Gewerbe
Da ist gar kein Wurm drin
Vor 17 Jahren wagte Claudio Bolliger den Schritt in die Selbständigkeit. Ohne die Unterstützung seiner Frau Conny hätte es die Schreinerei «Holzwurm 2000» wohl nicht gegeben.
8. Februar 2017 — Patricia Senn
«Als in meinem Umfeld klar wurde, dass ich mich selbständig machen würde, sagten viele, das sei doch verrückt. Aber halt auch mutig», erzählt Claudio Bolliger an einem Nachmittag im Winter, als zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Sonnenstrahlen durch die grosse Fensterfront fallen. Am massiven Holztisch mit Platz «für viele Enkelkinder, vielleicht einmal», sitzt das Ehepaar Bolliger und erzählt, wie es war, damals am Anfang. Während seiner Zeit als Angestellter habe er fast jedes Wochenende über Kopfschmerzen geklagt, erinnert sich seine Frau Conny. Doch sobald er selbständig wurde, hätten die Schmerzen aufgehört. Sozusagen über Nacht. Die Arbeit sei immer noch streng, aber diese negative Spannung sei weg. Und der Erfolg gibt ihm recht.
Kinder und Arbeit unter einen Hut gebracht
Der ehemalige Arbeitgeber habe irgendwann den Anschluss an die Technologien der modernen Zeit verpasst. Bolliger kaufte sich ein eigenes Mobiltelefon und sei deshalb für die Kunden besser erreichbar gewesen. Für einen Handwerker, der den ganzen Tag unterwegs sei, sei das überlebenswichtig. Irgendwann hätten die Kunden nur noch mit ihm arbeiten wollen. Als er schliesslich bekannt machte, dass er die alte Firma verlassen werde, wollten viele wissen, wohin er ging ─ und mit ihm gehen. So verlief der Start in die Selbständigkeit relativ sanft. Wenn einmal weniger lief, konnte er bei anderen Schreinern aushelfen. «Es gab verschiedene Voraussetzungen für mich. Die erste war, dass Conny mich unterstützen würde. Wäre sie nicht mit an Bord gewesen, hätte ich es nicht gemacht». Und das lief in beide Richtungen: Hätte Conny nicht seine Zuverlässigkeit und seinen Fleiss gekannt, hätte sie ihn auch nicht unterstützt, erzählt sie. Also erledige sie seither die Buchhaltung und Administration für den «Holzwurm 2000», Offerten und Rechnungen schreibe er jeweils selber. Die zweite Bedingung war, dass das Büro in der Wohnung am ehemaligen Schwarzenbachweg sein musste ─ die Schreinerei selber befindet sich in Oberhasli ─ «so konnte ich die Kinder am Wochenende trotzdem sehen, auch wenn ich mich ab und zu noch vor den Computer setzen musste». Es wurde viel diskutiert am Abendtisch, doch auch wenn einmal die Fetzen flogen, fand man sich am Ende des Tages wieder. «Heute sind wir etwas ruhiger geworden, aber wir tauschen uns natürlich noch aus. Ich weiss manchmal nicht, wie sie es nach all den Jahren noch aushält, wenn ich am Abend wieder einmal nach Hause komme und erst mal abladen muss», erzählt Claudio mit einem Augenzwinkern. «Wir sind sehr verschieden, sie ist eher ruhig, ich ziemlich temperamentvoll. Das hat sich immer gut ergänzt», erzählt Claudio. Die Rolle des Prellbocks weiss Conny stoisch zu nehmen, doch sie ist keineswegs ein stilles «Huscheli». «Ich wehre mich schon, wenn mir etwas nicht passt», sagt sie, «aber ich muss zugeben: Claudio hat oft einfach recht. Er überlegt viel und wägt ab, und am Ende ist seine Lösung einfach die bessere. Er kommt mit vielen guten Ideen, die auch mir gefallen, das war immer so in unserem Leben. Auch wenn ich privat einmal nicht weiterwusste, konnte er mir Mut machen und die Ruhe bewahren. Er sagt immer: <Wart es ab, irgendwo geht wieder eine Tür auf>. Wir funktionieren gut zusammen, privat und beruflich». Das unerwartete Kompliment lässt den gestandenen Handwerker tatsächlich kurz erröten.
Die Freiheit des Selbständigen
Obwohl der selbständige Schreiner tendenziell mehr arbeitet, schätzt er die Freiheit, die es mitbringt, wenn man sein eigener Chef ist. Natürlich wird man am Anfang nervös, wenn einmal eine Woche nichts läuft. Mit der Zeit kennt man die verschiedenen Phasen des Jahres und kann die ruhigeren Zeiten auch geniessen. Und wenn man sich die Arbeit selber einteilen kann, liegt auch ab und zu ein verlängertes Wochenende drin. Dann zieht es das Ehepaar nach Euthal am Sihlsee, wo sie an ein Häuschen aufgebaut haben. Dort kommen sie zur Ruhe und tanken neue Energie, die stressigeren Zeiten kommen später wieder. Und wenn die Arbeit zu viel wird, fragt Bolliger andere Schreiner in Höngg und Umgebung, ob sie etwas übernehmen können, so ist die Zusammenarbeit auch mit Urs Kropf sehr gefragt. Dies sei ja auch das Ziel des Handels und Gewerbes in Höngg, dass vermehrt zusammengearbeitet würde, betont der Schreiner. Das sei nicht immer so gewesen. Als er begonnen habe vor 17 Jahren, habe man ihn erst einmal schmoren lassen. Erst nachdem er sich durch seine Mithilfe am Wümmetfäscht bewiesen hatte, wurde er in den erlauchten Kreis der «Höngger Szene» eingelassen, erzählt er mit einem Lachen.
Die Frage der Nachfolge
Die beiden sind sehr naturverbunden und mieten lieber einen Wohnwagen auf dem Campingplatz von Pontresina, als sich am Mittelmeer zu den Sardinen an den Strand zu legen. So erstaunt es wenig, dass eine der Traumdestinationen Skandinavien ist: «Ein Freund von uns fährt zweimal im Jahr für zehn Tage hoch, packt Proviant ein und fährt mit dem Boot in die Fjorde hinaus zum Fischen, das würde ich auch gerne machen», schwärmt Claudio. Auch die Wildnis Kanadas hat es ihnen angetan. Am liebsten in einer Blockhütte am See, wo man fischen und Radfahren kann. Vielleicht werden die Reisewünsche ja nach der Pensionierung wahr. Wenn man auf die Rente zu sprechen kommt, ist auch das Thema der Nachfolge nie weit. «Ein eigenes Geschäft ist wie ein Kind, man zieht es auf und lässt es dann aufs Leben los. Ich habe es aus dem Boden gestampft, natürlich würde es mir wehtun, wenn es einfach in Liquidation ginge», gibt der Schreiner zu. Besonders, weil sich das Geschäft auch etabliert hat und gut läuft. Seine beiden Töchter sind inzwischen ausgezogen und haben bereits für sich ausgeschlossen, den «Holzwurm» zu übernehmen. Lehrlinge kann und will Claudio als Ein-Mann-Betrieb nicht ausbilden und die Zahl der ausgebildeten Schreiner auf dem Markt ist rückläufig ─ die Jungen wollen heute lieber im Büro arbeiten, als sich die Hände schmutzig zu machen. Es sei auch in Ordnung, dass man heute den Beruf selber wählen könne ─ seinen Töchtern hat das Ehepaar da auch freie Hand gelassen. Selber habe er als Kind erst Bauer werden wollen, dann Automechaniker, aber seine Eltern hätten halt auf den Werklehrer gehört, und da wurde der Claudio eben Schreiner. Und ein erfolgreicher dazu.
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