6 x 75 Jahre in Höngg – letzter Teil

Im sechsten Teil erzählten die sechs Hönggerinnen von ihren Erinnerungen an die Jugendjahre in Höngg, von Pfarrern und ersten Ausflügen in die Stadt. Der letzte Teil beschäftigt sich mit baulichen Veränderungen in Höngg und erzählt, warum schneereiche Nächte für manche schlaflos waren.

Leonie von Aesch-Weinmann, ungefähr an der Stelle, wo in ihren Kindertagen die Grundstücksgrenze zur Strasse hin verlief.
Die Limmattalstrasse im November 1940, in Richtung Höngg. Links am Bildrand das Elternhaus von Leonie von Aesch-Weinmann.
Winter in Höngg, 1945 oder 1946, links: Rudolf Matthys senior, rechts Strassenmeister Weinmann.
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Als die sechs damals jungen Frauen am Tisch das Erwachsenenalter erreicht hatten, wurde sozusagen auch Höngg als Stadtquartier langsam erwachsen. Das einstige Dorf wuchs räumlich, was, so erinnerte sich Ursula Volkart-Lahme, schleichend verlaufen sei und nicht gross Thema war. Man habe sich nicht aufgeregt, wenn wieder irgendwo ein neuer Block entstanden sei. «Aber», so merkte sie nicht unkritisch an, «es waren lockere Siedlungen, nicht Grossbauten wie heute.»
Marie-Antoinette Lauer-Moos aber, deren Vater mit seinem Bruder zusammen eine Druckerei hatte und ab 1932 das «Höngger Korrespondenzblatt» herausgab, aus dem später dann der «Höngger» wurde, erinnert sich noch gut, wie ihr Vater sich aufregte: «Als 1962 das neue Rebstockgebäude gebaut und darin sogar für einige Jahre ein Kino betrieben wurde, da hatte er sich vorgestellt, es entstünde dort ein Gemeinschaftszentrum, eine Belebung für Höngg. Er wurde masslos enttäuscht.» Wie die alten Häuser, die über die letzten Jahrzehnte reihenweise in Höngg dem Baggerzahn zum Opfer fielen, so purzelten nun erneut die Voten durcheinander: Von «Die Post ist auch so furchtbar, die gab 1964 viel zu reden» über «Das Haus der alten Metzgerei Heinrich, heute UBS, da hiess es immer, das dürfe nicht abgerissen werden, es sei unter Heimatschutz . . . » bis hin zu vielen anderen Gebäuden, die verschwunden sind oder im «Postkartenstil» nachgebaut wurden, wird etliches genannt.
Trotzdem: Mit dem Höngger Markt, der Ende der 1980er Jahre anstelle des alten Dorfkerns errichtet wurde, war man an diesem Tisch grundsätzlich einverstanden. Man hatte zwar gehofft, dass die Verkehrssituation am Meierhofplatz anders gelöst würde, doch eben, diese Chance sei verpasst worden. Ja, der Meierhofplatz. «Früher», sinnierte Margrit Furrer-Hartmann, «war der Meierhofplatz das Zentrum von Höngg – dann begann, mit der Migros, eine Verlagerung des Zentrums an die Regensdorferstrasse. Die ZKB folgte, die Apotheke, der ganze Dorfkern verlagerte sich.» Oft habe sie, im eigenen Familienunternehmen Elektro-Furrer am Meierhof tätig, zu hören bekommen: «Ja, ich komme doch nicht wegen einer Glühbirne zu dir ‹raus›.» Spätestens seit der Höngger Markt eröffnet worden sei, habe der Meierhofplatz als Zentrum ausgedient gehabt. Die Chance, ihn zu einem wahren Zentrum von Höngg zu machen, sei verpasst worden. «Was meinst du, Bethli», wandte sich da Leonie von Aesch-Weinmann an Elsbeth Huber, «wenn unsere Väter das Höngg von heute sehen würden? Was würden die wohl sagen?» Die Antwort gaben beide gleich im Chor: «Was händ die druus gmacht?!» Der Vater von Leonie war Strassenmeister von Höngg und Elsbeths Vater war sein Vorgesetzter bei der Stadt. Ihre Töchter sagten beide, sie hätten jedes Haus in Höngg gekannt und werden noch heute oft angesprochen mit: «Ah ja, Ihr Vater war doch Strassenmeister.»
Zürich war in zwölf Strassenmeisterkreise aufgeteilt. In prekären Winternächten wurden für die verantwortlichen Strassenmeister telefonische Konferenzgespräche geschaltet, erinnert sich Leonie, denn die Schneeverhältnisse zwischen dem Zürichberg und der Limmat konnten damals schon sehr unterschiedlich sein. Elsbeths Vater gab dann sein «Okay» zu den Entscheiden seiner lokalen Strassenmeister. «Nachts um zwei Uhr ging das Telefon», erzählte Leonie, «ich habe eine furchtbare Erinnerung an diese kalten Winter, weil es kaum eine Nacht gab, in der ich nicht vom Telefon geweckt wurde.» Und immer habe sie da gedacht, «bloss nie einen Mann heiraten, der bei der Stadt arbeitet und mit Schnee zu tun hat». Ihr Vater aber habe immer alle Leute aufbieten müssen, die Fahrzeuge mit Pfadschlitten hatten, «Bauern oder den Matthys und den Kohlen-Huber und wie sie alle hiessen». Die ganze Nacht sei jeweils ein Aufruhr gewesen. Und etwas von «Aufruhr» machte sich nun auch plötzlich in der Runde breit, denn der Nachmittag war vergangen wie im Flug. Ein Flug durch beinahe 75 Jahre Höngg. Oder eben: 450 Jahre Höngg – erlebt von sechs Frauen. Alle, auch der «Jungspund» des «Hönggers», haben den Ausflug in die Vergangenheit genossen mit Geschichten und Anekdoten ganz persönlicher Art. Die Frauen versprachen, sich bald mal wieder zu treffen und dem «Höngger» dabei zu helfen, aus drei Stunden Tonbandaufzeichnungen, das Ergebnis einer Flut an spontanen Erinnerungen, diesen, hoffentlich leicht lesbaren Text zu machen. 

Mit diesem Artikelteil ist die Serie «6 x 75 Jahre in Höngg» abgeschlossen. Der «Höngger» bedankt sich für die Zeit, die sich Elsbeth Huber, Ursula Volkart-Lahme, Margrit Furrer-Hartmann, MarieAntoinette Lauer-Moos, Leonie von Aesch-Weinmann und Erika Ringger-Mayer für das Gespräch, die Fototermine und das Gegenlesen der Texte genommen haben. Georg Sibler gebührt Dank für die Überprüfung der historischen Daten. Er fügte seinem Manuskript in einer persönlichen Notiz an: «Die Überprüfung ist eher unergiebig ausgefallen – ein gutes Zeugnis für das Erinnerungsvermögen der sechs Hönggerinnen». Dem kann sich der «Höngger» nur anschliessen.

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