Kultur
«Chömed as Liecht»
Mitte September führte der reformierte Kirchenchor Höngg unter der Leitung von Peter Aregger zusammen mit dem Kammerorchester Aceras, Claudia Beck am Hackbrett, der Sopranistin Franziska Wigger und dem Bass Sascha Litschi Peter Roths «Toggenburger Passion» auf.
9. Oktober 2025 — François Baer
Um zehn vor acht war die reformierte Kirche in Höngg bis auf den letzten Platz besetzt. Alle waren gekommen, um Peter Roths «Toggenburger Passion» mitzuhören, wohl auch, weil es sich herumgesprochen hatte, dass dies die letzte Aufführung von Peter Aregger als Chorleiter «seines» Chors sein sollte, den er über zweieinhalb Jahrzehnte geleitet hatte.

Dass er diese «grosse Kiste» für einen Kirchenchor mit Orchester und Solisten nach 2017 nochmals sich selbst und der Höngger Bevölkerung zum Geschenk wählte, war dem Ruf geschuldet, dass in Peter Roths Passion alles zu einem Gesamtkunstwerk zusammengeschmolzen war, bei dem während gut einer Stunde alle Mitwirkenden konstant und fordernd im Einsatz sein sollten.
Wie die Passion entstand
Peter Roth, 1944 in St. Gallen geboren, besuchte das Lehrerseminar in Rorschach, studierte am Zürcher Konservatorium Schulmusik und war in einem Jazztrio unterwegs. Als Achtundsechziger geriet er in die Studentenbewegung mitsamt den Globuskrawallen. Er fand danach eine Anstellung als Dorflehrer in Nesslau, wo er auch den Kirchenchor übernehmen musste: «Sie hatten lieber einen langhaarigen Chorleiter als gar keinen», erinnerte er sich. Daraus wurden es dann 39 Jahre und viele Werke zu Kirchenmusik.
Zur «Toggenburger Passion» kam es, als er in den Achtzigerjahren für vier Monate im Keller des alten Amtshauses in Grabs einsitzen musste, weil er eine Exerzierübung als Sanitätsdienstsoldat verweigerte – der Zivildienst existiert erst seit 1996 –, und er da nur das Dienstreglement und die Bibel vorfand. Dabei fand er bei «Aufrecht gehen sollen alle, die keine Waffen tragen» (aus Jesaja 9, «Hoffnung für alle») unvermittelt die Verbindung zu dem Bildzyklus der «Grossen Passion» des Toggenburger Malers Willy Fries.
Dieser hatte das Szenarium in die Landschaft von Wattwil gestellt und die Personen nach realen Vorbildern gemalt – so war Herodes beispielsweise als Pfarrer oder Pilatus als Gemeindeammann erkenntlich und alle Soldaten trugen Helme der Schweizer Armee. Ein Affront. Die Bilder sollten vernichtet werden. Dies konnte nur dadurch verhindert werden, dass sie paradoxerweise nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden konnten.
Machtvoll und lüpfig
Durch die befreiungstheologische Botschaft der Bilder aufgerüttelt, schrieb Peter Roth eine Musik, welche die klassischen Melodien Mazurka, Schottisch und Ländler aufnimmt und sie mit den Naturmelodien, den Zäuerli des Alpsteins, verbindet. Karg, archaisch erst erklingt ein Fagott und eine Oboe ergänzt, allmählich stimmt das Orchester ein und Sascha Litschi liest einen Teil des Prologs, der zusammengefasst lautet: «Gott will den aufrechten Gang», in den Franziska Wigger einstimmt.
Die Tonlage der Orchesterbegleitung ist noch immer reduziert, bekommt aber immer mehr einen helvetisierten Beiklang. Und dann setzt jäh der Chor machtvoll und lüpfig mit einem volksmusikalischen Choral ein, worauf Sascha Litschi und Franziska Wigger wechselweise mit ihren klaren, machtvollen Stimmen, die nie aufgesetzt wirken, die Geschichte weitertreiben.
So geht es immer weiter: Singt der Chor zwischendurch lüpfig, so konterkariert das Orchester mit herben, durchaus barocken Akkorden à la «Rameau in den Gärten von Versailles», und mit Clusterelementen, die an Theodorakis’ «Epiphanien» während der Obristendiktatur gemahnen, was dem Ganzen Dramatik und gleichzeitig Bodenhaftung gibt. Und wenn in der Kreuzszene das Lamento mit einer Kantate und jiddischen Klezmertakten wiederum mit Grundtönen von Trompete, Fagott und Oboe unterlegt wird, dann überkommt einen Hühnerhaut.
Dank an Peter Aregger
Die Spannung lässt erst nach, wenn am Schluss der Chor «Mached eu uf, chömed as Liecht» einstimmt, und einem bewusst wird, dass die «Toggenburger Passion» definitiv mit Carl Orffs «Carmina Burana» aus den Jahren 1935/1936 gleichzuziehen vermag und es verdienen würde, von den hiesigen Orchestern auf ihren Welttourneen aufgeführt zu werden. Und, Peter Aregger: Danke für diese bewegende Aufführung, die so perfekt dargeboten wurde und welche intensive Proben von Chor, Solisten und Instrumentalisten reich belohnt haben.
0 Kommentare