Dagmar schreibt
Dagmar unterwegs: Unter Ahnen und Soldaten
Zum Ferienprogramm gehört auch ein wenig Bildung und Kultur, findet unsere Redaktorin. Sie hat deshalb ihren Sohn und seine Freunde ins Landesmuseum mitgenommen. Denn dort findet sich schliesslich auch ein uraltes Familienerbstück – oder doch nicht?
16. August 2024 — Dagmar Schräder
«Lasst uns heute mal ins Museum gehen». Dieser Satz sorgt beim Nachwuchs in den Ferien normalerweise nicht gerade für Begeisterungsstürme. Museum, das ist doch ein Synonym für so riesige, unüberschaubare Säle, vollgestopft mit verstaubten Antiquitäten und unverständlichen Erklärungen dazu.
Ein Besuch darin bedeutet quälend lange Stunden, in denen man sich durch die Ausstellungen schleppt und sich redlich Mühe gibt, Interesse für jedes Steinchen und jede alte Urkunde zu heucheln, ohne dass einem dabei das Gesicht einschläft. So jedenfalls erinnert sich die Autorin an die Museumsbesuche ihrer Kindheit.
Und seither, sie muss es zugeben, hat sie nicht mehr allzu viel Zeit in diesen wichtigen Institutionen der Allgemeinbildung verbracht. Die Aufforderung, die sie in diesen Ferien an ihre Kinder richtet, gilt also ebenso ihr selbst: Endlich mal wieder den inneren Schweinehund überwinden und sich und den Kindern ein Stück Kulturgut der Schweiz näherbringen.
Also Landesmuseum. Erstaunlicherweise sind die Kinder dem Experiment gegenüber nicht abgeneigt. Gut gelaunt, fast schon euphorisch, folgen der jüngste Sohn und seine zwei Kumpels der Einladung. Gut, gleich nach der Ankunft bleiben sie erstmal im Museumsshop hängen und müssen ausführlich diskutieren, ob es sich lohnt, die Spielzeug-Armbrust und den Schlüsselanhänger zu erstehen.
Aber egal, dafür darf auch Zeit sein. Auch wenn die Exponate hier im Shop vielleicht nicht ganz so authentisch sind wie die Ausstellungsstücke ein paar Räume weiter.
Blutrünstige Vergangenheit
Nun endlich geht’s weiter, los ins Abenteuer Ausstellung. In den Räumen mit der Ausstellung zum zweiten Leben der Dinge, die sich mit Recycling und Kreislaufwirtschaft auseinandersetzt, verlieren die drei Jungs nicht allzu viel Zeit. Kurz bleiben sie vor den Nike-Turnschuhen hängen, die aus recyceltem Material erstellt wurden, doch insgesamt erschliesst sich ihnen die Bedeutung der Ausstellung noch nicht so ganz.
Schade eigentlich, sie war einer der Gründe, hierher zu kommen. Aber wir sind ja offen für alles. Und schauen einfach mal, was so auf uns zukommt.
Es ist ohnehin nicht ganz einfach, hier einem konkreten Plan zu folgen. Denn in den alten Gemäuern nicht die Orientierung zu verlieren, ist nicht ganz einfach. Ein ziemliches Labyrinth, dieses Gebäude. Hier möchte man sich auch nicht verirren und dann abends vom Schliesspersonal vergessen und über Nacht eingesperrt werden. Der Film «Nachts im Museum» könnte an diesem Ort jedenfalls eine lustige Fortsetzung finden.
Im nächsten Raum ist die Schlacht bei Murten abgebildet. Was heisst abgebildet, nachgestellt. Mit tausenden von kleinen Zinnfigürchen. Am 22. Juni 1476 kämpften die Eidgenossen eine blutige Schlacht gegen das Burgunderheer. Sechs Stunden dauerte das Gemetzel, die Eidgenossen waren siegreich, Murten hielt der Belagerung stand. Im Modell sind verschiedene Phasen der Schlacht nachgebildet, detailliert.
Die 6000 Figürchen, mit deren Anfertigung zwei Künstler während drei Monaten beschäftigt waren, kämpfen zu Fuss, zu Pferd oder in der Burg gegeneinander. Mit mehreren Feldstechern lässt sich der Kampf genau nachverfolgen. Dank digitalen Informationen lässt sich genau nachvollziehen, wer an welcher Front kämpf.
Die Jugend ist fasziniert: Wappen, Waffen, Verletzte und Gefallene werden genau begutachtet und der Kampf diskutiert. Zum Glück stellen sie keine genauen Fragen über den Hintergrund der Schlacht, die erwachsene Begleitperson muss sich eingestehen, nicht viel Ahnung davon zu haben. Aber das kann man ja glücklicherweise nachlesen. Burgunderkriege, aha. Und Karl der Kühne. Mein Gott, die letzte Geschichtslektion liegt schon unendlich weit zurück …
Das Wissen könnte man durchaus wieder auffrischen. Vielleicht direkt vor Ort? Denn das Diorama, so wird das Modell genannt, macht Lust, selbst mal nach Murten zu reisen und die Originalstätte des Kampfes zu besichtigen.
Auch Schmuckstücke stossen auf Interesse
Genug der Schlachten. Durch Räume mit Waffen- und Rüstungssammlungen, Audio- und Videoaufzeichnungen von Verdingkindern und einer anschaulichen Darstellung des Verteidigungskonzepts am Gotthard führt der Weg zu einem Saal im Westflügel (wie gross ist dieses Museum eigentlich?), in dem eine Schmucksammlung ausgestellt ist. Dass es hier so viele verschiedene Dinge anzuschauen gibt, war zumindest der Autorin bis dato unbekannt.
Die farbenprächtigsten und kreativsten Ringe aus aller Welt sind hier in einer runden Vitrine zu bestaunen. Ob die überhaupt jemals getragen wurden? Oder handelt es sich hier nur um Kunst? Bei vielen der überaus opulenten Schmuckstücke ist es tatsächlich zweifelhaft, ob sie überhaupt tragbar wären.
Anschliessend landet die Gruppe in einem der Säle, die von der Gräfin Wilhemina von Hallwyl gestaltet wurden. Hier sind lauter Exponate ausgestellt, die bei der Sanierung des Schlosses im Schlossgraben gefunden wurden und im Jahr 1912 dem Museum geschenkt wurden. Heiss ist der Saal, stickig und vollgestellt. Ein klassischer Museumssaal also. Aber auch äusserst faszinierend, wieviel Plunder der Adel so im 19. Und 20. Jahrhundert angehäuft hat.
Wo ist Adam Naef?
Aber wo ist denn jetzt eigentlich das Familienerbstück? Das berühmte Naefenschwert von einem Vorfahren mütterlicherseits, der damals mit Zwingli in der Schlacht bei Kappel am Albis kämpfte? Und der zwar die Niederlage der Zürcher nicht verhindern konnte, aber mit seinem Schwert immerhin das Zürcher Banner rettete und als Dank dafür ein paar Häuser in Kappel geschenkt bekam, die heute immer noch im Besitz der Familie sind?
Das muss man doch gesehen haben, findet auch der jüngste Sohn und eilt durch die Räume, die die Reformation und ihre kriegerischen Auseinandersetzungen beinhalten. Viele Waffen sind hier zu sehen – aber keines, das dem Stammvater Adam Naef gehörte. Seltsam. Wo versteckt es sich bloss?
So langsam, nach rund zwei Stunden intensiven Museumsbesuchs, schwindet die Ausdauer der jungen Teilnehmer. Und nun wird auch noch via Lautsprecher angekündigt, dass das Gebäude in kurzer Zeit schliesse. Mist, der verschobene Einkauf im Museumsshop muss doch auch noch absolviert werden.
Bei der Abwägung zwischen Shoppingerlebnis und Familienschwert zieht letzteres eindeutig den Kürzeren. Schnell wird irgendein anderes Schwert, das in den Räumen rumhängt, zum Naefenschwert umdefiniert. «Das muss es sein», erklärt der Sohn seinen Freunden. Damit ist die Suche für ihn abgeschlossen und er macht sich auf die Suche nach dem Ausgang.
Wie bereits erwähnt, ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Treppe hoch, um die Ecke, Treppe wieder runter, dem Menschenstrom hinterhergeeilt. Hektisch hetzt die Gruppe durch die Gänge.
Da, endlich, der Shop. Und jetzt darf eingekauft werden. Eine Steinschleuder mit Papierkügelchen als Munition und ein Edelstein sind die stolze Ausbeute. Zum krönenden Abschluss gibt es auf dem Heimweg auch noch ein Trendgetränk aus einem Shop im Hauptbahnhof. Willkommen zurück im 21. Jahrhundert.
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