«Alt werden ist nichts für Feiglinge» sagte einst der Showmaster Joachim Fuchsberger. Ein Zitat, das oft und gerne wiederholt wird. Denn dieser Lebensabschnitt hält einiges an existenziellen Herausforderungen bereit. Glücklicherweise weiss der Grossteil der älteren Generation diese gut zu bewältigen und sich umso mehr der schönen Seiten des dritten Lebensalters zu erfreuen.
Und doch gibt es Situationen, welche die Betroffenen überfordern. «Ich fühle mich wie ein Wanderer vor einem hohen Berg, der nicht mehr weiss, ob er den Anstieg noch bewältigen kann», schilderte kürzlich ein Nachbar der Autorin seine aktuelle Befindlichkeit. Woher kommt dieses Gefühl der Überforderung? Wie kann man ihm begegnen? Der «Höngger» hat sich mit Peter Burri Follath, Leiter Kommunikation von Pro Senectute, darüber ausgetauscht.
Peter Burri Follath, im Alter stellt uns der Körper vor eine Reihe von Herausforderungen: Muskelmasse und Knochendichte sinken, das Hör- und Sehvermögen nimmt ab. Auch Herz und Kreislauf arbeiten langsamer, die Lungenleistung nimmt ab, das Nervensystem wird generell empfindlicher und weniger belastbar. Welche Faktoren können darüber hinaus zu einem Gefühl der Überforderung führen?
Peter Burri Follath: Während die körperlichen Fähigkeiten nachlassen, steigen die Anforderungen des Alltags. So verlagern sich viele Dienstleistungen ins Digitale und die Informationsflut verunsichert besonders Menschen, die damit nicht aufgewachsen sind. Gleichzeitig engagieren sich viele ältere Menschen stark, betreuen Enkel, pflegen Partner oder engagieren sich freiwillig. Diese Verantwortung kann zur Belastung werden, vor allem, wenn mehrere Herausforderungen gleichzeitig auftreten.
Zudem müssen oft auch noch eigene Erkrankungen und der Verlust geliebter Menschen bewältigt werden. Welche Symptome zeigen sich denn bei einer Überforderung?
Sie äussert sich im Alter oft weniger durch klare Stresssignale als durch körperliche und emotionale Veränderungen und wird daher oft erst spät bemerkt. Man schläft schlechter, fühlt sich erschöpft oder hat diffuse Schmerzen. Oft wird unregelmässig gegessen, Stürze nehmen zu, weil die Konzentration leidet. Andere ziehen sich zurück, werden vergesslicher oder reagieren gereizter. Psychischer Stress kann zudem den Blutdruck erhöhen, chronische Erkrankungen intensivieren und das Immunsystem schwächen. Die Verbindung zwischen Psyche und Körper ist im höheren Alter besonders eng.
Gibt es Rezepte, um diesen Problemen vorzubeugen?
Ein strukturierter Tagesablauf, regelmässige soziale Kontakte und der gezielte Umgang mit Informationen helfen, belastende Situationen zu reduzieren. Auch technische Hilfen können entlasten, sofern sie gut erklärt und begleitet werden. Ebenso wichtig sind Bewegung, Schlaf und Ernährung, die im Alter stark zum Wohlbefinden beitragen. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist auch die Resilienz, die psychische Widerstandsfähigkeit in belastenden Lebensumständen. Resilienz wächst durch das Gefühl, Schwierigkeiten bewältigen zu können. Ältere Menschen profitieren von Aktivitäten, die ihnen Sinn geben, etwa freiwilliges Engagement, kreative Tätigkeiten oder der Austausch mit anderen. Ergänzend können psychologische Beratung und einfache Entspannungsübungen helfen, den Umgang mit Stress zu verbessern.
Zuweilen aber reichen diese Massnahmen der Selbstfürsorge nicht aus. Wann ist es Zeit zu erkennen, dass professionelle Hilfe benötigt wird?
Hilfe wird wichtig, wenn der Alltag nicht mehr sicher gelingt, etwa wenn Medikamente falsch eingenommen werden, Stürze zunehmen oder eine Person sich stark zurückzieht. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt einen Umzug in eine Institution. Viele Situationen lassen sich mit ambulanten Hilfen und Tagesstrukturen gut auffangen.
In vielen Fällen erkennen die Betroffen jedoch gar nicht, dass sie Unterstützung benötigen und lehnen diese ab?
Hilfeverweigerung entsteht oft aus Angst vor Abhängigkeit oder Kontrollverlust. Es hilft, diese Sorgen ernst zu nehmen und Unterstützung in kleinen Schritten einzuführen. Zuweilen akzeptieren ältere Menschen Ratschläge von Hausärztinnen oder Beratungsstellen eher als von der eigenen Familie. Wichtig ist, Geduld zu haben und dennoch Grenzen zu setzen, wenn die Sicherheit gefährdet ist.
Die Sicherheit ist auch gefährdet, wenn aus dem Gefühl der Überforderung die Lust am Leben verloren geht. Wie soll man als Angehöriger in einem solchen Fall reagieren?
Man sollte das Gespräch suchen und klar machen, dass solche Gefühle ernst genommen werden. Professionelle Hilfe kann viel bewirken, denn depressive Symptome im Alter sind gut behandelbar. Gleichzeitig ist es wichtig, soziale Kontakte zu aktivieren und gemeinsam kleine, aber regelmässige Alltagsrituale zu schaffen. Bei Suizidgedanken muss sofort ärztliche Unterstützung organisiert werden.
Zum Schluss noch ein kleines Gedankenspiel. Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, in der ältere Menschen nicht mehr das Gefühl haben müssen, überfordert zu sein?
Eine solche Gesellschaft würde Alter als wertvolle Lebensphase betrachten und Barrieren im Alltag konsequent abbauen. Dienstleistungen wären verständlich und zugänglich, Pflege und Betreuung gut finanziert und leicht erreichbar. Mehrgenerationen-Wohnformen wären selbstverständlich, soziale Teilhabe wäre einfach möglich, und ältere Menschen müssten sich nicht an ein Tempo anpassen, das ihnen nicht entspricht. Kurz gesagt, es wäre eine Gesellschaft, die ältere Menschen nicht an den Rand drängt, sondern sie als selbstverständlichen Teil des Ganzen einschliesst.
Wertvolle Jahre
Der «Höngger» veröffentlicht auch in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.
Alle bisher erschienenen Artikel der Serie sind hier nachzulesen.