«Danke, Höngg!»

Dem Leben mit positiver Energie begegnen, das ist die Philosophie der Hönggerin Marieta Kiptalam. Mit «Black Art Matters» hat sie eine Plattform für schwarze Kunst und Kultur in der Schweiz geschaffen.

Aus jeder Erfahrung das Beste machen, ist das Motto von Marieta Kiptalam. Und das setzt sie um. (Foto: Josefine Tischendorf)

Marieta Kiptalam lebt gerne in Höngg. So gerne, dass sie sich beim Quartier dafür bedanken will: «Seit zwölf Jahren wohne ich gemeinsam mit meinem Sohn hier im Quartier und schätze es sehr. Höngg ist für mich ein eigenes kleines Städtchen mit einem ganz eigenen <Vibe>. Hier bin ich angekommen, hier habe ich meinen Frieden gefunden», erklärt sie.

Zwischen zwei Kulturen allein gelassen

Der Weg, den ihr Leben bis dahin genommen hat, war nicht der einfachste: Geboren ist die 46-jährige in Kenia, genauer in Eldoret. Ihren Vater hat sie nie wirklich kennengelernt. Als Kiptalam acht Jahre alt war, zog die Mutter mit ihr und den Schwestern ganz plötzlich um – in die Schweiz. Der Liebe halber. Wie fühlte es sich an, schlagartig in einer völlig fremden Gesellschaft zu landen? «Ich wurde quasi <entführt>», gesteht sie. «Ich habe nichts davon mitbekommen, dass wir umziehen. Es war, wie wenn ich in Kenia eingeschlafen und in Mönchaltorf wieder aufgewacht wäre. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was passiert ist, wo wir sind und warum um uns herum plötzlich alle weiss waren.» Lange habe sie gebraucht, um wirklich in der Schweiz anzukommen, «geistig war ich noch sehr lange in Afrika». Diese Zerrissenheit, das Gefühl, eine Fremde zu sein – in der neuen wie in der alten Heimat, ist etwas, das Kiptalam in der Folge noch lange begleiten wird.


Auf einer Insel im Appenzell

Mit 12 folgte der nächste Schicksalsschlag: die Mutter starb. Kiptalam und ihre Schwestern wurden zu Waisen. Während die älteste Schwester sich bereits alleine durchschlagen konnte, wurden die beiden jüngeren im Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen untergebracht. Hier, im Appenzell, lebte Marieta bis zur Volljährigkeit. «In jedem Haus lebten Kinder anderer Nationen, betreut jeweils von Hauseltern, die hier mit ihren eigenen Kindern wohnten.» Für die Zeit im Kinderdorf ist sie dankbar: «Wir lebten wie auf einer Insel, kannten nichts Böses. Die harte Realität kam erst später.»

Against all odds

«Als schwarze Person in Europa musst Du Dich durchkämpfen», sagt sie. Nicht nur aufgrund des offensichtlichen Rassismus, mit dem sie schon zahlreiche Erfahrungen gemacht hat – Beleidigungen, Beschimpfungen, Übergrifflichkeiten. Sie wurde als «Scheissneger» bezeichnet oder aufgefordert, «Geh dahin zurück, wo Du herkommst!». «So etwas schmerzt natürlich», sagt sie, «diese Personen, die sich nicht einmal die Mühe nehmen, mich als Mensch wahrzunehmen und mit mir über meine Situation zu sprechen.» Doch auch generell hat man es als Afrikanerin nicht leicht, muss sich im Job und im Alltag mehr beweisen, um ernstgenommen zu werden. Die Vorurteile sind da, auch wenn sie versteckt werden.
Schwierig war das zuweilen. Doch Kiptalam war und ist kein Kind von Traurigkeit. Sie hat gelernt, das Leben so anzunehmen, wie es ist und das Beste aus jeder Situation zu machen. «Jede Lebenserfahrung bringt Dir etwas bei, was Du brauchen kannst, auch die negativen. <Each one teach one>, hat mal jemand zu mir gesagt – und diese Philosophie habe ich für mich mitgenommen. Es liegt ja schlussendlich an mir selber, was ich aus meinem Leben mache. Die Umstände lassen sich vielleicht nicht ändern – aber die eigene Einstellung dazu.»

Mit Kreativität die eigene Identität finden

Und Kiptalam nahm die Herausforderung an: Sie machte eine Ausbildung zur Verkäuferin, arbeitete hauptsächlich in den Bereichen Mode und Fashion, im Globus und für Marken wie Hermes und Gucci. Ein Jahr lebte sie in Amerika, jobbte an drei Orten gleichzeitig, um über die Runden zu kommen. Gleichzeitig war es ihr immer sehr wichtig, sich kreativ ausleben zu können. In der Musik, als Sängerin, aber auch als Fotomodel, im Sport, als Leichtathlethin oder als Fernsehmoderatorin. Sie moderierte lange die Sendung «Sonic Sports» auf einem deutschen Privatsender und hat nun unter ihrem Pseudonym «Soulmary» auf Youtube eine eigene Talkshow, in der sie Künstler mit Migrationshintergrund interviewt.
Vor vierzehn Jahren wurde sie Mutter eines Sohnes, seit 12 Jahren ist sie alleinerziehend. «Muttersein ist eine grosse Aufgabe, ein enorm wichtiges Projekt. Ich kann nicht verstehen, dass diese Arbeit so wenig gewürdigt wird», sagt sie. Nur schon das Zusammenleben mit Kind sei für sie, die ihren eigenen Freiraum braucht und sehr gerne alleine lebt, anfangs eine Herausforderung gewesen. «Doch wir sind ein tolles Team, wir sind <hakuna matata> zusammen», schwärmt sie. Auch für ihren Sohn Noah, der wie sie selbst sehr kreativ ist und im vergangenen Jahr als jüngster Fotograf bei der Ausstellung «Black Art Matters» mitmachte und gar für einen Fotografie-Preis nominiert wurde, hat sie es sich nie erlaubt, aufzugeben oder daran zu zweifeln, dass sie ihr Leben meistert: «Mein Sohn soll frei sein wie ein Adler und ins Leben hinausfliegen. Das will ich ihm ermöglichen.»

Schwarzer Kunst eine Plattform bieten

Doch nicht nur ihn will sie stärken, sie setzt sich auch für andere Künstler*innen ein: Im Jahr 2020 organisierte sie gemeinsam mit dem Kulturveranstalter Blofeld Entertainmentdie Fotoausstellung «Black Art Matters» in der Maag Event Hall in Zürich, in der über 70 internationale Fotograf*innen ihre Werke ausstellten. Die Idee, schwarzen Kulturschaffenden eine Plattform zu bieten, hatte Kiptalam bereits 2019 gehabt, die Bewegung «Black Culture Movement» gegründet und im Rahmen der photoSCHWEIZ im Januar 2020 einen Showcase mit 25 schwarzen Fotografen gezeigt. Mit der Ermordung von George Floyd durch US-Polizeibeamte in Minneapolis im Frühling 2020 und dem Erstarken der «Black Lives Matter»- Bewegung wurde das Thema Rassismus dann plötzlich sehr präsent, auch in der Schweiz.
£Wir wollten – sehr spontan – ein kulturelles Zeichen für interkulturellen Dialog setzen», erinnert sie sich. «Und haben mit nur vier Wochen Vorlauf die Werkschau «Black Art Matters» entworfen, was nur möglich war, weil wir schon über ein gutes internationales Fotografen-Netzwerk verfügten».
Es hat sich gelohnt – die Ausstellung war ein voller Erfolg und tourt nun durch weitere Länder. Auch in Kenia soll sie demnächst gezeigt werden – ein kleiner Beweis der Verbundenheit Kiptalams mit ihrer alten Heimat. Und das ist erst der Anfang. Kiptalam hat noch viel vor: «Black Art Matters» soll eine fixe kulturelle Grösse werden, in der Schweiz und international, wir möchten gerne mehrmals jährlich schwarze Kunst, sei es Literatur, Foto, Film oder Mode präsentieren. Damit wollen wir ein Zeichen setzen – und beweisen, wie viel kreative Power und guter Spirit auch in noch wenig bekannten Künstler*innen steckt.»
Eine Kostprobe wird bereits im Mai zu sehen sein: im Rahmen der photoSCHWEIZ, der grössten Werkschau für Fotografie der Schweiz, präsentiert Kiptalam wiederum einen Black Art Matters Showcase.

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