«Der Mensch, die Krone der Erschöpfung»

Das Basler Theaterkabarett Birkenmeier trat am Freitag im reformierten Kirchgemeindehaus auf. Ein Abend voller brillantem Sarkasmus und ideenreicher, hochaktueller Polit-Sketche hinterliess ein begeistertes Publikum.

Sybille und Michael Birkenmeier sind das Kabarett Birkenmeier: Hochintelligent und gewitzt-zynisch war ihr Programm «Lauter».

Am ökumenisch organisierten Kabarettabend begrüssten Matthias Reuter, Pfarrer der reformierten Kirche, und Andreas Beerli, Gemeindebeauftragter der Pfarrei Heilig Geist, das Publikum. Etwa 90 eher ältere Menschen wollten das Kabarett Birkenmeier erleben – und waren danach begeistert. Das Programm hiess «Lauter» und nahm Bezug auf das Passionsaktionsthema «Die Saat von heute ist das Brot von morgen» der Hilfsorganisationen «Brot für alle» und «Fastenopfer». Ob gesprochen, mit Piano-Begleitung gesungen, rappend oder mit vollem Körpereinsatz untermalt, die beiden Kabarettisten überzeugten und forderten das Publikum mit ihren geistreichen Geniestreichen.

Was Betonungen verändern können

Seit 30 Jahren stehen die Geschwister Sybille und Michael Birkenmeier zusammen auf der Bühne und haben in dieser Zeit ihr ganz eigenes Verständnis von Kabarett entwickelt. So spielen sie mit der Bedeutung von Worten und deren Betonungen – je nach Betonung entsteht plötzlich ein ganz anderes Wort mit dementsprechender Bedeutung. Aus «säen» wurde somit «sähen» – und daraus kann sich auch wieder ein ganz neuer Zusammenhang ergeben: Sehen die Leute, was sie säen? Spannend auch das Wort «Läuterung»: «Lauter werden ist eine Läuterung, man wird sozusagen geläutert.» Das gleiche Wort kann zudem mehrere Bedeutungen haben: Energisch rief Sybille Birkenmeier: «Es reicht!», im Sinne von «Jetzt langet’s!», dann ruhig und sicher: «Es reicht. Es reicht für alle.» – im Sinne von «Es ist genug da für alle.» Der Hunger auf der Welt sei gemacht: «Die Hungernden sterben nicht, sie werden ermordet!», rief die Kabarettistin in den Saal – und hat Recht damit, denn «Ein Prozent des Reichtums würde genügen, um den Hunger zu stillen. Aber: 95 Prozent des Reichtums gehören fünf Prozent der Leute!». Die Wirtschaft funktioniere heute auch noch nur mit Leuten, «welche nicht ganz hundert sind». Sowieso sei der Mensch «die Krone der Erschöpfung im Lande der Verheizung» – ist es nicht so?

Das original Schweizer Schweigen

Das hochpolitische Kabarett-Duo reimte zudem, was das Zeug hielt: «Investieren, kapitalisieren, profitieren – was sind die Ergebnisse? Griechenland und Ukraine lassen grüssen», so die Geschwister Birkenmeier. Vom Hochdeutsch fliessend in verschiedene Dialekte wechselnd kam bald der Spruch «Mer seit nüt, sunscht erwachsed eim no Nachteil drus» – wer hat das noch nie gedacht und deshalb lieber geschwiegen? Das grösste Kapital sei das original Schweizer Schweigen der ach so neutralen Schweiz. «Ich verschweige und bleibe damit alles schuldig. Was ich schuldig bleibe, ist mein Kapital» – ganz einfach zu verstehen, oder?» Auch das Erlangen von Zertifikaten aller Art habe die Gesellschaft «verzertifiziert». Derjenige ohne Zertifikat könne die «unzertifizierten» schikanieren, hätten diese aber ihr Zertifikat erlangt, kehre sich das Ganze um. Zum Lachen brachte das Publikum «der Heilige Erklärus», eine Verballhornung von Klerus, also die Gesamtheit der Angehörigen des geistlichen Standes.

Das Kistentum, die neue Telegion

«Das Kistentum ist unsere Telegion, der Kasten, der die Welt umfasst. Du bist unser Vierer, unser A-Vierer, Du bist nicht irgendwer, sondern Software. Auch wir sind gläubige Kisten – von der heissen Büchse bis zur alten Schachtel!» – dieser Mix aus Christentum, Führertum und Fernsehsucht brachte das Publikum zum herzhaften Lachen, welches dann verstummte, als «Frau Doktor Riedel» fragte, ob man ihre Käfer gesehen habe – Maiszünsler und Buchsbaumzünsler. Die habe sie, Forscherin bei Syngenta, nämlich mit nach Hause genommen: «Es waren die, die beim ersten Versuch nicht gestorben sind. Sie sind sehr robust, etwa 2000 Stück. Und nun, tja, sind sie halt aus meinem Terrarium ausgebüxt . . . Wenn Sie sie in Ihrem Garten sehen, dann grüssen Sie die Tierchen schön von mir!» Die diversen Insektizide der grossen Pharmafi rmen gäben zudem eine klare Botschaft durch: «Mach dich vom Acker!»

«Schön, wie sich der Staat für die Bürger interessiert!»

Zum NSA-Skandal haben die hervorragenden Kabarettisten ihre eigene Ansicht: «Wir verstehen Ihre Aufregung nicht. Ist doch schön, dass sich der Staat für jeden einzelnen Bürger so interessiert!» Dies sei die grosse, weite, korrupte Welt. Und Banker würden folgendermassen ticken: «Ohni Boni goni – Päng! Sozusagen ‹My Boni is over the Ocean›!» Und wem es schlecht gehe: «Keine Angst und no problem, das lösen wir chemisch! Roche gibt ab 2020 Ecstasy flächendeckend ins Grundwasser – und weg ist unsere schlechte Stimmung!» Nach herzlichem Applaus diskutierte man beim anschliessenden Apéro über das Erlebte. «Es war extrem spannend und auch fordernd, denn während man teilweise immer noch am Nachdenken und Verarbeiten war, ging es schon weiter – aber das war gut so, so bleibt man beweglich!» meinte ein Besucher.

0 Kommentare


Themen entdecken