Alles, nur kein Fussball

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über die angeblich schönste Nebensache der Welt.

Dagmar Schräder liebt es zu schreiben. (Foto: Jina Vracko)

Tja, nun hat sie angefangen, die Fussball-Weltmeisterschaft. Nicht, dass ich ein eingefleischter Fussball-Fan wäre, aber die Länderspiele der Weltmeisterschaften schaue ich mir in der Regel doch sehr gerne an. Einfach, weil es Spass macht, gemeinsam mit Freund*innen und Bekannten so etwas Banales wie 22 Menschen, die sich um einen kleinen Ball streiten, zu verfolgen. Und mitzufiebern. Vorher Wetten abgeben und zu hoffen, dass die Schweizer (oder, ich gebe es zu, auch die Deutschen) gut abschneiden. Dumme Kommentare zum Spielverlauf abzugeben und sich als Expertin zu fühlen, obwohl ich doch eigentlich so überhaupt keine Ahnung habe. Manchmal kann das richtig spannend sein. Und entspannend. Und Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geht es genau gleich. Auch das ist irgendwie schön.

Aber jetzt geht das einfach nicht.  Dieses Mal ist alles anders. Es nervt nur schon, über den Anlass nachzudenken, weil so viel darüber geredet und diskutiert wird. Aber mit ruhigem Gewissen die Fakten ignorieren, das kann ich nicht. Also habe ich mich entschieden, die WM zu boykottieren. Nicht, dass das einen grossen Effekt auf die Verantwortlichen haben wird, das ist mir schon klar. Aber irgendwie fühlt es sich falsch an, diese Spiele mitzuverfolgen. Deshalb bleibt der Fernseher aus. Stolz bin ich deswegen trotzdem nicht auf mich. Denn es fühlt sich gleichzeitig auch etwas heuchlerisch an, erst jetzt auf diesen allgemeinen Zug der Empörung aufzuspringen. In den letzten Jahren seit Bekanntgabe des Gastgeberlands – und das sind immerhin bereits zwölf Jahre – habe ich mich zugegebenermassen herzlich wenig mit den Arbeitsbedingungen der Migrant*innen in Katar oder den allgemeinen Menschenrechten auseinandergesetzt. Auch bei der WM in Russland oder den Olympischen Spielen in China war mein politisches Gewissen noch nicht ganz so ausgeprägt. Und der FIFA müsste man eigentlich schon längst die Unterstützung verweigern.

Ist die Aufregung also nur eine Modeerscheinung? Wie so oft bei solch kollektiver Entrüstung? Sobald die WM vorbei ist, wird sich das allgemeine Interesse eh sofort wieder verlagern. Wird sich dann irgendwas geändert haben? Und wie wird es im Jahr 2026 sein, wenn die WM in Kanada/USA/Mexiko stattfindet? Werde ich dann das ganze Drumherum wieder ausblenden und mich an den Fussballpartien erfreuen? Ach, es ist kompliziert. Und dabei ist Fussball doch eigentlich so banal.

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