Der Dorfplatz, der nie einer war

Das mittlerweile grün-blau gestrichene, schnörkellose Flachdachgebäude am Meierhofplatz wirkt wie ein Elefant im Porzellanladen. Doch wer sich näher damit befasst, sieht seine Andersartigkeit plötzlich mit anderen Augen.

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Am Meierhofplatz sind ganz unterschiedliche Architekturstile vertreten. Ein Gebäude sticht in seiner Andersartigkeit jedoch besonders heraus: die Überbauung Zentrum Höngg, im Quartier besser bekannt als das «Rebstock-Gebäude». In den Jahren 1960 bis 1962 liess der Metzgermeister Heinrich den Neubau von den Architekten Hans Litz und Fritz Schwarz als eine Art alternatives Dorfzentrum errichten. Einst beherbergte es neben der Metzgerei und verschiedenen Geschäften auch ein Kino, eine Tankstelle, eine Bankfiliale und ein Restaurant. Sogar die Polizei war darin untergebracht. In den oberen Stockwerken fanden – wie heute noch – Wohnungen, Praxen und Büros Platz.

Zeuge einer Zeit vor dem Umbruch, der nicht kam

Um zu verstehen, wie es zu diesem ungewöhnlichen Bau kommen konnte, ist es nützlich, sich mit den zu dieser Zeit diskutierten Plänen der Verkehrsentwicklung auseinanderzusetzen. In den 60er Jahren träumte die Stadt Zürich von einem mehrspurigen Verkehrssystem und einem grossangelegten Einkaufsgebiet. Bereits 1959 war eine neue Baulinienverordnung in Kraft getreten, welche eine Verbreiterung der Regensdorfer- und Limmattalstrasse ermöglichen sollte, denn die Verkehrsverhältnisse liessen schon damals zu wünschen übrig. Diese Verschiebung der Baulinie zu Gunsten der Strasse hatte zur Folge, dass alle an den beiden Strassen liegenden Grundstücke angeschnitten und so jegliche Weiterentwicklung des Zentrums verhindert wurde. Denn wer ein altes Gebäude abriss, konnte das neue nicht mehr so nahe an die Strasse bauen. Der Abbruch des Gesellenhauses «Rebstock» am Meierhofplatz und die Errichtung einer Zentrumsüberbauung könnten als ein erster Schritt in Richtung mehr Strasse, weniger Platz verstanden werden oder wie im Quartierspiegel der Stadt zu lesen ist: «Man ging seinerzeit davon aus, dass die Limmattalstrasse vierspurig geführt werde, wozu man 30 Meter Strassenraum benötigte. Die Öffnung der Strasse am Meierhofplatz war also nicht als Andeutung eines Platzes gedacht, sondern als Vorwegnahme einer Hochleistungsstrasse».

Alternatives Zentrum

Architekt Peter Keller, wohnhaft in Höngg und lange an der ETH Hönggerberg berufstätig, interpretiert die Entscheidung des Eigentümers, dieses Haus so zu bauen, anders. Auf einem Spaziergang erläutert er seine Überlegungen: «Anfang der 60er Jahre, als alles durch diese Bauzonenordnung blockiert war und man nicht wusste, wie sich das Zentrum tatsächlich weiterentwickeln würde. Der Bau war in dieser Situation ein Befreiungsschlag. Statt auf ungewisse Entwicklungen in der Nachbarschaft zu warten, wurde selbstbewusst ein Dorfzentrum mit vielen verschiedenen Funktionen um einen innenliegenden Dorfplatz gebaut. Das Traurige ist, dass diese Idee offenbar nicht lange tragfähig war. Der innenliegende Dorfplatz wurde zum innenliegenden Hinterhof». Das darin untergebrachte Restaurant Rebstock orientierte sich von der Strasse weg zum Innenhof hin und hatte keinen Bezug zum Aussenraum. Nur das Fenster der Küche ging auf den Platz hinaus. Darunter befand sich die Kegelbahn. «Neben dem Kino und der Tankstelle war in diesem Gebäude eigentlich alles untergebracht, was man auch in einem Ortszentrum finden würde», meint Keller.

Die Fassade spiegelt die Funktion

Der Blick von der Tramhaltestelle Meierhofplatz stadteinwärts her verrät einiges über den inneren Aufbau des Gebäudes. Die differenziert gestaltete Fassade, die Fensterdimensionen und -verteilung, Erker und Balkone weisen, auch nach der Renovation in den 80er Jahren, auf die Funktionen der dahinterliegenden Räumlichkeiten. Der Treppenturm hebt sich durch die kleinen quadratischen Fenster und dem etwas dunkleren Farbton von der restlichen Fassade ab. Das Parterre weist durchgehend Schaufenster aus, durch die man ursprünglich bis in den Innenhof blicken konnte. Diese gewollte Transparenz ging vollständig verloren, die Sicht ist heute durch Wände und Gestelle in den Läden blockiert. Im ersten Obergeschoss befinden sich die Büros. Die Laubengänge vor den zurückversetzten Wohnungen in den oberen Geschossen schützen vor dem Strassenlärm. Alles ist durchdacht, nichts wurde dem Zufall überlassen oder blossem Formalismus geopfert. Es ist ein Paradebeispiel für das Credo der Moderne: Form follows function.

«Hier wurde noch etwas gestaltet»

Über eine Treppe im Innenhof gelangt man in ein Obergeschoss. Eine Laube führt rundherum, der Blick in den Hof ist teilweise von einem Vordach verdeckt. Hier sind Wohnungen und Praxen untergebracht. Mit Interesse studiert Keller die Brüstung und Vorrichtungen, entdeckt eine Dachterrasse, die von der Strasse aus gar nicht sichtbar ist. Im Treppenhaus gerät der Architekt ins Schwärmen: Hier ist die ursprüngliche Farbe der Fensterrahmen – ein dunkles Blau – noch sichtbar. Auch der Liftturm ist mit dunkelblauen Fliessen bekleidet, darin eingelassen sind Licht-Quader. Ein Teil der Stufen sind in Original-Terrazzo-Stein belassen. «Hier hat noch jemand gestaltet», meint er anerkennend. Das Treppengeländer ist nicht mehr ursprünglich, sondern musste aus Sicherheitsgründen mit zusätzlichen Verstrebungen ergänzt werden. Da komme man heute nicht mehr drumherum, meint Keller nur.
Es schmerzt den Architekten etwas, dass bei den Renovationen im äusseren Bereich nicht sorgfältiger mit der Architektur umgegangen wurde. So gab es früher beim Durchgang zum Innenhof noch zwei kleine Vordächer. Die gegenüber dem Original zu wenig differenzierte Farbe der Fassaden sind Ausdruck mangelnder Sorgfalt. Auch der nachträglich montierte Abluftkanal hätte etwas sensibler gestaltet werden können. Was die ursprüngliche Idee jedoch am stärksten verändere, sei die blockierte Transparenz im Parterre, die das Gebäude abweisend wirken lässt, wie Keller findet. Dabei ist er kein Bewahrer – im Gegenteil, eigentlich interessieren ihn vor allem Gebäude, die sich verändern lassen. «Bei einem klaren Stil wie der Moderne ist das natürlich schwieriger, da kann man schnell etwas kaputt machen», meint er. Diese klassischen Werke hätten schnell etwas Museales, während die anonymere Architektur den Gang der Zeit reflektiert. Die Balkone, die auf der westlichen Seite des Gebäudes montiert wurden, stören ihn deshalb nicht, «Balkone sind wichtig, denn sie steigern die Lebensqualität», meint er. Auch dem Meierhofplatz, diesem «Verkehrsunfall», kann er Sympathien abgewinnen: «Das Trottoir zwischen Kiosk und Denner erinnert an einen Boulevard in Paris. Dort findet man Cafés gleich neben lärmigen Strassen – und sie sind stets gut besucht.» Das könnte er sich auch am Meierhofplatz vorstellen. «Die Lage mag nicht sehr idyllisch sein, aber immerhin halten sich hier Menschen auf.» Darum geht es beim Planen und Bauen doch auch: um Menschen.

Grundsätzliche Überlegungen einfliessen lassen

Vielleicht liegt hier die Problematik dieses Gebäudes. Ein Ort lebt dort, wo sich Menschen aufhalten oder sogar aufhalten müssen, an der Bushaltestelle, auf dem Markt, am Bahnhof. Sie dazu zu erziehen, sich an einem ihnen zugewiesenen Ort aufzuhalten, ist schwierig. Das lässt sich gut bei Fussgängerführungen, die nicht den kürzesten Weg berücksichtigen, beobachten: Nicht lange und es bildet sich ein Pfad neben dem vorgesehenen Weg, den die Menschen stattdessen wählen. So ähnlich muss es auch mit dem Innenhof verlaufen sein: Die Leute wollten ihn sich schlicht nicht aneignen. Da übt Keller durchaus Selbstkritik: «Wir Planer und Architekten glauben immer zu wissen, was die anderen wollen. Danach kommt der grosse Katzenjammer, wenn sich die Menschen nicht so verhalten, wie wir das angenommen haben. Und dann gibt es eben plötzlich eine Gitterabsperrung, die in der Nacht heruntergelassen wird, weil sich die Leute aus anderen Gründen im Innenhof aufhalten, als angedacht war.» Ist die Geschichte dieses Gebäudes damit schon zu Ende erzählt? Wie könnte der Innen- und Aussenraum in Zukunft genutzt werden? Vielleicht bringt die Zukunft neue Antworten auf alte Fragen. Der «Höngger» kommt sicherlich wieder darauf zurück.

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