Charakterwein, Corona und Frostnächte (Umgewandelt in Blöcke)

Der traditionelle «Tag der offenen Weinkeller» am 1. Mai kann auch dieses Jahr nicht wie geplant stattfinden. Der «Höngger» hat deshalb direkt bei den lokalen Winzer*innen nachgefragt, wie sie das Jahr 2020 beurteilen, was für Auswirkungen Corona auf die Produktion hat und wie es ihnen momentan geht.

Der Rebberg unter der Kirche wird von Stadtwinzerin Karin Schär bewirtschaftet. (pas)
Die letzten Wochen brachten einige Frostnächte mit sich. Wie gross der Schaden sein wird, lässt sich noch nicht sagen.
Griffel und Fruchtknoten sind braun - die Blüte ist erfroren.
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Normalerweise findet jeweils in der ganzen Deutschschweiz am 1. Mai der «Tag der offenen Weinkeller» statt. Die Winzer*innen öffnen an diesem Tag die Türen ihrer Keller für das breite Publikum und bieten ihr jüngstes Produkt zur Degustation an. Eine Gelegenheit, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und einen Rückblick über die Höhen und Tiefen der letzten Saison zu geben. Coronabedingt muss der Anlass diesen Frühling aber erneut verschoben werden – erst Ende Juli wird sich Liebhaber*innen des Rebensafts voraussichtlich die Gelegenheit bieten, den Jahrgangstropfen zu probieren. Doch der Wein ist dessen ungeachtet natürlich trotzdem bereits produziert. Der «Höngger» hat bei den drei Betrieben, die in Höngg Wein produzieren, Zweifel 1898, Wein- und Obsthaus Wegmann sowie Grün Stadt Zürich nachgefragt, wie sie das vergangene Jahr aus Sicht der Winzer*innen und Obstproduzent*innen beurteilen.

Anspruchsvolles Jahr

Wie Karin Schär, Winzerin von Grün Stadt Zürich, erklärt, sei 2020 meteorologisch gesehen sehr anspruchsvoll gewesen – mit spätem Frost im Frühling und einem trockenen Sommer. «Wie schon 2019 werden auch die Weine des Jahrgangs 2020 sortentypische Charakterweine werden», so beurteilt Schär die jüngste Ernte. Für die Winzerin ist der Jahrgang nicht primär wegen Corona bemerkenswert, sondern vor allem deswegen, weil es der erste städtische Wein ist, der komplett ihre Handschrift trägt: «Der Jahrgang 2020 vom Chillesteig ist der erste, den ich komplett betreute. In jeder Flasche ist also ein Stück Höngg mit meiner Grussbotschaft abgefüllt.» Auch aus Sicht von Urs Zweifel war das vergangene Jahr für die Winzer*innen nicht ganz einfach. Es sei zwar schön warm gewesen, die zweiwöchige Schlechtwetterperiode im Juni während der Blüte der Trauben habe aber zu einem geringeren und inhomogeneren Ertrag bei der Traubenernte geführt. Zudem, so Zweifel, «führten die warmen Temperaturen im Herbst dazu, dass wir frühzeitig ernten mussten, damit der Alkoholgehalt nicht zu hoch wird. Dadurch verringerte sich unser Gesamtertrag um rund 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019.»

Absatz geringer aufgrund von Corona

Die Pandemie hatte zumindest auf die Pflege der Reben, die alltägliche Arbeit im Rebberg, die Ernte und Produktion glücklicherweise nur wenig Einfluss, wie Schär bestätigt: «Das Abstandhalten am Rebberg ist durch die Abstände der Rebstöcke bei fast allen Tätigkeiten vorgegeben – «Vineyard Distancing» quasi. Dass der Weinbau als Gemeinschaftsleistung des Juchhof-Teams erbracht wird, war ebenfalls sehr hilfreich. So konnte rasch auf neue Anforderungen reagiert werden und umfangreichere Arbeiten, wie die Erneuerungsarbeiten letztes Frühjahr, erfolgten aus einer Hand.» Grössere Auswirkungen hat Corona und die damit zusammenhängende Schliessung von Restaurants und Bars allerdings auf den Absatz des Weins. Der private Konsum kann den Verlust, der durch den Lockdown entstanden ist, nicht wettmachen. Auch der Ausfall der Degustationen macht sich für die Winzer*innen bemerkbar. Das Geschäft lebe vom sinnlichen Erlebnis und ohne Degustation laufe im Verkauf fast gar nichts, erklärt etwa Obst- und Weinbauer Daniel Wegmann im Gespräch mit dem «Höngger». Dennoch hatte sich die Familie Wegmann für den «Tag der offenen Weinkeller» gar nicht erst angemeldet – auch als noch nicht feststand, dass er abgesagt werden wird: «Wir hatten uns überlegt, im erlaubten Rahmen unter Einhaltung der Sicherheitsmassnahmen kleine Degustationen anzubieten», erzählt Wegmann. Es habe sich aber nicht fair angefühlt gegenüber den Restaurants und Bars, die weiterhin geschlossen bleiben mussten. Anfangs Jahr sei zudem noch gar nicht absehbar gewesen, welche Regelungen im Mai gelten würden. Die Lager sind momentan daher also gut gefüllt, die Jahrgänge 2019 und 2020 sind noch in gröss eren Mengen vorhanden – wobei, wie Zweifel sagt: «Der geringere Ertrag des letzten Jahres sorgt wenigstens dafür, dass das Überlager, das durch Corona entstanden ist, nicht zu gross wird.» Dennoch ist die Hoffnung der Winzer*innen natürlich, dass der Absatz zumindest nach Öffnung der Restaurantterrassen wieder ansteigt.

Bangen nach Frostnächten

Wegmann hatte in den letzten Wochen aber noch ganz andere Sorgen. Sieben Nächte hatten er und seine Frau Zarina zum Zeitpunkt des Interviews bereits durchgemacht, den Himmel beobachtet, das Thermometer gecheckt, die Temperaturentwicklung in den umliegenden Regionen verglichen. Spätestens wenn das Quecksilber auf minus zwei Grad sank, war die Zeit gekommen, draussen die Kerzen anzuzünden, um die blühenden Obstbäume vor dem Frost zu schützen. Bis dahin hatte er schon fünfmal gefeuert. Langsam werden die Kerzen knapp, er muss entscheiden, welche Pflanzen überleben sollen. Das Risiko wird noch bis zu den Eisheiligen fortbestehen, auch wenn die Anspannung mit jedem warmen Tag nachlässt.
Während Wegmann zwischen den Zwetschgenbäumen hindurch läuft, zupft er hie und da eine Blüte ab, er sieht bereits am Stempel, dass sie erfroren ist. Vorsichtig schneidet er den Knoten auf und tatsächlich, im Innern ist es nur noch braun. Bei den Kirschen sieht es besser aus, da hat es erst die Pflanzen am Rand erwischt, die nicht unter der Plastikabdeckung standen. Doch wie es nach der kommenden Frostnacht aussehen wird, will er sich nicht ausmalen. «Ich tue, was ich kann, aber auf das Wetter habe ich keinen Einfluss, deshalb bringt es nichts, in Panik zu geraten». Natürlich nimmt er es nicht locker. Es sei jedoch noch viel zu früh, eine Aussage zu den Schäden zu machen, das werde man erst in ein, zwei Wochen sehen. «Gleich nach einer Frostnacht sehen die Pflanzen jämmerlich aus, aber sie können sich wieder erholen». Bei den empfindlichen Apfelsorten ind 40 bis 60 Prozent der Blüten bereits verloren. «Hier reichen uns jedoch zehn bis zwanzig Prozent für einen vollen Ertrag». Wie viel Früchte die Birnen, Zwetschgen, Äpfel und Kirschbäume tragen, hänge neben der Temperatur noch von vielen anderen Faktoren wie der herrschenden Feuchtigkeit oder dem Bienenflug ab. Für die Honigbienen ist es jetzt auch zu kalt, sie müssen in ihren Stöcken ausharren, obwohl die Blütenpollen bereit wären.

Reben mehrheitlich noch «in der Wolle»

Mit Schaudern erinnert sich Wegmann an das Jahr 2017 zurück, als im April der Frost kam und über mehrere Nächte hinweg bis zu minus sieben Grad brachte. Der Ernteausfall lag bei fast 100 Prozent, und damals traf es auch die Reben, weil deren Entwicklung durch den warmen Februar und März schon weiter war. Dieses Jahr haben bei den Reben erst einzelne Knospen ausgetrieben, die meisten Pflanzen sind noch «in der Wolle», wie der Landwirt sagt. Im Trockenen sind sie dennoch nicht: «Sobald sie austreiben, wird sich zeigen, wie viel Schaden sie in den langen, kalten Nächten wirklich genommen haben», so Wegmann. ”

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