«Diese Geschichte löst bei allen Menschen etwas aus»

Die Höngger Journalistin Jeannine Borer veröffentlichte eine fünfteilige Podcast-Serie mit dem Titel «Ohn(e)Macht – ein Vater und seine verlorenen Töchter». Es ist die Geschichte eines Mannes, dem seine Kinder über Jahre vorenthalten wurden. Die Folge war ein gewaltiger juristischer Kampf. Die Gegenseite zog alle Register.

Jeannine Borer ist eine Moderatorin und Podcasterin aus Höngg. (Foto: zvg)

Als die Journalistin Jeannine Borer vor sieben Jahren per Mitfahrgelegenheit nach Elba reisen wollte, ahnte sie nicht, welche Abgründe sie dabei erfahren würde. Der Fahrer, sein Name ist Martin, mit dem sie auf der neunstündigen Fahrt über Gott und die Welt sprach, offenbarte ihr seine persönliche Geschichte: die eines Vaters, der seine Kinder seit 25 Jahren nicht mehr gesehen hat.

Der Grund: Seine Ex-Frau entfremdete ihm die Töchter. Der vernichtende Vorwurf des sexuellen Missbrauchs kam hinzu. Es war der Beginn eines langen juristischen Kampfes, der sich wie ein Krimi liest.

«Seine Biografie hat mich sofort bewegt», sagt die Hönggerin, die als selbstständige Moderatorin und Podcasterin arbeitet. «Auf der einen Seite empfand ich grosse Empathie für Martin, was aber ein Dilemma war, denn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs wog schwer», erzählt sie.


Dennoch war sie an dem Fall interessiert und erhielt fünf Bundesordner mit juristischen Dokumenten aus 20 Jahren sowie die Tagebücher von Martin. Doch zunächst wollte, nein, sie musste sich mit dem Vorwurf der sexuellen Gewalt befassen.
«Auch nur einen Hauch von Zweifel hätten es mir nicht erlaubt, diese Geschichte weiterzuverfolgen», sagt die ehemalige SRF-Mitarbeiterin.

Sie studierte die Akten, wandte sich mit den vorhandenen Gutachten an Expert*innen und kam zum Schluss: Der Vorwurf diente als Mittel zum Zweck, die Kinder vom Vater zu entfremden. Der Weg war frei, um die gesamte Geschichte aufzurollen. Ein Fall, der stellvertretend für die «Eltern-Kind-Entfremdung» gilt. Die Schweizerische Vereinigung gemeinsamer Elternschaft geht davon aus, dass es hierzulande rund 13 000 Kinder gibt, die keinen Kontakt zu einem Elternteil haben.

Ohnmacht war das Resultat

Bei der Arbeit wurde Borer nach einiger Zeit klar, dass sie sich nicht alleine dem Fall annähern kann. Unterstützung erhielt die Podcasterin von ihrem ehemaligen Kollegen beim SRF, dem Journalisten Roland Schnetz. «Er war offen für die Idee, gemeinsam eine grosse Recherche zu machen», so Borer.

Und so arbeiteten sich beide gemeinsam durch die Fakten. Neben der Entfremdung und dem vorgeworfenen Missbrauch geht es auch um Verfolgungsjagden, das spurlosen Verschwinden, ein Kinderheim, sogar um eine sektenähnliche Organisation.

«Ich gebe zu, ich kam an meine Grenzen. Auch entwickelte ich eine Art Stellvertreterwut, denn Martin blieb in all den Jahren gegenüber seiner Ex-Frau zuvorkommend, handreichend und immer voller Hoffnung», so Borer. Erhalten habe er am Ende nichts. Eine Enttäuschung reihte sich an die nächste. «All seine Bemühungen sind verpufft, Ohnmacht war das Resultat.»

Keine Stimme fehlt

Nach der Recherche, die ein halbes Jahr andauerte, galt es, eine Dramaturgie für den Podcast zu gestalten. «Das Storytelling ist sehr wichtig, also mussten wir mehrere Spannungsbogen kreieren.» Die Geschichte sollte schliesslich aus fünf Teilen mit je 25 Minuten bestehen.

Eine Gratwanderung galt der Sprache selbst: Diese musste für die Zuhörenden «einfach bleiben», dennoch sollten die juristischen Tatsachen korrekt wiedergegeben werden. «Zwischenzeitlich war unser Büro nur so mit Post-its übersät», erinnert sich die Journalistin.

Der Podcast gibt auch weiteren Stimmen das Wort: So äussert sich die Kesb zu dem Fall, aber auch die Mutter von Martin. Ein weiterer Punkt: Die Neutralität gegenüber der Ex-Frau musste gewahrt bleiben. «Wir haben versucht, die Frau zu kontaktieren, was ins Leere lief. Aber wir hatten Einblick in die gesamte juristische Korrespondenz, daher können wir ihren Standpunkt ein wenig nachzeichnen», sagt Borer.

Das vertonte Skript, mit Musik von Lukas Fretz und einem Sounddesign von Simon Meyer, trägt den Titel «Ohn(e)Macht – ein Vater und seine verlorenen Töchter» und ist mittlerweile auf allen gängigen Portalen wie Spotify zu hören. «Wir erhalten viel Resonanz, auch Martin selbst, denn diese Geschichte löst bei allen Menschen etwas aus», so Borer. Das Thema habe eine gesellschaftliche Relevanz.

«Wir alle kennen Situationen, in denen wir loslassen und akzeptieren müssen, auch wenn es schwerfällt», sagt sie. Aber für ihren Protagonisten sei nach Jahren der Stille nun auch eine gewisse Resonanz fassbar geworden. «Daher bin ich sehr stolz auf diesen Podcast.»

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