Die Öffentlichkeit im Visier

Nicht nur Privatpersonen setzen vermehrt auf die Überwachung der Umgebung mittels Videokameras, auch die öffentliche Hand nutzt die Möglichkeiten der Technik, um den öffentlichen Raum zu schützen und Kriminalität zu verringern. In Zürich gehören Kameras zum alltäglichen Strassenbild. Aber wer hat den Überblick und was sind die Rechtsgrundlagen?

In der Stadt Zürich sind mehr als 3000 Kameras auf den öffentlichen Raum und öffentlich zugängliche Gebäude gerichtet.
An Schulhäusern werden die Videokameras zur Eindämmung von Vandalismus und Einbrüchen eingesetzt.
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Unbemerkt kann man sich heute wohl in keiner grösseren Stadt mehr durch den öffentlichen Raum bewegen. An Bahnhöfen, im öffentlichen Verkehr, an neuralgischen Punkten – überall sind Kameras montiert, die Kriminalität verringern und die Sicherheit erhöhen sollen. Manche Grossstädte wie etwa London sind bekannt dafür, dass sie ihre Bürger*innen auf Schritt und Tritt beobachten, fast lückenlos ist der öffentliche Raum hier durch Kameras abgedeckt. Eine heikle Gratwanderung im Spannungsfeld zwischen dem Sicherheitsbedürfnis und dem Grundrecht auf Freiheit und Privatsphäre. Doch wie ist eigentlich die Situation in Zürich im Allgemeinen und Höngg im Speziellen?  Was ist der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Öffentlichkeit überwacht werden darf? Wo befinden sich die Kameras? Und nicht zuletzt: welchen Effekt hat die Überwachung tatsächlich?

 Zweck- und Verhältnismässigkeit müssen überprüft werden

Rechtlich untersteht die Videoüberwachung durch die öffentliche Hand im Grunde genommen den gleichen Prinzipien wie die private Überwachung. So ist die Überwachung von öffentlichen Orten in der Schweiz zulässig, wenn sie zweck – und verhältnismässig ist. Vor jeder geplanten Installation, so ist dem Leitfaden «Videoüberwachung durch öffentliche Organe» des Datenschutzbeauftragten des Kantons Zürichs zu entnehmen, ist das öffentliche Organ verpflichtet zu prüfen, ob die Installation zur «Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet und erforderlich ist und ob der Eingriff in das Grundrecht im Verhältnis zum verfolgten Zweck steht». Es muss sich also auch begründen lassen, dass andere, weniger in die Privatsphäre eingreifende Mittel zur Erreichung des erwünschten Zwecks nicht greifen. Zudem hat die Videoüberwachung transparent zu sein, es muss also mittels eines Hinweises gekennzeichnet werden, dass Aufnahmen gemacht werden. Auch die Aufbewahrungsfrist muss verhältnismässig und die Löschung garantiert sein. Werden Daten weitergegeben, ist zu benennen, an welche Behörde sie weitergegeben werden. Betroffene Personen haben ein Auskunftsrecht, die Daten müssen vor dem Zugriff Unberechtigter geschützt werden.

Welches Gesetz ist zuständig?

Nicht ganz einfach zu überschauen ist, welche Gesetze für die Installation von Videoanlagen zuständig sind. Für private und öffentliche Überwachung sowie die Aufzeichnungen im öffentlichen Verkehr sind jeweils andere gesetzliche Bestimmungen zuständig. So regelt das «Bundesgesetz über den Datenschutz» (DSG) die private Installation von Videokameras. Für die Überprüfung und Sicherstellung der Einhaltung der Gesetze ist demzufolge auch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte zuständig. Für Gemeinden und kantonale Stellen gilt dagegen das Informations- und Datenschutzgesetz (IDG) des Kantons Zürich. Beaufsichtigt wird die Einhaltung hier vom Kantonalen Datenschutzbeauftragten. In der Stadt Zürich dagegen ist nicht der kantonale, sondern der städtische Datenschutzbeauftragte für alle Fragen zum Thema zuständig. Wiederum ein eigenes Reglement weisen die Verkehrsbetriebe des ZVV sowie die SBB auf, die dabei nicht dem Kanton, sondern direkt dem Bund unterstellt sind. Sie müssen sich an die «Verordnung über die Videoüberwachung im öffentlichen Verkehr» halten. Auch die Polizei hat eigene Kompetenzen, die im Polizeigesetz festgehalten sind.

Wer überwacht?

Aufgrund dieser verschiedenen Reglementierungen ist es nicht ganz einfach zu eruieren, wie viele Kameras in Zürich im öffentlichen Raum beziehungsweise in öffentlichen Gebäuden tatsächlich aufgestellt sind.  Aus dem Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten der Stadt Zürich aus dem Jahr 2013 geht hervor, dass die Stadtverwaltung damals rund 2000 Kameras im Einsatz hatte. Seither sind in den Tätigkeitsberichten keine weiteren Zahlen mehr veröffentlicht wurden, nach Informationen von Lokalinfo waren es jedoch bis 2018 bereits insgesamt rund 3400 Kameras, die den öffentlichen Raum überwachten. Rund die Hälfte davon entfällt demnach auf die VBZ, der Rest verteilt sich auf dreizehn verschiedene städtische Dienstabteilungen wie die Polizei, Organisation und Informatik, Spitäler, Gesundheitsdienste, Immobilien –inklusive Schulhäuser, Sportamt, Wasserversorgung, Entsorgung & Recycling, Tiefbauamt und Elektrizitätswerk.

Wo sind die Kameras?

Zwar müssen die Videokameras vor Ort gekennzeichnet sein, doch eine offizielle, komplette Liste der Stadtverwaltung, auf der alle vorhandenen Kameras aufgeführt sind, ist von Seiten der Stadt nicht erhältlich. Auch eine Anfrage bei der Datenschutzbeauftragten ergibt zunächst keine genaueren Informationen. Allerdings, so lässt sich hier erfahren, sind die einzelnen Departemente der Stadtverwaltung, die Kameras aufstellen, verpflichtet, ein Reglement zu erlassen und der Datenschutzstelle zur Prüfung vorzulegen. Sobald die Videoüberwachung der städtischen Verwaltungsstelle öffentlichen oder allgemein zugänglichen Raum betrifft, wird das Reglement publiziert und in die «Amtliche Sammlung der Stadt Zürich» aufgenommen. Hier ist nicht nur der Gebrauch und der Zweck der Kamera definiert, sondern auch, wo sie zu finden sind. Wer Hinweise auf die Standorte von Kameras der städtischen Verwaltung sucht, findet sie also einerseits in der Amtlichen Sammlung, zudem aber auch auf den Webseiten der betreffenden Departemente. Doch längst nicht alle Kameras sind hier zu finden: Polizei, SBB und VBZ sind nicht dem städtischen Datenschutzbeauftragten verpflichtet und führen daher separate Verzeichnisse – mit unterschiedlicher Transparenz: Während Informationen zu den von den VBZ und der Polizei genutzten Kameras relativ einfach zu finden sind, ist die SBB da weniger transparent. Wie viele Kameras etwa im Hauptbahnhof das Geschehen verfolgen und wo sie stationiert sind, konnte der «Höngger» nicht in Erfahrung bringen.

In Höngg nur wenig Kameras

In Höngg beziehungsweise im Kreis 10 sind es gemäss diesen Informationen die Verwaltungsgebäude wie das Kreisgebäude am Wipkingerplatz, das Sozialzentrum sowie der Polizeiposten, die eine Videoüberwachung aufweisen. Auch das Stadtspital Waid setzt auf Kameras zum Schutz von Personen und Gebäuden.
An den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs befinden sich in Höngg keine Kameras. Momentan werden auf Stadtgebiet nach Angaben der VBZ 19 von 440 Haltestellen videoüberwacht, wie beispielsweise das Central, das flächendeckend mittels Videoaufnahmen überwacht wird. Innerhalb der Verkehrsmittel müssen Fahrgäste in allen Cobratrams sowie in den Doppelgelenkbussen mit Videoaufzeichnungen rechnen.
Vermehrt werden zudem die Schulhäuser in der Stadt Zürich mittels Videos überwacht. Insgesamt sind es nach Angaben der Stadtverwaltung mittlerweile 844 Kameras, die an 41 verschiedenen Schulhäusern installiert sind. In Höngg sind es bis anhin das Schulhaus «Am Wettingertobel» sowie das Oberstufenschulhaus Lachenzelg, die mit Videokameras ausgerüstet sind. Das Lachenzelg wird bereits seit über sieben Jahre per Video überwacht, nachdem sich damals Vandalismus und Einbrüche gehäuft hatten. Hier sind die Kameras, wie Schulleiter Flückiger in einer E-Mail erklärt, «strikt nur auf die Aussenfassade gerichtet» und werden lediglich ausserhalb der Schulzeiten betrieben. Auf die Aufzeichnungen hat nur die Polizei im Falle einer erfolgten Straftat Zugriff. Andere Schulhäuser wie das Vogtsrain sind nach Angaben der Schulleitung zwar in letzter Zeit häufiger mit dem Problem von Vandalismus und Littering konfrontiert, greifen bis jetzt aber noch nicht auf die Überwachung per Video zurück.

Vandalismus durch Kameras eindämmen

Bezüglich der Verhinderung von Vandalismus oder Einbrüchen haben die Schulhäuser nicht nur in Höngg gute Erfahrungen damit gemacht. Wie Thomas Flückiger mitteilt, ist «die Wirkung der Kameras gross. Seit diese installiert sind, hatten wir gar keinen Einbruch und auch fast keinen Vandalismus an den Schulhausfassaden mehr. Das ist natürlich für uns eine grosse Erleichterung». Auch die anderen Schulen sehen einen positiven Effekt, wie eine Antwort des Stadtrats aus dem Jahr 2017 auf eine Anfrage der SP-Gemeinderätinnen Barbara Wiesmann und Vera Ziswiler zu erkennen gibt. In einer Aufstellung zu den durch Vandalismus verursachten Kosten aus dem Jahr 2016 haben «sich die bei der Immo erfassten Vandalismus- und Graffitischäden in städtischen Schulanlagen seit 2010 die erste Videoüberwachung installiert wurde, von über 750 000 Franken auf knapp 350 000 Franken reduziert». Weitere Kameras sind in den Schul- und Verwaltungsgebäuden der Stadt Zürich jedoch nach Angaben des Kommunikationsbeauftragten der Immobilienverwaltung der Stadt Zürich, Silvan von Wartburg, vorerst nicht geplant. 

Kriminalitätsprävention?

Inwiefern Videokameras darüber hinaus einen positiven Effekt auf Eigentums- oder Gewaltdelikte haben, ist dagegen durchaus Gegenstand kontroverser Diskussionen. Dass sie zur Aufklärung von Straftaten beitragen können, ist unbestritten, aber ob sie auch tatsächlich der Prävention dienen, lässt sich nicht ganz so einfach beantworten. So sanken beispielsweise einem Artikel des Tages Anzeigers aus dem Jahr 2017 zufolge in der Stadt Zürich selbst an Haltestellen, an denen die Verkehrsbetriebe Videokameras installiert hatten – wie am Bahnhofquai oder am Bellevue –  die dort begangenen Delikte nicht zwangsläufig – im Gegenteil, an manchen Orten nahmen sie gar zu. Auch andere Studien, etwa am Beispiel der Berliner U-Bahn deuten darauf hin, dass die Überwachung keinen präventiven Charakter auf die Kriminalität hat. Fachleute geben zudem zu bedenken, dass eine vermehrte Beobachtung eher zu einer Verlagerung von Kriminalität in andere, unbeobachtete Gebiete führen könne. Andere Massnahmen könnten stattdessen zur Verbrechensbekämpfung weit besser greifen. So zeigten etwa laut der Aufsichtsstelle für Datenschutz Basel-Landschaft zwei Studien aus Grossbritannien, einem Land mit europaweit einer der höchsten Dichten an Videokameras, dass die Videoüberwachung die Kriminalität nur um vier Prozent reduzieren konnte. Durch die bessere Beleuchtung von Strassen hingegen sank die Kriminalität um 20 Prozent.

Wie geht’s weiter?

Natürlich ist auch der Eingriff in die Privatsphäre und Freiheit der Betroffenen ein Thema, das in Bezug auf die stetige Beobachtung durch Kameras äusserst kritisch zu diskutieren ist. Neben der behördlichen stellt die zunehmende private Überwachung ein zusätzliches Problem dar. Gerade im privaten Gebrauch wächst die Anzahl von eingesetzten Kameras schnell – und diese müssen bis anhin weder registriert noch angemeldet sein. Obwohl Private eigentlich grundsätzlich den öffentlichen Raum nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen observieren dürfen – etwa, wenn ein Bankomat überwacht wird und dabei auch ein Stückchen Trottoir gefilmt wird – ist die Kontrolle darüber doch sehr begrenzt. Die Menge an installierten Apparaten führt so an manchen Orten schon fast wieder zu einer lückenlosen Überwachung, sobald die Daten verknüpft werden – was ebenfalls nicht kontrolliert werden kann. Aus diesem Grund haben die Gemeinderäte Luca Maggi (Grüne) und Christina Schiller (AL) im Jahr 2019 dem Stadtrat eine Motion eingereicht, die die Einführung einer Bewilligungspflicht für die Überwachung des öffentlichen Raums durch private Videokameras zum Ziel hat. Der Stadtrat hat bis Ende 2022 Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Grosse Sorgen in Bezug auf die Grundrechte bereiten vielen Fachleuten schliesslich die technischen Innovationen, die Gesichtserkennung auf den Aufnahmen zulassen. Mit dieser Technologie sowie der Verknüpfung verschiedener Aufnahmen lassen sich nicht nur Bewegungsprofile und -muster von einzelnen Personen verfolgen, sondern es kann beispielsweise auch bei Grossanlässen gezielt nach Verdächtigen gesucht werden. Was in anderen Ländern wie China bereits im grösseren Stil angewandt wird, wird in der Stadt Zürich noch nicht praktiziert, wie die Stadtpolizei auf Anfrage bestätigt – doch wenn die Technik da ist, wird sie früher oder später auch genutzt, da sind sich die Experten einig.

Viel sicherer geht es gar nicht

Und vielleicht ist ja so viel Überwachung gar nicht wirklich nötig? Sieht man sich den Sicherheitsbericht der Stadt Zürich aus dem Jahr 2019 an, erscheint die Lage in der Stadt eigentlich bereits sehr komfortabel: laut dem Bericht fühlen sich die Zürcher*innen insgesamt zu 88 Prozent in der Innenstadt eher oder sehr sicher, im Vergleich zu 85 Prozent im Jahr 2015. In Höngg fühlen sich dem Bericht zufolge gar 90 bis 94 Prozent der Bevölkerung sicher, wenn sie in der Nacht alleine zu Fuss im Quartier unterwegs sind.

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