Das 1x1 des Ablebens
Braucht Anton einen Vorsorgeauftrag?
Seit fünf Jahren gibt es ihn, doch letztes Jahr kannten ihn nur 52 % der Bevölkerung und nur 12 % hatten einen ausgefüllt: den Vorsorgeauftrag, der einem schützen soll, wenn man infolge Krankheit oder Unfall nicht mehr urteilsfähig ist. Doch brauchen alle einen? Und was passiert, wenn man keinen ausgefüllt hat? Auch der fiktive Anton stellte sich diese Fragen.
12. September 2018 — Fredy Haffner
Eine der 20 Prozent jener Personen aus der Altersgruppe der 40 bis 64-Jährigen, die in der Deutschschweiz zumindest schon mal von einem Vorsorgeauftrag gehört haben, ist der für dieses Fokus-Thema erfundene Anton. Durch ein Ereignis im Bekanntenkreis aufgeschreckt begann er, sich mit dem Thema selbst zu befassen – und stiess auf viele Fragen.
Braucht Anton überhaupt einen Vorsorgeauftrag?
Anton ist entweder ledig, verwitwet oder lebt im Konkubinat. Seine nächsten Angehörigen, wie Kinder, Eltern, Geschwister oder Nichten und Neffen, brauchen bereits um einfache Bankgeschäfte tätigen zu können eine Vollmacht. Somit sollte er unbedingt einen Vorsorgeauftrag erstellen, um zu verhindern, dass die KESB von Amtes wegen einschreiten und sich um seine Angelegenheiten kümmern muss, wenn sie von seiner Urteilsunfähigkeit erfährt.
Wäre Anton verheiratet oder würde er in einer eingetragenen Partnerschaft leben, so bräuchte er nicht unbedingt einen Vorsorgeauftrag, denn von Gesetzes wegen kämen der Partnerin oder dem Partner weitgehende Vertretungsrechte zu. Sie können im Bereich der Personensorge, natürlich unter Berücksichtigung einer allfällig vorhandenen Patientenverfügung, zum Beispiel über medizinische Massnahmen entscheiden. Auch können sie Rechtshandlungen tätigen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind, die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte vornehmen sowie die Post soweit nötig öffnen und erledigen. Sie können also zum Beispiel mit Versicherungen korrespondieren oder auf Bankkonten zugreifen, um nötige Einzahlungen zu tätigen. Für die Ausserordentliche Vermögensverwaltung, wie zum Beispiel einen Hausverkauf, brauchen aber selbst Ehepartner*innen oder eingetragene Partner*innen einen rechtswirksamen Vorsorgeauftrag oder müssen die KESB um Zustimmung ersuchen. Da Anton aber weder verheiratet ist, noch in eingetragener Partnerschaft lebt, hat er niemanden, der ihn von Gesetzes wegen für seine finanziellen und administrativen Angelegenheiten vertreten könnte, wenn er nicht mehr selber für sich handeln kann. Möglichweise hat er einer anderen Person zum Beispiel eine Bankvollmacht oder eine allgemeine Vollmacht erteilt, die über den Eintritt der Urteilsunfähigkeit hinaus Geltung haben soll. Doch Vorsicht, manchmal werden auch solche Vollmachten nicht mehr akzeptiert, wenn bekannt ist, dass Anton urteilsunfähig geworden ist.
Was umfasst ein Vorsorgeauftrag?
Anton hat nun die verschiedenen Informationen, die er zum Thema Vorsorgeauftrag zusammengesucht hat, durchgelesen und versteht erst jetzt richtig, welche Bereiche er alle regeln sollte. Im Bereich der Personensorge kann Anton zum Beispiel regeln, wer ihn in allen persönlichen Belangen wie Wohnen und Haushalten unterstützen soll, wer seinen Postverkehr erledigen darf und seine Ansprechperson sein soll, müsste er in eine Wohn- oder Pflegeeinrichtung eintreten. Im Bereich der Vermögenssorge bestimmt er, wer sein Einkommen verwalten und den Zahlungsverkehr abwickeln soll, wer seine vermögensrechtlichen Interessen wahrnimmt und die Steuererklärung erstellt. Antons Rechtsvertretung kann ihn überall vertreten, vor Behörden, Gerichten, Banken, Versicherungen, sie kann für ihn alle möglichen Verträge abschliessen oder kündigen, also auch Wohnungsverträge oder solche mit Wohn- oder Pflegeeinrichtungen.
Wer soll Anton vertreten?
Verwundert fragt sich Anton, wem er dies alles aufbürden soll? Natürlich ist es am einfachsten, wenn eine einzige Person dies alles übernehmen würde. Doch gerade bei komplexeren Situationen – und Anton findet, er biete eine solche – kann es sinnvoll sein, für verschiedene Bereiche verschiedene Personen zu benennen. Oder eine Person für alles zu bestimmen, dieser aber das Recht einzuräumen, Aufgaben an andere zu delegieren. Er möchte auch festhalten, dass die vorsorgebeauftragte Person nötigenfalls auch seine Eigentumswohnung verkaufen darf und seinem Patenkind weiterhin zum Geburtstag 500 Franken überweisen kann. Doch Anton ist sich nicht sicher, wie detailliert er alles im Auftrag aufführen muss.Die KESB der Stadt Zürich räumt auf Anfrage ein, dass es in diesen Belangen noch viele Fragen gebe, was in einem Vorsorgeauftrag festgehalten werden sollte und was man getrost auch weglassen könne. Die Lehre sei sich in gewissen Punkten nicht einig und eine Rechtsprechung dazu bestehe oft noch nicht. Gewisse Problemstellungen seien wohl auch noch gar nicht erkannt, weil noch zu wenig Vorsorgeaufträge validiert worden seien. 2017 waren es in der Stadt Zürich lediglich 30 an der Zahl. Nach Auftragsrecht (Art. 396 Abs. 3 OR) bedürfe es zum Beispiel einer besonderen Ermächtigung, um Grundstücke zu veräussern oder zu belasten oder Schenkungen vorzunehmen. Es sei umstritten, ob diese Geschäfte auch explizit im Vorsorgeauftrag aufgeführt werden müssen, damit eine vorsorgebeauftragte Person sie ausführen kann, so die KESB. Wenn absehbar sei, dass ein solches Geschäft erforderlich werden könnte – zum Beispiel eben die Belastung oder der Verkauf eines Grundstückes – empfehle es sich daher, im Vorsorgeauftrag klar aufzuführen, ob eine entsprechende Ermächtigung mit beinhaltet ist oder nicht. Grundsätzlich würden mit den im Gesetz genannten «Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung im Rechtsverkehr» aber alle Bereiche abgedeckt. In vielen Fällen sei daher ein einfacher, kurzer Vorsorgeauftrag völlig ausreichend.
Wie muss er erstellt werden?
Im Gegensatz zur Patientenverfügung (siehe Artikel vom 30. August) schreibt das Gesetz beim Vorsorgeauftrag vor, dass er handschriftlich verfasst, datiert und unterzeichnet sein muss. Oder nicht handschriftlich verfasst, dafür durch ein Notariat öffentlich zu beurkunden sei. Natürlich lässt sich auch mit handgeschriebenen, weniger umfangreichen Dokumenten vieles regeln. Doch als Anton sah, wie komplex umfangreiche Vorsorgeaufträge verfasst sind, kamen ihm berechtigte Zweifel an der Durchsetzungskraft von einfacheren Varianten. Bei der KESB der Stadt Zürich betont man jedoch, dass man kaum Kenntnis von Schwierigkeiten mit validierten Vorsorgeaufträgen habe. Das zeige wohl, dass es gut klappe. Da Anton jedoch im Zusammenhang mit der Verwaltung seines Vermögens absolute Klarheit schaffen will, entscheidet er sich, den Vorsorgeauftrag zusammen mit seinem Treuhänder oder einer Rechtsberatungsstelle aufzusetzen und dann vom Notariat öffentlich beurkunden zu lassen.
Wohin damit?
Den fertigen Vorsorgeauftrag bewahrt Anton an einem sicheren Ort auf, so, dass er im Ernstfall auch gefunden wird. Selbstverständlich händigt er jeder Person, die er als Vertretung eingesetzt hat, eine Kopie aus. Als erste Beauftragte hat Anton seine Nichte Gisela eingesetzt. Zur Sicherheit informiert er aber auch seine anderen Angehörigen oder nahen Bezugspersonen über den Aufbewahrungsort. Und Anton nutzt die Möglichkeit, den Original-Auftrag bei der für seinen Wohnort zuständigen KESB zu hinterlegen. Clever wie er ist, meldet er auch dem Zivilstandsamt, dass er einen Vorsorgeauftrag errichtet hat und wo dieser deponiert ist – so gelangen diese Informationen nämlich in die zentrale Datenbank «Infostar». Nun muss Anton bei einem Wohnortswechsel nicht mehr daran denken, auch die KESB zu informieren, denn egal wo, erfährt eine KESB von einer neu urteilsunfähigen Person, so ist sie verpflichtet, sich beim Zivilstandsamt zu erkundigen, ob ein Vorsorgeauftrag vorhanden ist.
Wann tritt ein Vorsorgeauftrag in Kraft?
Niemand wünscht Anton etwas Schlechtes, doch auch er kann verunfallen, ins Koma fallen, dement werden oder sonst nicht mehr urteilsfähig sein. Und erst dann kann sein Vorsorgeauftrag in Kraft treten. Bis dahin aber bleibt er völlig wirkungslos und er kann ihn auch jederzeit abändern. Oder widerrufen: Hierzu braucht er nur das Original zu vernichten. Wenn Anton aber zum Beispiel nicht mehr sicher ist, wo es aufbewahrt ist oder ob es mehrere Originale gibt, sollte er einen formellen Widerruf tätigen, rät die KESB der Stadt Zürich. Das heisst, dass der Widerruf ebenfalls vollständig handschriftlich verfasst oder beim Notar öffentlich beurkundet werden muss.
Die Validierung braucht Zeit
Sollte Anton tatsächlich urteilsunfähig werden, muss sein Vorsorgeauftrag zuerst von der KESB validiert werden. Dabei wird geprüft, ob der Vorsorgeauftrag richtig erstellt wurde, ob Anton wirklich urteilsunfähig ist und ob Gisela auch fähig ist, ihr Amt auszuüben.Tatsächlich kann es zwei Monate dauern, bis die Validierung rechtskräftig ist, denn die KESB trifft einige Abklärungen. Die KESB der Stadt Zürich wird im Rahmen des Möglichen mit Anton ein Gespräch führen und sich über seine Situation informieren, um zum Beispiel zu klären, was Gisela tatsächlich für Aufgaben übernehmen muss. Unter Umständen benötigt die KESB auch noch ein Arztzeugnis. Zudem wird über die beauftragte Person, hier also Gisela, in der Regel ein Betreibungsregister- und ein Strafregisterauszug eingeholt. Dies für den Fall, dass zum Beispiel sehr hohe Schulden bestehen oder eine Verurteilung wegen Veruntreuung. Gisela ihrerseits wird über ihre Rechte und Pflichten informiert und, sollte dies im Vorsorgeauftrag noch nicht geregelt sein, welche Entschädigung sie für ihre Dienste erhält. Daraufhin bestätigt Gisela per Unterschrift, dass sie den Auftrag annimmt. Ist der Validierungsentscheid gefällt, müssen zu guter Letzt noch die gesetzlichen 30 Tage Beschwerdefrist abgewartet werden, erst danach kann Gisela Anton vertreten. Es sei nicht ideal, dass dies so lange daure, bedauert selbst die KESB der Stadt Zürich, doch die Erfahrung zeige, dass es in der Regel «nur» die Rechnungen sind, die dann möglicherweise etwas verspätet bezahlt werden können – und wenn irgendetwas wirklich dringend sei, suche man Lösungen.
Mach’s gut, Gisela!
Bei Anton beantwortet die KESB alle Fragen mit «Ja», setzt den Vorsorgeauftrag in Kraft und stellt Gisela einen Legitimationsausweis aus, welchen sie zur Ausübung ihres Amtes berechtigt. Versehen mit diesem Dokument, kann Gisela nun all jene Rechtshandlung stellvertretend für Anton vornehmen, die im Vorsorgeauftrag festgehalten sind – allenfalls muss sie diesen jeweils vorweisen können. Gisela wird von der KESB künftig nicht mehr behelligt. Ausser die KESB erfährt, dass Antons Interessen durch Gisela gefährdet oder nicht wahrgenommen werden. Dann muss sie prüfen, ob behördliche Massnahmen notwendig sind: Sie könnte Gisela Weisungen erteilen, sie zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage verpflichten oder ihr Befugnisse teilweise oder sogar ganz entziehen. In diesem Fall würde Anton einen Beistand oder eine Beiständin erhalten. Diese Person würde sich wenn möglich an den Wünschen in Antons Vorsorgeauftrag orientieren, schreibt die KESB der Stadt Zürich auf Anfrage. Eine gewünschte riskante Anlagestrategie bei der Vermögensverwaltung dürfe aber zum Beispiel nicht verfolgt werden, weil bei Beistandschaften andere rechtliche Vorgaben bestünden.
Was, wenn kein Vorsorgeauftrag erstellt wurde?
Hätte Anton keinen Vorsorgeauftrag aufgesetzt, so würde vermutlich beim Eintritt seiner Urteilsunfähigkeit die KESB von irgendeiner Seite auf seine Situation aufmerksam gemacht. Sie würde dann mit Anton soweit möglich über seine Situation sprechen und Abklärungen tätigen, um zu prüfen, was zu seinem Schutz für Massnahmen nötig sind. Wenn Anton durch niemanden aus seinem Umfeld mehr rechtsgültig vertreten werden kann, wird für ihn eine Beistandschaft errichtet.
Wann erlischt der Vorsorgeauftrag?
Antons nun validierter Vorsorgeauftrag ist zeitlich unbegrenzt gültig und erlischt erst, sollte Anton wieder urteilsfähig werden oder sterben. Wird er wieder urteilsfähig, sollten er oder Gisela dies bei der KESB melden und Anton sollte zur Sicherheit – bei allem Vertrauen in Gisela – auch involvierte Firmen wie Banken informieren, dass der Vorsorgeauftrag nicht mehr in Kraft ist. Der Vorsorgeauftrag kann auch Bestimmungen über den Tod hinaus enthalten. Die Erbschaft geht aber von Gesetztes wegen an die Erben über, worauf die vorsorgebeauftragte Person achten muss. Testamentarische Bestimmungen sollten gemäss KESB der Stadt Zürich nicht im Vorsorgeauftrag angebracht werden, sondern in einem separaten Testament. Auch Wünsche hinsichtlich der Bestattung seien besser in einer Anordnung für den Todesfall festzuhalten. Und Gisela? Sie kann ihrerseits den ihr erteilten Auftrag bei der KESB mit zweimonatiger Kündigungsfrist und, bei wichtigen Gründen, sogar fristlos schriftlich kündigen. Die KESB prüft dann, ob im Vorsorgeauftrag Ersatzbeauftragte benannt wurden und ob diese nachrücken können. Falls nicht, errichtet sie eine Beistandschaft.
In Kürze
Der Vorsorgeauftrag…
… ist handschriftlich zu verfassen oder notariell öffentlich zu beurkunden.
… kann im Kanton Zürich bei der KESB am Wohnsitz hinterlegt oder seine Errichtung und der Aufbewahrungsort beim Zivilstandsamt gemeldet werden (zentrale Datenbank «Infostar»)
… kann erst dann in Kraft treten, wenn die verfassende Person urteilsunfähig ist.
… muss dann von der KESB validiert, also für rechtsgültig erklärt werden. Erst danach kann die beauftragte die auftraggebende Person im Rahmen des im Vorsorgeauftrag Festgehaltenen vertreten.
… erlischt bei Wiedererlangung der Urteilsfähigkeit.
Dokumente zum Download
Merkblatt Vorsorgeauftrag KESB Stadt Zürich
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