6 x 75 Jahre in Höngg – Teil 6

Im fünften Teil erzählten die sechs Hönggerinnen von den Erlebnissen in Höngg zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, wie Maikäfer gesammelt werden mussten und wo Flüchtlinge betreut wurden. Der sechste Teil wendet sich den Jugendjahren zu. Erinnerungen an Vereine und Pfarrer tauchen auf.

Am Damenriegen-Chränzli im Saal des Restaurants Mühlehalde, zirka 1955. Mit Ball ganz rechts, Margrith Furrer-Hartmann.
Elsbeth Huber vor ihrem Elternhaus an der Regensdorferstrasse.
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Kurz nach Kriegsende begann die Zeit der Oberstufenschule. Aus den Mädchen wurden langsam junge Frauen und auch die Erinnerungen an diese Zeit spiegeln diesen Übergang. «Als wir dann in der Sekundarschule waren, stand die ‹Westporte› an der Bläsistrasse 1 bereits und Hans Esslinger, der Vater unserer Mitschülerin Lieselotte, führte dort das ‹Café Esslinger›», berichtete Margrit Furrer-Hartmann, «wenn er gewisse Brote buk, stand eine von uns in der Pause Wache und eine andere rannte rüber und holte so ein Brot, das wir uns dann teilten.» «Ja», hakte Ursula Volkart-Lahme ein, «wie auf dem Weg in den Handarbeitsunterricht im Wettingertobel, da ging man bei Beck Walti an der Limmattalstrasse vorbei, das war einer der Ersten, der die französischen Flûtes buk und so eines teilten wir uns dann jeweils.» Auch Wasserglaces, zum Beispiel mit Zitronengeschmack, habe es dort gegeben, erinnerte man sich freudig und mit diesen kamen die ersten Liebschaften ins Gespräch, flüchtig, wie von Teenagern erzählt, und schon waren sie wieder weg, als Margrit erwähnte, dass sie im 1931 gegründeten Handharmolika-Club gewesen sei. «Und du konntest immer die neusten Lieder aus Amerika, ‹An den Ufern des Mexico-Rivers› und so», fügte Ursula an. «Oh ja, und ich musste auf jede Schulreise diese ‹cheibe› Handorgel mitnehmen, am Anfang habt ihr noch mitgesungen, später nur noch getanzt und ich musste spielen und zuschauen», lächelte ihre Schulfreundin mit einem ironischen Unterton. Was bot denn Höngg damals einem jungen Mädchen noch an Freizeitvergnügen, ausser dem «Handörgeliclub»? – «Ich war in der Konfirmiertenvereinigung ‹PAX› von Pfarrer Trautvetter», antwortete Elsbeth Huber, «da unternahm man alles Mögliche, Vorträge und so.» Pfarrer Paul Trautvetter: Ähnlich wie das Erwähnen der ‹Pflanzblätze› löste auch dieser Name heftige Reaktionen aus, wie schon zu dessen Lebzeiten. Jeder Pfarrer hatte seine Anhänger – vor allem bei den Erwachsenen. Gemäss «Ortsgeschichte Höngg» (Seite 168) von Georg Sibler hat sich Trautvetter «als Religiös-Sozialer aktiv gegen den Krieg gewandt und jegliche Art von Militarismus und Totalitarismus angeprangert», was ihm zahlreiche Anfeindungen eintrug.

«Trautvetter hatte man einfach gern»

Doch unter seinen ehemaligen Religionsschülerinnen war man sich einig: «Trautvetter hatte man einfach gerne, der war wie ein Vater zu uns.» Und in den Pausen im Wettingertobel durfte man mit dessen Tochter Christine rüber in den Pfarrgarten und Birnen und Zwetschgen essen. «Konfirmiert aber wurden einige von uns bei Hans Oeschger, nicht bei Trautvetter. Oeschger war ein guter Prediger», sagte Margrit und Marie-Antoinette Lauer-Moos ergänzte: «Der Oeschger war ein Armer, den haben immer alle ausgelacht, weil er furchtbar schielte.» Oeschger sei – in der Erinnerung ernst, gross und schwarz – eigentlich ganz gut gewesen, habe es aber mit der Jugend einfach nicht so recht gekonnt. «Er hatte einen Zwicker auf und wenn er schimpfte, wedelte er dazu mit dem Lineal, immer haarscharf an seinem Zwicker vorbei, und man erwartete immer, diesen weg spicken zu sehen», erinnerte sich Margrit lebhaft. Wenn es Pfarrer Oeschger zu bunt wurde, verbannte er seine Schäfchen auch schon mal vor die Türe. Mit dem Hinweis, wer sein Tun bereue, könne wieder reinkommen. «Doch nebenan gab Jakob Winkler Gesangsunterricht», erinnerte sich Margrit, die diese Erfahrung offenbar öfters gemacht hatte. «Ich hörte den älteren Schülern gerne zu, lernte so bereits ‹Oh mein Papa› und erst am Ende der Stunde ging ich wieder zu Oeschger rein und entschuldigte mich reumütig.» Wie ging das Leben der nun jungen Damen nach der Schulzeit weiter? Wo arbeiteten sie? Wo vergnügte man sich in Höngg? «Also vor der Konfirmation,» erzählte Margrit, «da gab es natürlich nichts, was für ein junges Mädchen erlaubt gewesen wäre. Der Handörgeliclub veranstaltete sein ‹Kränzli› mit anschliessendem Tanz, doch meine Eltern gingen mit mir immer vorher nach Hause – mittanzen durfte ich erst nach der Konfirmation.» Aber eigentlich, so sagten alle, unternahm man in Höngg nicht mehr viel nach der Schulzeit. «Die Jugend» fand nicht in Höngg statt. Man war bereits damals mehr stadtorientiert, absolvierte dort eine Lehre oder die Mittelschule. So wurde dann eher das Schauspielhaus, das Stadttheater oder Kinos wie das eben eröffnete Studio 4 aufgesucht. Oder man traf sich, wie Margrit, am Sonntagnachmittag im «Frascati». Oder ging abends irgendwo sonst tanzen und verpasste das letzte Tram. Wann das gefahren sei, wollte der «Höngger» wissen und machte sich auf eine Uhrzeit um die 22 Uhr gefasst. Aber nichts da, belehrte einen Margrit eines Besseren: «Das fuhr erst nach Mitternacht, wenn man es erwischte, konnte man sicher sein, alle darin zu kennen.» Und dann habe es oft geheissen: «Aha, gehst du auch schon nach Hause . . . » Margrit war aber auch noch die Einzige, die in diesem Alter in Höngg einem Verein angehörte: der Damenriege des Turnvereins. «Man war per Sie mit den Älteren», erzählte sie, «wenn dann eine der Frauen einem das Du anbot, so war das etwas ganz Spezielles.» Respekt, so wurde festgestellt, sei damals eben auch noch auf diesem Weg defi niert worden. Nicht nur jener vor Pfarrern und Lehrern.

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