Die Musik zum Wetter

Am Mittwoch, 22. Juni, lud die Sinfonietta Höngg zu ihrer traditionellen Serenade in die reformierte Kirche Höngg ein. Thema des Konzerts war eigentlich «Wiener Sommer» mit Werken von Joseph Haydn, Franz Schubert, Anton Bruckner und Johann Strauss (Sohn), vielmehr aber war die Zusammenstellung der Werke ein Kommentar zum stürmischen Wetter der letzten paar Wochen.

Applaus nach einem gelungenen Konzert.
Dirigent Emanuel Rütsche eilt dem Applaus entgegen.
Applaus, Applaus für alle!
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Emanuel Rütsche, der Dirigent des Konzerts, überraschte die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer mit der Ansage einer nichtprogrammierten Ouverture des «March for the Royal Society of Musicians», die Joseph Haydn 1772 in deren Auftrag komponierte. Ein Auftakt mit Pauken und Trompeten mit einem tragenden, sehr martialischen Thema, das aber immer wieder durch tänzerische Passagen gesprengt wurde.

Von den ersten Takten an gefesselt

Das Hauptwerk des Konzerts war Franz Schuberts fünfte Sinfonie in B-Dur, die noch zu seinen sechs «Jugendsinfonien» gehört. Schubert war 19 Jahre alt, als er diese komponierte. Sie fesselt einen von den ersten Takten an mit ihrem «Swing», ihrer Eleganz und der vorwärts drängenden Kraft.
Wenn zu Beginn im ersten Satz, dem Allegro, noch Naturklänge in einer heiteren Landschaft evoziert werden, wird zu dessen Schluss hin und dann im folgenden Andante con moto die Stimmung immer dramatischer. Nach einem scheinbar gemächlichen Hinschreiten auf einem Klangteppich, der von allen Instrumenten gelegt wurde, verdichtet sich die Stimmung gewittermässig – man könnte meinen, Schubert hätte die letzten paar Wochen hier verbracht.
Das Menuetto variiert die ganze Dramatik tänzerisch mit spannenden Kontrasten, und mit dem Schlusssatz, dem Allegro vivace, geht die Reise mit vollem Galopp bis zum krönenden Abschluss weiter. Schubert komponierte diese, wie auch die vierte und sechste Sinfonie, für ein Wiener Liebhaberorchester, das heute durchaus Sinfonietta Höngg heissen könnte.

Was soll Bruckner in einem Konzert der Sinfonietta?

Was soll Bruckner mit seinen gewaltigen Orchestersätzen mit einem riesigen Orchester in einem Konzert der Sinfonietta? Eine berechtigte Frage, die Emanuel Rütsche mit List beantworten konnte: Bruckner komponierte am Ende seiner unendlichen Studienzeit 1862 einen Marsch in d-Moll und drei Orchesterstücke «quasi im Taschenformat und in überschaubarer Besetzung». Also Bruckner light und gespielt von der Sinfonietta. Von wegen! Zuerst also der Marsch: Trommelwirbel, Marschschritte, kurze Takte zu Beginn, gefolgt von einem allerliebsten Melodielein, das sich zur Hymne entwickelt und dann: Peng, Schluss, resoluto – es wäre reine Filmmusik für einen Thriller in der Art von Clouzot oder Hitchcock.
Die darauffolgenden drei Sätze für Orchester, Moderato, Andante und Andante con moto, mit ihren schroffen Tempiwechseln, den Kontrasten von ganz leise zu donnerndem Bombast, von filigranen Einsprengseln, die von Tutti aufgesogen werden müssen, mit ihrem ganzen Blitz und Donner, sind wohl auch eine Herausforderung für Berufsorchester, geschweige denn für Amateure, sprich Liebhaber, wie für die Sinfoniettisten. Denn Bruckner light, das wurde allen klar, ist nur eine etwas kürzere Form von Bruckner heavy!

Aufführung glückte!

Es ist deshalb nicht nur der Mut des Dirigenten und seines Orchesters, das ihm folgte, zu würdigen, sondern auch die Aufführung selbst. Und diese, die wohl alle Probenkrämpfe und Zweifel am eigenen Können vergessen macht, glückte! Einmal mehr wurde eine Herausforderung an Konzentration, Präzision und Durchhaltewillen angenommen und gemeistert.
Johann Strauss‘ «An der schönen blauen Donau», 1867 komponiert, war der perfekte Kontrapunkt zu Bruckners Donnergrollen: Ein leichter Morgennebel liegt über den Donauauen, die Sonne geht auf, Libellen beginnen ihren Tanz, ein Schwanenpaar gleitet dahin, bis die Wellen der Donau an den Wiener Quais anschlagen und der Walzer die Tätigkeiten der Wienerinnen und Wiener mit Kraft und Verve zu schildern beginnt. Rütsche setzt bei diesem Evergreen, bei dem man vermeintlich jeden Takt zu kennen glaubt, schöne Akzente: mal seeliges Dahingleiten, dann rassig voranschreitend, um dann den ganzen Schmelz, den Strauss komponieren konnte, darunter und darüber zu giessen. So wurde den Musikern und wohl auch den Zuhörern ein befreites Lächeln ins Gesicht gezaubert.
Strauss und Bruckner waren zur gleichen Zeit in Wien und haben absolut gegensätzlich komponiert, und dennoch meint man, diesen besonderen Geist dieser Kulturstadt zu verspüren – aber vielleicht auch aus dem heutigen Wissen, dass sie beide für die Musik einer End-Epoche stehen. Eine Serenade mit leichter Kost an einem lauen Sommerabend? Nicht doch dieses Jahr. Aber schön, richtig schön war es an diesem Abend in der alten Höngger Kirche, an der schönen blauen Limmat.

Eingesandt von François Baer

 

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