«Der Prozess des Schreibens fasziniert mich»

Die Astrophysikerin Simone Weinmann zeichnet in ihrem dystopischen Roman «Die Erinnerung an unbekannte Städte» das Bild einer Welt nach der Katastrophe. Das tut sie sprachlich meisterhaft.

Die Autorin Simone Weinmann hat mit ihrem ersten Buch bereits grossen Erfolg erlangt. (Foto: zvg)

2045. Beim Versuch, die Welt zu retten, kam es vor 15 Jahren zur Katastrophe. Die Menschen, die überlebt haben, wurden in mittelalterliche Zustände katapultiert ohne Strom, ohne medizinische Versorgung, nur mit marginalen Lebensmitteln. Viele finden Halt im Glauben. Der junge Nathanael glaubt nicht an Gott, sondern will Arzt werden und dazu ans Polytechnikum in Italien gehen. Auch seine Mitschülerin Vanessa hält nichts an diesem dunklen Ort. Doch der Weg ans Licht führt durch einen langen Tunnel und steckt voller Gefahren. Ludwig erinnert sich noch an die Welt wie sie einst war, hat aber längst resigniert. Dennoch macht sich der Lehrer auf die Suche nach den beiden Jugendlichen.
Simone Weinmann ist promovierte Astrophysikerin und unterrichtet Physik. Sie lebt mit ihrer Familie in Höngg. Für ihren Debutroman hat sie bereits eine Auszeichnung der Stadt Zürich erhalten. Ihre Sprache ist detailliert, ohne anzustrengen, schön, ohne gefallen zu wollen.

Frau Weinmann, wie haben Sie zum Schreiben gefunden?

Ich habe schon als kleines Kind angefangen, Geschichten zu schreiben und nie damit aufgehört. Lange habe ich meine Texte niemandem gezeigt. Erst ab 2014 habe ich mich ernsthafter mit dem Schreiben befasst, als ich den Lehrgang «Literarisches Schreiben» besuchte, der mich sehr inspiriert hat.
Der Prozess des Schreibens fasziniert mich extrem. Zuerst das noch vage Träumen und eher bildhafte Nachdenken über eine Szene. Dann, wie sie sich verwandelt, manchmal fast in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ich sie zur Sprache bringe, neues dazukommt, anderes wegfällt. Später kommen das Wiederlesen und das Überarbeiten, wo sich das Geschriebene weiter wandelt und schärft, und dann die Reaktionen von anderen, die im Text manchmal Dinge sehen, von denen ich keine Ahnung hatte oder die Fragen stellen, die nochmals ganz neue Entwicklungen auslösen. Es ist ein ständiger Entdeckungsprozess, der viel mit dem Dialog zwischen Unbewusstem und Bewusstem zu tun hat. Wie ein waches Träumen.

Wann finden Sie neben Ihrem Beruf und der Familie Zeit dafür?

Als ich meinen Roman geschrieben habe, hatte ich noch kein Kind, aber ich habe eher viel gearbeitet. Ich habe also in meiner Freizeit geschrieben, zum Teil nur am Sonntagmorgen. Das ist auch heute so, ich habe wenig Zeit zum Schreiben. Aber wenn ich jetzt zehn Wochen nur Schreiben könnte, würde mich das ehrlich gesagt etwas blockieren, ich mag den Wechsel zwischen dem Alltag, der Arbeit und der dann besonders kostbaren Schreibzeit ganz gerne.

Simone Weinmann hat ihre Freizeit genutzt, um einen Roman zu schreiben. (Foto:zvg)

Was fasziniert Sie an der Physik?

Die physikalische Wirklichkeit und die physikalischen Gesetze existieren, ohne dass wir Menschen einen Einfluss darauf haben. Wir können sie erforschen, entdecken, in Worte fassen, aber diese Realität beugt sich nie unseren Wünschen. Sie ist etwas Grösseres als wir und sehr viel verrückter, als wir uns je ausdenken könnten. Und ich finde es unglaublich, dass diese dem Menschen doch eigentlich sehr fremde Welt mit Hilfe von Logik und Mathematik für uns zumindest teilweise zugänglich ist.

Sie erwähnen erst sehr spät im Buch, was eigentlich passiert ist. Wieso?

Das war ein sehr bewusster Entscheid. Ich wollte, dass die Leser*innen die Welt im Buch selbst entdecken können und ihre eigenen Schlüsse ziehen. Dazu kommt, dass ich den Perspektiven der Hauptfiguren treu bleiben wollte. Sie denken im Alltag nicht oft darüber nach, wie alles gekommen ist. Sie wissen es bereits.

Halten Sie eine solche Katastrophe für realistisch?

Es gibt Elemente im Roman, die ich für realistisch halte. Ein sich verschärfender Klimawandel, der Versuch, diese mit Geo-Engineering zu stoppen. Aber diese Art von Szenario, wie ich es beschreibe, halte ich für eher unwahrscheinlich. Die Katastrophe müsste, wie ich auch im Roman schreibe, genau schlimm genug sein, dass einerseits die Zivilisation zu Brüche geht, aber doch auch glimpflich genug, dass relativ viele Menschen überleben und sich rasch wieder ein halbwegs stabiler Zustand einstellt. Ich habe aber sowieso nicht ein möglichst realistisches Szenario beschreiben wollen, sondern eines, mit dem man bestimmte Themen erforschen kann und das mich auch auf der symbolischen Ebene fasziniert hat.

Aktuell wird in der Politik davon gesprochen, dass uns der Strom ausgehen, respektive abgestellt werden könnte. Ist das ein Thema, das Sie beschäftigt?

Ja, das Thema interessiert mich. Man ist sich nicht so bewusst, was das bedeuten würde, wenn es einen länger dauernden Stromausfall geben würde. Zum Beispiel, dass man dann auch kein fliessendes Wasser mehr hätte in den Wohnungen. Wenn es zu lange dauerte, würde es schwierig, die Kraftwerke überhaupt wieder zum Laufen zu bringen. Wir hängen von der Stromversorgung sehr stark ab. Selbst bereite ich mich nicht speziell auf solche Szenarien vor. Natürlich ist es gut, Vorräte, auch von Trinkwasser zu Hause zu haben, das ist ja auch in Bezug auf viele andere möglichen Katastrophenfälle sinnvoll.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Simone Weinmann. Die Erinnerung an unbekannte Städte. 272 Seiten. Verlag Antje Kunstmann, 2021.

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