Das Problem mit Phase vier

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über Demut vor dem Leben und die verschiedenen Stadien eines grippalen Infektes.

Dagmar Schräder liebt es zu schreiben. (Foto: Jina Vracko)

Jetzt war es mal wieder soweit. Die ganze letzte Woche war ich krank. Verschnupft, ein bisschen Fieber, Husten und Heiserkeit, das übliche halt. Nicht schwer krank, aber doch sehr nervig. Hab ich nur alle paar Jahre mal, aber ab und zu muss das wohl sein.

Zuerst ist das immer noch halbwegs gemütlich. Da denke ich mir, ich nehme mir mal so richtig Zeit zum Auskurieren, lege mich aufs Sofa, lese entspannt und arbeite mich durch Netflix hindurch. In die Decke gekuschelt, vielleicht noch einen Tee dazu – hat auch seinen Reiz. Zwangsferien sozusagen.

Doch diese Stimmung kippt spätestens nach ein paar Tagen wieder. Das ist dann Phase zwei. Denn so richtig gemütlich ist es gar nicht, wenn sich nebenan in der Küche der Abwasch stapelt. Jedes Mal auf dem Weg zum Schlafzimmer schaut mich auch der Wäscheberg vorwurfsvoll an. Genauso wie all die anderen Dinge, die erledigt werden müssten. Und den Hühnern ist es ebenfalls schwer vermittelbar, dass ich grad jetzt keine Energie habe, ihren Stall auszumisten.

In diesem Stadium der Erkältung werde ich dann immer richtig ungeduldig. Mit mir und der Welt. Jeder Hustenreiz macht mich furchtbar aggressiv und ich nerve mich über mich selbst, wie ich mich da so röchelnd durch meinen Alltag schleppe. Ohne Energie und Power.

Und dann fange ich an nachzudenken. Wie schön wäre es doch, wenn ich nicht so viel zu tun hätte. Wenn ich die Zeit hätte, mich auf mich oder die wenigen Dinge zu konzentrieren, die wirklich notwendig sind. Weniger ist mehr, sage ich mir jeweils in solchen Situationen. Und schwöre mir, daraus etwas zu lernen, sobald ich meine Grippe auskuriert habe.

Im Anschluss daran folgt dann meistens Phase drei. Da geht’s gesundheitlich wieder bergauf. Die Lebensgeister kommen zurück. Jetzt ist Demut angesagt. Da bin ich jeweils so richtig dankbar, wieder im Vollbesitz meiner Kräfte zu sein. Wie schön das ist, so ohne Dafalgan und Taschentuch unterwegs zu sein.

Das Leben als solches ist wunderbar und ich freue mich ganz bewusst über all die kleinen, kostbaren Momente. Denn es ist ja ganz und gar nicht selbstverständlich, fit und gesund durchs Leben gehen zu können. Was für ein Geschenk! Zu diesem Zeitpunkt bin ich überzeugt davon, dieses Gefühl für immer festzuhalten und nicht mehr zurückzufallen in die Stressmaschinerie, die mich sonst so antreibt.

Und dann folgt Phase vier. Und die ist das Problem. Denn in Phase vier fange ich ganz langsam und unmerklich an, wieder all die Programmpunkte hochzufahren. Es geht mir ja wieder gut, da hab ich auch Lust, aktiv zu sein. Hier ein Termin, dort ein Termin, da eine neue Verpflichtung. Bis ich plötzlich wieder auf Normalbetrieb laufe. Und die Demut ist vergessen. Mal wieder nix gelernt.

Erinnert mich übrigens ein ganz kleines bisschen an unseren gesellschaftlichen Umgang mit der letzten Pandemie, meine vier Phasen.

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