Eine Tradition geht zu Ende

Fast 30 Jahre lang hat Vreni Wyss den «Höngger» Woche für Woche, später zweiwöchentlich, mit den «Gratulationen» beliefert. Mit dieser Tradition ist Ende Jahr Schluss.

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Eine Tradition geht zu Ende.

Wer in Höngg der reformierten oder der katholischen Kirchgemeinde angehört und den 80., 85., 90., 95. oder späteren Geburtstag feiert, wird im «Höngger» in den Gratulationen namentlich erwähnt. Zur Feier des Tages erhält sie oder er vom Quartier- und vom Frauenverein ein Blumengesteck von Blumen Jakob in einem «Höngger-Glas» mit handgeschriebener Karte. Den 100-Jährigen überreichen zwei Vertreter*innen der beiden Vereine das Geschenk persönlich. So ist es der Brauch, seit Margrit Wydler, die frühere Präsidentin des Frauenvereins Höngg, ihn in den 80er Jahren eingeführt hat. Und so hat es auch Vreni Wyss fast 30 Jahre lang gehandhabt. 1994 übernahm sie die Aufgabe, die Liste der Geburtstagskinder für die Gratulationen penibel zusammenzutragen. Sie weiss, wer nicht in der Zeitung erwähnt werden möchte und wer lieber keine Blumen will. Bis zu 350 Karten pro Jahr hat sie von Hand geschrieben, eine aufwendige Arbeit, vor allem als sie noch berufstätig war. Lange Jahre führte die Ur-Hönggerin nämlich das Club-Kafi des Grashoppers Club Zürich im Hardturmstadion, später auch in Niederhasli auf dem Campus – ein körperlich strenger Job, den sie aber bis weit über ihre Pensionierung hinaus mit viel Freude machte. Nun kommt die Tradition der Gratulationen zu einem Ende.

Treue Seele

Sich lange am selben Ort zu engagieren, ist schon fast ein Charakterzug von Wyss. Über 60 Jahre ist sie in der Damenriege des Turnvereins Wipkingen aktiv. Dies nicht etwa, weil sie nicht in den TV Höngg gehen wollte, sondern aus praktischen Gründen. Die Frauen in Höngg trainierten damals am Montagabend. An diesem Tag besuchte Wyss jedoch die Kaufmännische Schule und der Unterricht dauerte jeweils bis 21 Uhr. Also beschloss sie, sich stattdessen der Damenriege in Wipkingen anzuschliessen. Mittlerweile ist sie Präsidentin des Turnvereins, von dem nur noch die Frauen aktiv sind. «Wenn ich etwas mache, bleibe ich meist sehr lange dabei», sagt Wyss lächelnd. Doch auch hier steht eine Veränderung bevor: Im kommenden Jahr wird der Verein ganz in die Frauenriege des Turn- und Sportvereins Kaufleute Zürich übergehen und Wyss ihr Amt aufgeben. Turnen will sie aber weiterhin jeden Dienstagabend, das steht fest.
So beginnt ab 1. Januar also ein neuer Lebensabschnitt für die treue Seele. Dass die Gratulationen nicht mehr publiziert werden dürfen, hat mit den Datenschutzbestimmungen der beiden Kirchen zu tun. Wyss hat aber schon lange angekündigt, dass sie aufhören werde, wenn einmal die Gläser des Quartiervereins ausgehen würden. Nun sind nur noch wenige übrig und der Moment scheint richtig zu sein, um dieses Engagement aufzugeben. Sie gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge, meint die unglaublich junggebliebene Frau. «Ich habe immer wieder schöne Telefonanrufe erhalten von Menschen, die sich für die Karten und Blumen bedanken wollten, das hat mich jedes Mal gefreut», sagt sie. Doch bald 30 Jahre sind eine stolze Dauer, und es sei manchmal auch sehr streng gewesen. Deshalb sei es an der Zeit, dass diese Ära zu Ende gehe, meint Wyss, die lieber nicht zu viel Aufhebens um ihre eigene Person machen möchte. Ihren eigenen Namen hat sie nicht in die Gratulationen aufgenommen.

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