Die Gewalt aus dem Netz

99 Prozent aller Jugendlichen in der Schweiz ab 14 Jahren verfügen über ein Smartphone und damit über Zugang zum Internet. Was früher vor allem auf dem Pausenplatz stattfand, verlagert sich zunehmend ins Netz: Aus Mobbing wird Cybermobbing.

Im Internet erreicht Mobbing eine andere Dimension.

Im Einführungsartikel zum aktuellen Fokusthema «Medienkompetenz» (siehe Höngger vom 9. April) wurde aufgezeigt, wie und welche digitalen Medien von Jugendlichen genutzt werden. Eine kurze, nicht repräsentative Umfrage bei Schüler*innen der Oberstufe Lachenzelg ergab, dass die Jungen sich der Gefahren des Internets durchaus bewusst sind. Das Thema Mobbing, im virtuellen Raum Cybermobbing, Cyberbullying, Internet-, oder E-Mobbing genannt, ist allen bekannt. Was früher auf dem Pausenplatz passieren konnte, verlagert sich nun in die anonyme Welt des Internets: Eine Person wird über längere Zeit via WhatsApp, in Chatforen oder auf anderen Sozialen Medien wie Instagram oder Snapchat schikaniert. Die Beleidigungen, Bedrohungen und Blossstellungen können gravierende Folgen haben: In einer deutschen Studie gaben 21 Prozent der betroffenen Schüler*innen an, Suizidgedanken gehabt zu haben. Auch der Verlust von Selbstvertrauen, Angstzustände bis hin zu Depressionen können aus diesen bösartigen Attacken resultieren, auch lange Zeit später noch. Das Informationsportal zur Förderung von Medienkompetenzen Jugend und Medien hat es sich zur Aufgabe gemacht, über diese Art von Mobbing aufzuklären und Hilfestellungen für Opfer und Eltern zu geben. Gemäss Jugend und Medien wurde ein Fünftel der Schweizer Jugendlichen bereits einmal in Chats oder auf Facebook fertiggemacht. 30 Prozent der Jugendlichen gaben an, dass Fotos oder Videos von ihnen ohne Zustimmung ins Netz gestellt wurden.

Schwer zu erreichen trotz ständiger Erreichbarkeit

Von Mobbing wird erst gesprochen, wenn die Ereignisse wiederholt vorkommen. Anders als auf dem Pausenplatz hört das Schikanieren nicht auf, wenn das Opfer nach Hause geht: Via Smartphone und Computer treffen Beleidigungen und Bedrohungen potentiell 24 Stunden am Tag ein. Für Erwachsene kann es schwer sein, die Gedankengänge von Jugendlichen nachzuvollziehen. Während es älteren Menschen unverständlich ist, wieso ein*e Jugendliche*r beispielsweise nicht einfach die Person auf WhatsApp blockiert, wenn sie von ihr belästigt wird, oder sich nicht gleich aus Snapchat ausklinkt, wenn über sie hergezogen wird, sind solche Handlungen für viele Jugendlichen undenkbar. Das Phänomen, immer unterwegs sein zu müssen, um ja nichts zu verpassen, ist nicht neu. Es hat inzwischen einfach einen englischen Namen bekommen: «Fear Of Missing Out», oder kurz «FOMO». Und anstatt sich auf Partys und Bahnhofbänkli zu beschränken, hat sich diese Angst, nicht dazu zu gehören auf die digitalen Kanäle ausgeweitet. Dazu kommt der soziale Druck, keine Schwäche zeigen zu wollen und auf keinen Fall uncool zu wirken, auch das keine neuen «Probleme» der Jugend. Eine weitere Form von Gewaltverhalten ist das sogenannte «Happy Slapping». Auch dieses gab es schon vor der Digitalisierung der Welt: In einer Menschenmenge erhält man plötzlich einen Schlag ins Gesicht, der oder die Täterin verschwindet sofort wieder in der Masse. Heute machen sich gewisse Personen einen Spass daraus, mit dem Mobiltelefon Szenen aufzunehmen, in den andere verprügelt werden – real oder inszeniert – und diese Aufnahmen dann im Netz zu verbreiten. In der Schweizer JAMES-Studie aus dem Jahr 2018 gaben acht Prozent der Jugendlichen an, bereits eine gestellte Schlägerei gefilmt zu haben, sieben eine echte. Beide erwähnten Phänomene haben das Ziel, jemanden zu demütigen. Das Perfide daran ist, dass sich das Opfer meist noch schuldig fühlt oder sich schämt. Deshalb behalten viele solche Erfahrungen für sich. Die Eltern des 13-jährigen Mädchens, dass sich 2017 in Spreitenbach das Leben genommen hatte, nachdem sie massiv von zwei Jugendlichen bedroht und beleidigt worden war, sagten in einer Sendung der Rundschau des SRF, sie hätten immer über alles reden können, «aber das konnte sie mir nicht sagen, sie hat sich geschämt», sagt ihre Mutter. Obwohl die Jugendlichen permanent erreichbar sind – auf ihren elektronischen Geräten – sind sie nicht immer zugänglich.

Die Plattform Jugend und Medien hat Ratschläge für Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen zusammengestellt (siehe Infobox). Diese fangen beim sorgsamen Umgang mit eigenen Daten an, Bilder und Daten im Netz sind prinzipiell für jeden aufzufinden – und weiterzuverbreiten. Um zu zeigen, dass sie einigermassen informiert sind, sollten sich Eltern hin und wieder mit ihren Kindern an den Computer setzen, rät die schweizerische Kriminalprävention. Das setzt jedoch voraus, dass sie sich selber eine gewisse Medienkompetenz aneignen, sonst wirkten Verbote und Ratschläge schnell unglaubwürdig, erfahren die Eltern in der Broschüre «My little Safebook». Den Kindern soll klargemacht werden, welche Folgen Mobbing haben kann, aus psychologischer, aber auch rechtlicher Sicht. Wenn es zu Cybermobbing kommt, sollte das Beweismaterial mittels Screenshot gesichert werden und die belästigende Person gesperrt werden. Dies bedingt jedoch, dass die betroffene Person die Eltern darüber informiert, was wie erwähnt schwierig sein kann. Dann sollte der Kontakt zu den Lehrpersonen, der oder dem Täter*in oder deren Eltern gesucht werden. Erstberatung bieten die kantonalen Opferberatung oder die Schweizerische Kriminalprävention.

Kein Straftatbestand

Ein Beispiel, entnommen aus dem Leitfaden «Cybermobbing – alles was Recht ist» (siehe Infobox): Ein Junge namens Leo wird von seiner neuen Klasse nicht akzeptiert, die Klassenkamerad*innen hänseln ihn wegen seines Dialekts. Soweit, so harmlos. Doch dann eröffnet jemand aus der Klasse ohne Leos Wissen auf Facebook eine Hassgruppe mit dem Namen «Leo, das Arschloch». Darin posten sie Fotos von dem Jungen und erfinden Geschichten über ihn, die sie dann bösartig kommentieren. Als ein Lehrer die Seite zufällig entdeckt und die Schulleitung sowie die Eltern informiert, ist der angerichtete Schaden schon zu gross. Vermittlungsversuche mit der Klasse scheitern, eine Aussöhnung ist nicht mehr möglich. Leo wechselt erneut die Schule, eine Anzeige erstattet er hingegen nicht. Ganz offensichtlich handelt es sich hier um Mobbing, denn die Handlungen fanden über einen längeren Zeitraum statt. Nun ist Cybermobbing als solches im Gesetz nicht explizit als Straftatbestand aufgeführt. Die involvierten Handlungen, wie in diesem Fall Beschimpfung, Verleumdung und üble Nachrede, aber auch andere wie Erpressung und Drohung, die oft Bestandteil von Cyberbullying sind, hingegen schon. Diese können belangt werden.

Ansprechstellen bei Cybermobbing
• Jugenddienste der Polizei: www.skppsc.ch/de/download/jugenddienste
• Kantonale Opferberatungsstellen: www.opferhilfe-schweiz.ch
• Hilfetelefon der Pro Juventute mit Link auf kantonale Beratungsstellen:
www.147.ch
Erste Hilfe bei Cybermobbing für Betroffene
https://www.klicksafe.de/service/aktuelles/klicksafe-apps/
Informationsbroschüren
Broschüre «Cybermobbing – Alles was Recht ist» der Schweizerischen Kriminalprävention
Broschüre «My little Safebook» der Schweizerischen Kriminalprävention

 

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