Die gute alte Prinzenrolle

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über Erinnerungen, die man förmlich schmecken kann.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Es gibt den berühmten Schriftsteller Marcel Proust, dem beim Verzehr eines Madeleines Erinnerungen an vergangene Zeiten wieder hochkamen. Die hat er literarisch so gekonnt verarbeitet, dass die halbe Welt seine Erinnerungen teilt. Und dann gibt’s mich. Ich habe auch vor Kurzem so einen Proust-Moment gehabt. Allerdings nicht beim Genuss von Madeleines, sondern etwas banaler: beim Verzehr einer Prinzenrolle.

Wissen Sie, was das ist? Das sind runde Guetzli, wie eine Art Sandwich. Zwei Lagen trockener Keks, dazwischen eine schokoladige Creme. Die lagen kürzlich hier im Büro rum. Wusste gar nicht, dass es die noch gibt. Da konnte ich nicht widerstehen.

Und beim Biss in solch einen Keks, den Mund voller Krümel, kamen ganz viele Erinnerungen hoch. Schon lustig, wie das Gehirn funktioniert. Momente und Emotionen, die ich bewusst nie hätte abrufen können, waren schlagartig wieder da, während ich knusperte und mich ehrlich gesagt ein wenig darauf konzentrieren musste, nicht zu ersticken.

Plötzlich war ich wieder mittendrin in einem Samstagnachmittag in den 80er-Jahren, in meiner Kindheit. Ich sah alles ganz genau vor mir, mein Elternhaus, die gesamte Einrichtung, das Aquarium, sogar das Muster des grossen Teppichs, der da in der guten Stube lag.

Die Prinzenrolle war einer von zwei elementaren Bestandteilen eines solchen Nachmittags. Der andere waren die «Fraggles», eine Fernsehsendung. Bunte, lustige Handpuppen, die in einer Höhle unter einer menschlichen Wohnung lebten und dort ein sehr interessantes Eigenleben führten. Ich glaube, sie assen vor allem Radieschen und Teile von Bauwerken, die andere kleine Wesen erbauten. Ein absolutes Highlight eines jeden Wochenendes. Immer um 16 Uhr.

Die Vorbereitungen starteten aber gewiss schon eine halbe Stunde vorher. Gemütlich einrichten. Auf dem stoffig-karierten Sofa, in trendigem Stil der 70er-Jahre. Also alle rund hundert Stofftiere herbeischleppen, die dem Spektakel beiwohnen wollten. Sich in die von meiner Oma gestrickte Flickendecke einmummeln. Und die Keksrolle griffbereit legen. Dann eine halbe Stunde «Fraggles». Kurzer Spass, aber grossartig.

Oft konnte ich die Stofftiere danach gleich im Wohnzimmer liegen lassen. Denn abends war ja eh noch das Samstagabendprogramm angesagt. Und da versammelte sich die ganze Familie wieder vor dem Fernseher zu «Verstehen Sie Spass?» oder «Wetten dass…?». Mitfiebern, mitwetten und erst um zehn ins Bett.

Himmel, war das schön. Gute alte Zeiten. Völlig banale Erinnerung. Aber in ihrer Banalität trotzdem wunderbar. Eine heile Welt. Halt, das ist nur die romantische Verklärung. Gilt übrigens auch für den Geschmack dieser Kekse. So wirklich lecker sind die eigentlich gar nicht. Aber egal. Ich werde ihnen auf jeden Fall ewig dankbar sein für dieses kleine Flashback in meine Vergangenheit.

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