Bundes-rate-Wahl

Ein Rücktritt im Bundesrat trifft mich immer mit Schrecken. Nicht weil ich, wie aktuell, das Gestammel des Schläfers oder das Dauerlächeln der Aargauerin vermissen würde – nein, die werde ich so schnell vergessen haben wie jener andere, der uns mit Zahlen, die so falsch waren wie der Monat in seinem Nachnamen, die unsägliche Unternehmenssteuerreform II bescherte. Auch fast alle anderen vor und nach ihm habe ich ausgeblendet.
Nein, die Furcht, die ich nach Rücktrittsankündigungen empfinde, ist jene davor, dass mir nun bis zur Bundesratswahl ein mediales Dauer-Bundesraten ansteht. Monatelang wurde schon spekuliert und seit dann Ende September zuerst Johann und gleich darauf auch Doris tatsächlich endlich ihren Rücktritt ankündigten, geht es landesweit in jedem Nachrichtenformat, vom Fernsehen über Radio zu Zeitungen bis zum hinterletzten Klatschheft nur noch um eines: Wer tritt die Nachfolge an, wer kommt (unterdessen: kam) warum auf die Tickets, wie sind die Wahlchancen und was spricht für oder gegen sie? Das geht so weiter bis am 5. Dezember, dem Tag der Wahl. Danach geht es mit der Departementsverteilung noch in die Nachspielzeit, bevor dann die 100 Tage Schonzeit beginnen. Diese gewähren die Medien vordergründig den Neugewählten. Ich habe sie aber schwer im Verdacht, dass die Medien selbst froh sind, sich mal wieder anderen Themen zuwenden zu können – bevor sie dann am 101. Tag wieder ausgeruht und genüsslich über die beiden Neuen herfallen.
Der Bundesratehorror, dem ich als Medienkonsument ausgesetzt bin, wird also erst Mitte Dezember vorbei sein. Alle Medien überbieten sich in stunden- oder seitenlangem Elabo-Raten, von grossen Fragen (rutscht der BR komplett nach rechts?) bis tief in die Niederungen der Belanglosigkeit eines miesen Sofageschmacks. Ach nein, der ist ja bereits im Bundeshaus angekommen.
Arme, einfallslose Medien. Als gäbe es nichts anderes zu berichten. Klar, so eine BR-Wahl ist ein gefundenes Fressen, das alle Sphären abdeckt. Und alle Medien müssen ihre Formate ja irgendwie, auf Teufel komm raus, füllen. Auch der «Höngger» macht das, mit meinen Kolumnen zum Beispiel. Und ob das sinnvoller ist als ein Bundesratespiel, das sei mal, für ein Pseudonym, das per se kein Selbst hat, unbeispielhaft selbstkritisch dahingestellt. Jedenfalls werde ich bis Mitte Dezember weiterhin fleissig ganze Zeitungsbünde überblättern und Nachrichtensendungen nur noch im Replay anschauen, mit dem Finger auf der Schnelllauftaste, bis der Sender bei anderen Themen als dem heiteren Bundesraten – «welches Schweinerl hättens dann gern?» – angelangt ist.

Es grüsst, medienverdrossen
Frank Frei

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