Das 1x1 des Ablebens
«Das Selbstbestimmungsrecht wurde massiv verstärkt»
Im Zusammenhang mit dem Fokusthema «1x1 des Ablebens» hat sich der «Höngger» mit Rechtsanwalt Bruno Dohner über seine Erfahrungen mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht, über Unsicherheiten, Vorurteile, Familien und die grosse Erleichterung unterhalten.
12. September 2018 — Fredy Haffner
Der Höngger Rechtsanwalt Bruno Dohner hat selber schon Vorsorgeaufträge aufgesetzt und wurde in einigen davon auch als Beauftragter eingesetzt. Allerdings macht er das nur für Personen, die er persönlich gut kennt und zu denen er regelmässigen Kontakt pflegt: «Nur wenn ich die zentralen Wertvorstellungen eines Menschen kenne, kann ich im Bedarfsfall die für ihn richtigen Entscheide fällen». Seine Vorsorgeaufträge lässt Dohner beim Notar öffentlich beurkunden: «Bei handschriftlich verfassten Vorsorgeaufträgen besteht häufig Interpretationsbedarf. Nicht selten werden sie ganz allein im ‹stillen Kämmerlein› verfasst. So kann niemand rechtzeitig feststellen, ob die getroffene Anordnung auch klar und unmissverständlich formuliert wurde. Die öffentliche Beurkundung beseitigt solche Unsicherheiten und schafft Rechtssicherheit».
Dohner rät auch davon ab, ungeprüft Muster-Vorsorgeaufträge aus dem Internet zu übernehmen. Diese würden den konkreten Bedürfnissen oft zu wenig Rechnung tragen. Wichtig sei zum Beispiel die Frage, ob alle drei Bereiche – Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung im Rechtsverkehr – einem einzigen Beauftragten oder mehreren zugeteilt werden sollen. Eine umfassende Zuständigkeit kann die beauftragte Person leicht fachlich oder persönlich überfordern. Mit einer sinnvollen Differenzierung kann dieses Risiko vermieden werden. «Der Auftraggeber kann beispielsweise seine Tochter für die Personensorge und seinen Sohn für die Vermögenssorge und den Rechtsverkehr einsetzen. Möglich ist auch eine gemeinsame Einsetzung der Kinder, doch muss in diesem Fall geregelt sein, was bei Uneinigkeit zu geschehen hat».
Selbstbestimmungsrecht und «Family first»
Was auch der Rechtsanwalt oft hört, sind Aussagen wie «Ich will auf keinen Fall etwas mit der KESB zu tun haben». Die weit verbreiteten Vorbehalte und teils heftige Kritik an der Behörde findet er übertrieben. Sie widerspricht seiner beruflichen Erfahrung. Die KESB sind neben dem Erwachsenenschutz auch für Massnahmen im Bereich des Kindesschutzes zuständig. Die aus den Medien bekannten Fälle betreffen vorwiegend diesen sensitiven Bereich. Wenn die Behörde die Fremdplatzierung eines Kindes anordnet oder einer Mutter die elterliche Sorge entzieht, ist damit häufig ein hohes Konfliktpotenzial verbunden. Ob die Medien immer objektiv und ausgewogen über solche Fälle berichten, stellt Dohner zumindest in Frage. Ein Problem liegt schon darin, dass die KESB im Unterschied zu den betroffenen Familien an das Amtsgeheimnis gebunden sind. Die Öffentlichkeit erfährt also häufig nur die Sicht der Betroffenen. Der andere Teil der «Wahrheit» bleibt verborgen. Und er widerspricht auch dem kolportierten Eindruck, da sei einfach eine weitere Behörde geschaffen worden, die alles verkompliziere. Wer sowas denke, habe die Gesetzesrevision nicht verstanden: «Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich in den letzten hundert Jahren massiv verändert: Die Lebenserwartung ist gestiegen, neue Lebens- und Beziehungsformen haben sich entwickelt. Das neue Recht trägt dieser Entwicklung Rechnung und legt durch die Einführung neuer Rechtsinstitute bezüglich der eigenen Vorsorge viel Wert auf die Stärkung der Selbstbestimmung. Die Möglichkeit, mittels Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung Vorkehrungen für die eigene Betreuung und Vertretung in künftigen Lebensphasen zu treffen, entspricht dem Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmung bei Eintreten der Urteilsunfähigkeit».
Die grosse Erleichterung
Oft stellt Dohner bei Menschen eine grosse Erleichterung fest, wenn sie sagen können, «Jetzt habe ich vorgesorgt». Damit meinen sie häufig nicht nur den Vorsorgeauftrag und die Patientenverfügung, sondern denken dabei auch noch an andere wichtige Dokumente. So zum Beispiel die erbrechtlichen Verfügungen wie Testament oder Erbvertrag. Nicht selten legen Menschen mit einer Bestattungsverfügung auch fest, wie sie beerdigt werden möchten oder wie die Trauerfeier gestaltet werden soll. Der individuelle Gestaltungsspielraum ist heute sehr gross. Dies gilt sowohl für die Zeit vor als auch nach dem Tod. Dem Vorsorgeauftrag kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Falls kein Vorsorgeauftrag besteht, regelt das Gesetz, was bei Urteilsunfähigkeit eines Menschen zu gelten hat. Dieses sieht für nahe Angehörige ein Vertretungsrecht vor (siehe Artikel auf Seite XY). Überdies haben nicht alle Menschen Angehörige im Sinne der gesetzlichen Umschreibung. Oder sie haben Angehörige, aber sie wollen oder können diese nicht mit solchen Aufgaben belasten. Wichtig ist einfach, dass man die zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten kennt und daraus die Vorsorge trifft, die der eigenen Persönlichkeit und Wertvorstellung entspricht. Niemand ist davor gefeit, durch Unfall oder Alter die Urteilsfähigkeit zu verlieren. Auch ein Vorsorgeauftrag kann dies nicht verhindern – aber man kann damit wenigstens sicherstellen, dass die zu treffenden Entscheide so getroffen werden, wie man sie selber getroffen hätte.
0 Kommentare