Unterwegs mit Höwi: Cervelatsalat? Nein, Wurstsalat!

Gastrojournalisten haben harte Schädel. Höwi zum Beispiel. Der wollte im «Grünwald» unbedingt den Cervelatsalat testen. Die Brust geschwellt, die Armbrust hoch erhoben und rein ins kulinarische Vergnügen, das so perfekt zum kommenden Nationalfeiertag passt. Doch das ging nicht. Warum? Das erfährt man hier, exklusiv im «Höngger»!

Wurstsalat.
Die Bio-Forelle kommt vom Glauser aus Bachs.
Wurstsalat.
Das «Grünwald»-Team mit Nicolas F. Blangey, Anja Plückhahn (Geschäftsführerin Stv.) und Philipp Kuhn (Kochlehrling).
«Cervelat» von Heinz von Arx (Herausgeber) und Peter Krebs (Text) nach, erschienen im AS-Verlag.
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Warum es nicht funktioniert hat? Ganz einfach, weil es im «Grünwald» den einzigen, den wahren, den weltberühmten Cervelatsalat nur in den Wintermonaten gibt. Jawohl! Denn im Sommer, wenn Dutzende dieser Klassiker täglich über die Tische gehen, dann würden die Köche mit dem Schnetzeln kaum fertig, erklärt Nicolas F. Blangey, der den «Grünwald» seit 18 Jahren führt. Also machen seine Köche den beliebten Salat im Sommer mit Lyoner, was zur Folge hat, dass er nicht als Cervelat-, sondern als Wurstsalat auf die Teller kommt. Klar fehlt der typische Rauchgeschmack, denn der Cervelat darf bekanntlich noch zwei Tage in den Rauch. Aber der Salat mit der Wurst, die in etwa das gleiche Brät hat wie die Wurst, die Cervelat heisst, ist auch ganz gut, zumal sie feiner aufgeschnitten wird, was etliche sogar bevorzugen. Und: Die Portion ist reichhaltig, beinhaltet mehrere Salatsorten und bei der Version mit Käse ist Gruyère drin, was den Wurst-Käse-Salat rassiger macht als mit Emmentaler. Den Cervelat-Käse-Salat natürlich auch. Warum die beiden aber ungefragt stets mit French-Dressing serviert werden, gehört zu den Geheimnissen des Hauses. Falls man die Sauce lieber italienisch mag, sollte man das unbedingt sagen. Und bitte zwei Mal, weil das gerne untergeht. Doch genug geföppelt. Was der Höwi ebenfalls probieren wollte, war die Forelle.

Glückliche Forellen

Die ist bio und kommt vom Glauser aus Bachs. Das allein ist schon Applaus wert, denn immer mehr Restaurants arbeiten heute lieber mit billigem Fisch aus dem Ausland. Seit 1993 hält Glauser mit Erfolg dagegen. In Naturweihern wachsen die Forellen in Knospe-Qualität heran. Zwei bis drei Jahre darf so ein Edelfisch herumschwimmen, bis er im «Grünwald» auf dem Teller landet: filetiert, goldbraun auf der Haut gebraten und ohne das kleinste Grätchen drin. Freude machen auch die Beilagen, einzige Kritik: Den Fisch doch bitte nicht auf das Ratatouille legen, so wird er pampig und nimmt den Geschmack des Gemüses an.
Zum Abschluss nimmt Höwi noch ein Dessert, und zwar «z’Leid» den nicht hausgemachten Schoggikuchen. Für ein Industrieprodukt ist der ganz passabel, kommt aber bei weitem nicht an denjenigen von Höwis Mutter heran. Bei den Desserts könnte der «Grünwald» die Eigenleistung ohnehin noch erhöhen, denn die Leute können gute Desserts machen, wie etwa die gebrannte Creme oder das «Karamellköpfli» zeigen. Mehr davon, Leute! Dieses Frisco-Findus-Emmi-Zeugs gibt es überall.

Guter Service

Auf die Gefahr hin, dass Frau oder Herr «Anonymus» wieder eine längere Replik im «Höngger» platziert, wie sie oder er dies nach Höwis Besuch im «Turbinenhaus» machte, hier eine pointierte Aussage, die hoffentlich wieder jemanden aus dem Busch klopft: Höwi findet den Service im «Grünwald» Spitze! Selbst wenn ein Gast minutenlang sein Münz zusammenklaubt, wartet die Serviertochter geduldig, bedankt sich mit einem Lächeln und wünscht einen schönen Tag. Serviertochter ist übrigens nicht ganz korrekt, denn die Dame heisst Anja Plückhahn, ist seit acht Jahren im «Grünwald» und stellvertretende Geschäftsführerin. Erstaunlich, dass sie eben noch ganz in Schwarz herumgewirbelt ist und jetzt, keine Minute später, trägt sie eine weisse Bluse? Des Rätsels Lösung: Sie hat eine Zwillingsschwester, die heisst Anett und sieht exakt, aber wirklich g e n a u gleich aus!

Kritik?

Mais oui! Schliesslich ist Nicolas Blangey väterlicherseits Romand, wuchs aber in Zürich auf, wo er 1991 die Kochlehre im Dolder Grand machte. Danach folgten die Hotelfachschule Luzern und etliche 5-Sternehotels wie das Badrutt’s Palace in St. Moritz oder das Peninsula Beverly Hills. Wieder in der Schweiz machte er ein Inserat, weil er etwas Eigenes machen wollte. Die Familie Ernst Geering fand den ambitionierten jungen Mann toll, übergab ihm die Pacht, und so landete Blangey in dieser «Traditionsbeiz, die jeder Höngger kennt». Ah ja, die Kritik. Alors: Der Kinderspielplatz. Für Kinder ein Paradies, wer jedoch an einem Mittwochnachmittag im Garten gemütlich plaudern möchte, sollte einen Tisch weit ab vom Rummel wählen. Dann: Die wenigsten Höngger reisen mit dem öV an. Weil sie lieber verzweifelt einen der raren Parkplätze suchen? Oder über den extrem löchrigen, hinteren Waldweg zu holpern belieben? Vielleicht könnte man ein Bonussystem einführen: Wer das Busticket vorzeigt, kriegt gratis ein Karamellköpfli. Dann: Dass das Obsthaus Wegmann auf seinem Cuvé noir die Weinsorten nicht angibt, ist merkwürdig. Die Weine müssen sich nämlich keineswegs verstecken. Und: Die Menükarte ist etwas gar nüchtern abgefasst. Etwas mehr Poesie und Herkunftsangaben wären angebracht. Übrigens: Viele der beliebten alten «Grünwald»-Gerichte hat Blangey zum Glück beibehalten. Die Pouletflügeli mit der Haussauce zum Beispiel. Oder das Cordon bleu, das es in einem Dutzend Varianten gibt, dann das luftig panierte Riesenwienerschnitzel und im Herbst regionales Wild, erlegt von Emil Nüesch.

Mehr zum Cervelat, dem wurstgewordenen Armeesackmesser

160 Millionen Cervelats werden alljährlich in der Schweiz gegessen. Damit ist der Cervelat die beliebteste Wurst dieses Landes. Und weil er kulinarisch so vielfältig zu gebrauchen ist, könnte man den kleinen Dicken auch als «wurstgewordenes Schweizer Armeesackmesser» bezeichnen. Denn man kann ihn roh essen, als Salat mit oder ohne Käse, kann ihn mit Speck umwickeln, mit Käse füllen oder panieren und braten. Oder in eine Tomatensauce schnetzeln, in Wirsing rollen à la Capuns, ein Kotelett draus machen und – für viele das höchste der Gefühle – im Feuer bräteln. Hunderttausende werden ihn am 1. August wieder ins Feuer halten. Kreuzweise eingeschnitten, damit er sich so schön krümmt an den Enden.
Kaum eine Ausflugsbeiz, die den Cervelatsalat nicht auf der Karte hat. Das gilt auch für das Restaurant Grünwald, das jährlich ein paar tausend dieser Salate serviert. Im Winter mit Cervelats, im Sommer wegen der Menge mit Lyoner. Da Höwi auch in dieser Domäne ausgedehnte Feldstudien gemacht hat, bis hinauf zum «Wildkirchli» im Appenzellerland, darf er festhalten, dass beide Versionen handwerklich gut daherkommen. Nur Zwiebelringli dürften etwas weniger drauf sein, es geht ja schliesslich nicht um Zwiebelsalat.

Cervelatkrise

Wie sehr der Cervelat die Schweizer Seele trifft, zeigte sich in den Jahren 2006 bis 2012. Damals durften die Brasilianer wegen BSE keine Rinderdärme mehr in die Schweiz exportieren. Es kam zu einer regelrechten Cervelatkrise in der Schweiz: Die ganze Nation bangte um den Fortbestand ihrer Multifunktionswurst, Peach Weber sang tränenüberströmt (na ja, fast…): «Du darfsch ned sterbe, liebe Servila!» Ja, wie heisst sie eigentlich, diese pralle Dicke? Cervelat, Cervelas, Servila oder Zerevela? Und warum nennt man sie auch «Arbeiterforelle» oder «Büezerkotelett»?

Das Buch zur Wurst

Solchen Fragen geht das Buch «Cervelat» von Heinz von Arx (Herausgeber) und Peter Krebs (Text) nach, erschienen im AS-Verlag. Es ist eine gut recherchierte Liebeserklärung an die «Wurst aller Würste», in der man erfährt, dass der Vorläufer des Cervelats um 1553 nicht nur Speck und Schweinefleisch, sondern auch noch Käse enthielt. Und dass es eine Luxuswurst war, deren Därme noch mit Safran gefärbt wurden. So schreibt es die Augsburgerin Sabina Welser in ihrer Rezeptsammlung. Das erste «richtige» Cervelatrezept stammt jedoch aus dem «Bernerischen Kochbüchlein» aus dem Jahr 1749 und führt als Zutaten nebst Fleisch und Speck auch noch Majoran, Weisswein, Lauch, Zwiebeln und Blut auf, das wurde als Bindemittel verwendet. Dass der Name «Cervelat» vom französischen Wort «Cervelle» (= Hirn) kommt, gehört zu den Legenden, denn Hirn war nie drin im Cervelat. Wahrscheinlicher ist, dass der Name vom kurzen, dicken Blasinstrument kommt, dem «Wurstfagott», das die Franzosen in der Renaissance «Cervelas» nannten.
«Büezerkotelett» wurde der Cervelat ab dem 19. Jahrhundert genannt, weil ihn viele Büezer als Znüni mit zur Arbeit nahmen. Das war zur Zeit, als die Industrialisierung begann und sich die Leute zunehmend in der Fabrik oder auf den Baustellen verpflegten.
Das Buch enthält auch etliche Rezepte von Starkoch Beat Caduff, darunter etwa Cervelat mit schwarzem Trüffel, Cervelat Stroganoff oder Cervelat-Fondue.
Caduff schwört auf die Cervelats der Metzgerei Keller am Manesseplatz in Zürich. Andere auf «Horny» Hornecker am Albisriederplatz. Die Aargauer auf ihre «Goldprämierte» aus der Reussthal-Metzgerei in Niederwil. Und Höwi? Natürlich auf die Cervelats der Metzgerei Wartau von René Leuenberger, denn warum in die Ferne schweifen? Und der René hat immer auch noch einen flotten Spruch auf Lager.

 

Restaurant Grünwald
Regensdorferstrasse 237
8049 Zürich
Täglich geöffnet 9 bis 23 Uhr
Telefon: 044 341 71 07
www.gruenwald.ch

Zum Autor
Er nennt sich Höwi, ist ein stadtbekannter Gastrokritiker und Buchautor und schaut den kochlöffelschwingenden Profis im Kreis 10 in die Töpfe. Die Gastrokolumne erscheint monatlich im Höngger und alle drei Monate im Wipkinger.

 

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