Quartierleben
Der Fall «Archivnummer ungeklärt»
Das Ortsmuseum Höngg ist eine wahre Fundgrube an Gegenständen und Wissen aus und über vergangene Zeiten. Allerhand sammelte sich in Haus und Archiv an – die Herkunft der Schenkungen ist hie und da jedoch ungewiss, die Geschichten dazu faszinierend.
24. Mai 2012 — Fredy Haffner
Die Sammlung des Ortsmuseums Höngg ist breit und reichhaltig, davon kann man sich im altehrwürdigen Haus zum Chranz am Vogtsrain 2 überzeugen. Viele der Schenkungen schlummern allerdings noch im Archiv, einem Zivilschutzraum im nahen Schulhaus Vogtsrain. Dort sind die engagierten Freiwilligen laufend dabei, die Preziosen zu nummerieren und zu erfassen, wie sich dies für ein Museum gehört. Dabei stossen sie auch immer wieder auf Gegenstände, deren Herkunft unklar ist. Wie zum Beispiel das Eisengewicht (1540 g) mit der rückseitig eingeprägten Jahreszahl 1742. «Das», so erzählt Ortsmuseumsleiter Dr. Beat Frey, «lag eines Tages ohne Absender im Museum auf der Werkbank. Natürlich wüssten wir gerne mehr über seine Herkunft und seinen Bezug zu Höngg.» Noch spannender klingt die Geschichte um die gerahmte Kopie − 200 mal 120 Zentimeter − eines eher düsteren Bildes des Malers Johann Adolf Stäbli aus dem Jahr 1876, welches das Kloster Fahr mit drei Nonnen, Limmat und Fähre zeigt. Der 1842 in Winterthur geborene und 1901 in München verstorbene Maler pflegte unter anderem Freundschaften mit Arnold Böcklin. Sein Heimatort war Brugg, im dortigen Heimatmuseum sind rund 30 Bilder ausgestellt. Das Original des Bildes, dessen Kopie unter ungeklärten Umständen ins Ortsmuseum Höngg gelangte, befindet sich im Kunstmuseum Basel. «In Ermangelung eines Ausstellungsplatzes fragten wir das Kloster Fahr an, ob sie Interesse hätten», berichtet Frey, «doch von dort kam die dankende Ablehnung mit dem Hinweis, man habe bereits eine Kopie.» Zu jener ist mindestens eine mutmassliche Herkunft durch den Donator verbürgt: Dessen Schenkungsschreiben aus dem Jahr 1998 besagt, dass seine Grossmutter, Emilie Schardt-Faesch, in Basel mit ihrer Freundin «Fräulein Lenggenhagen» Malunterricht besuchte. «Fräulein Lenggenhagen» spezialisierte sich auf das Kopieren alter Meister und nahm sich um 1890 in Basel Stäblis Bild vor. «Die Kopie», so schrieb der Donator 1998, «hing die vergangenen 50 Jahre im Haus meiner Eltern.» Das Bild im Ortsmuseum Höngg dürfte hingegen von Emilie Schardt-Faesch selbst stammen, darauf lässt zumindest die Signatur «Cop. (für Kopie) A. Stäbli» und speziell der Zusatz «E. S.» schlies sen. Man darf sich also getrost zwei Damen vorstellen, die ungefähr 1890 im Kunstmuseum Basel ihre Staffeleien aufstellen und zeitgleich das Kloster Fahr kopieren. Ob das heute wohl auch noch erlaubt wäre? Und, da die Kopie des «Fräulein Lenggenhagen» im Haus der Tochter oder des Sohnes von Emilie Schardt-Faesch hing, darf man sich weiter vorstellen, dass sich die beiden Freundinnen ihre Bilder gegenseitig schenkten. Vielleicht − und dies ist eine reine Mutmassung − im Zusammenhang mit der Auswanderung von «Fräulein Lenggenhagen» zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach New York. «Sie führte dort ein kleines Geschäft und verkaufte erfolgreich Kopien alter Meister an kunstliebende Amerikaner», heisst es im Schreiben des Donators. Wie, wann und von wem das schwere Bild jedoch dem Ortsmuseum Höngg geschenkt wurde, entzieht sich der Vorstellungskraft und ist weiterhin unklar – vielleicht helfen ja diese Zeilen zur Aufklärung des «Falls Archivnummer ungeklärt».
0 Kommentare