre die Architektin gerne noch einmal Schülerin. (Foto: Dagmar Schräder)

In die Umgebung einfügen

Die nächste Station ist wieder eine Wohnanlage, direkt neben dem Oberstufenschulhaus Lachenzelg an der Imbisbühlstrasse gelegen. Es handelt sich um ein neueres Mehrfamilienhaus der Architekten Gmür & Steib , 2008 realisiert. Das Gelände sei relativ schwierig zu bebauen gewesen, so Wüst, da es sich um ein sehr tiefes Grundstück gehandelt habe. So ist jetzt auch der Grundriss des Gebäudes mit einer Tiefe von 30 Metern nicht ganz alltäglich geworden. «Diese Besonderheit macht den Grundriss sehr interessant und führt zu ausserordentlich grosszügigen Wohnräumen – hat aber auch einen Nachteil: es ist nicht ganz einfach, für genügend Lichteinfall zu sorgen – insbesondere im Erdgeschoss», erläutert Wüst. Die Räume sind daher mit drei Metern sehr hoch gestaltet, um noch mehr Licht «einzufangen». Während das Haus auf der Vorderseite einen einheitlichen Riegel darstellt, weist der Grundriss zudem auf der Rückseite Vorsprünge auf, die durch weitere Ecken und Fensterfronten ebenfalls für besseren Lichteinfall sorgen.

Tiefe Räume und hohe Decken sind charakteristisch für die Überbauung an der Imbisbühlstrasse. (Foto: Dagmar Schräder)

Auch Beton hat ein Leben

Bei der Siedlung Jakobsgut an der Limmattalstrasse schliesslich gerät Wüst ins Schwärmen. «Hier, direkt neben dem Tramdepot Wartau habe ich selbst mal gewohnt und war sehr zufrieden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in eine dieser Wohnungen einzuziehen.» Die Siedlung, bestehend aus zwei Riegelbauten und einem Punktbau, ist fast genauso alt wie das Schulhaus Riedhof und wurde zwischen 1966 und 1968 von Otto Glaus und Ruedi Lienhard erbaut. Auch diese beiden Architekten orientierten sich in ihrer Bauweise an Le Corbusier, Otto Glaus arbeitete vor seinem Studium im Atelier von Le Corbusier. So sind sämtliche Abmessungen der Gebäude genau nach dem für Corbusier bekannten Masssystem, dem «Modulor» konzipiert. Dabei werden für ein natürliches Wohngefühl Längenmasse und -verhältnisse entwickelt, welche sich ausschliesslich auf den Goldenen Schnitt und aus Proportionen des menschlichen Körpers beziehen. «Die Wohnungsgrundrisse sind sehr spannend, die Wohnungen lichtdurchflutet. Zur Auflockerung trägt auch der grüne Innenhof bei, der sich zwischen den drei Gebäuden befindet», erläutert Wüst. Das Besondere an dieser Siedlung aber, so Wüst, sei die spielerische Verwendung des rohen Betons als Baumaterial. «Basierend auf dem internationalen Brutalismus entwickelte sich in der Schweiz eine plastische Tendenz in der Architektur, welche in diesem Projekt besonders gut zu erkennen ist. Überall ist die Fassade von Balkonen, kleinen Vorsprüngen und ausgestalteten Ecken durchsetzt, jedes Element ist anders geformt. Diese Häuser sind aus meiner Sicht wirklich einmalig. Heute wäre so eine Bauweise unbezahlbar.» Und auch wer sich auf den ersten Blick nicht für den rohen Beton begeistern kann, muss auf den zweiten Blick erkennen, dass die Fassaden dieser Häuser keineswegs kalt und roh wirken. Auf dem Beton ist noch die Holzmaserung der Schalungsbretter zu erkennen, mittels derer die Betonwände gegossen wurden – der Rohstoff wirkt so sehr natürlich.

Roher Beton mit viel Liebe zum Detail bei der Siedlung Jakobsgut. (Foto: Dagmar Schräder)

Ein transparentes Haus

Zum Abschluss des lehrreichen Spaziergangs, der nun schon fast zwei Stunden dauert, hat sich Wüst noch eine letzte Überbauung ausgesucht. Die Siedlung «Neuhaus» liegt an der Riedhofstrasse und ist wieder etwas neueren Datums. Zwischen 1998 und 2001 erstellte das Architekturbüro Frei/Ehrensperger die auffallenden Häuser mit der roten Klinkerfassade. «Die beiden Architekten lassen sich bei ihren Projekten gerne von asiatischen Bauweisen inspirieren», erklärt Wüst, die selbst einige Jahre in dem Büro beschäftigt war. Spannend sei dabei etwa die Ausgestaltung der Wohnungen, bei deren Grundrissen sich die Zimmer jeweils um einen relativ breiten Korridor gruppieren, der so fast wie ein eigenes Zimmer genutzt werden kann. «Transparenz» ist im Zusammenhang mit der Siedlung ein weiteres wichtiges Schlagwort: Die Architekten arbeiteten bei dem Bau mit sehr viel Glas, nicht nur durch grosse Fensterfronten, sondern auch durch transparente Raumteilungen. So entstehen immer wieder neue Sichtbezüge, zum Beispiel ist die Küche durch eine Scheibe vom Wohnraum abgetrennt, auch das Reduit weist eine Glastüre auf. Von aussen lässt sich dadurch via Küchenfenster quasi einmal quer durch die ganze Wohnung schauen.

Die Siedlung Neuhaus fällt durch ihre rote Klinkerfassade auf. (Foto: Dagmar Schräder)

Gelungene Integration

Diese Überbauung, so Wüst, sei für sie – ähnlich wie auch der nachhaltige Bau Sunny Woods im Rütihof oder die Gebäude an der Imbisbühlstrasse – ein gutes Beispiel dafür, wie auch grössere Bauten mit verdichteter Bauweise harmonisch in bereits bestehende Quartierstrukturen eingefügt werden können – selbst in Gebieten, wo traditionellerweise sonst eher kleine Einfamilienhäuser zu finden sind. «Das», so Wüst, «gelingt leider auch hier in Höngg allzu oft nicht.»

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