Kinder gewinnen Sicherheit durch Selbständigkeit

Nächsten Montag beginnt das neue Schuljahr. Dann heisst es wieder: «Vorsicht, Grünschnäbel im Verkehr». «Ob Scooter fahren oder Strassen überqueren – es liegt in erster Linie in der Verantwortung der Eltern, ihre Kinder zu einem wachen, vernünftigen Verhalten im Verkehr zu erziehen», sagt Reto Müller von der Stadtpolizei Zürich, «denn nur durch Selbstvertrauen und Erfahrung gewinnt der junge Mensch an Sicherheit.» Im Interview bringt der Präventionsexperte seine Erfahrungen und Erkenntnisse auf den Punkt.

Verkehrsinstruktor Reto Müller erklärt auch auf Augenhöhe, hier den Kindern des Kindergartens Am Wettingertobel, worauf es im Verkehr ankommt.

Sonja Brunschwiler: Herr Müller, wie können wir die Sicherheit der Kinder auf dem Schulweg oder generell im Strassenverkehr erhö- hen?

Die Stadtpolizei empfiehlt beispielsweise, den Schulweg zu Fuss zurückzulegen, also auf Gefährte jeglicher Art zu verzichten. Und wenn der Miniscooter oder das Velo dennoch benutzt werden: unbedingt Helm aufsetzen! Das Helmtragen minimiert immerhin das Kopfverletzungsrisiko schon mal erheblich und sollte von den Eltern durchgesetzt werden (siehe Kasten).

Besteht überdies die Möglichkeit, die Gefahr bei anspruchsvollen Höngger Strassenübergängen zu reduzieren? Was halten Sie zum Beispiel von der Idee, Lotsen einzusetzen, welche die Kinder über die Strasse geleiten?

Ich glaube nicht, dass Lotsen das Sicherheitsproblem lösen. Auf lange Sicht ganz sicher nicht. Denn letztlich ist der Lotse jemand, der einem die Verantwortung abnimmt und damit den Lerneffekt verhindert. Und gerade Kinder müssen lernen, selber Verantwortung auch im Strassenverkehr zu übernehmen – selbstverständlich dem Alter und Entwicklungsstand entsprechend.

Dasselbe gilt dann wohl auch für den vermehrten Einsatz von Gefahrensignalen «Achtung Kinder» bei allen anspruchsvollen Höngger Strassen- übergängen . . .

Grundsätzlich sind solche Signale im Bereich von Schulhäusern montiert. Gefahrensignale werden allerdings – wenn überhaupt – oft nur am Anfang beachtet, solange sie noch «frisch» sind. Sehr schnell werden sie zum gewohnten Bild und die Fahrzeuglenkenden nehmen sie gar nicht mehr wahr, weil sie wegen der vielen Signale oftmals überfordert sind.

Wie erreicht man denn die höchstmögliche Sicherheit?

Untersuchungen haben aufgezeigt, dass Fussgängerübergänge mit Insel die sichersten sind. Schauen Sie: Es wird viel für die Sicherheit der Fussgänger getan. Es darf aber nicht den Anschein erwecken, dass ein Fussgängerstreifen absolute Sicherheit bietet. Von Rechts wegen hat die Fussgängerin, der Fussgänger auf dem gelben Streifen zwar Vortritt – wird dieser aber vom Autofahrer missachtet, ist man zu Fuss in jedem Fall der oder die Schwächere, Verletzlichere. Deshalb nochmals: Am meisten Sicherheit gibt letztlich die eigene Erfahrung, das Selbstvertrauen, die Selbständigkeit.

Und deshalb heisst es: Üben, üben, üben . . .

Ja, richtig. Ein Kind sollte lernen, selbständig die Entscheidung zu treffen, wann eine Situation sicher genug ist, um die Strasse zu überqueren. Das muss man üben, immer und immer wieder: bis die Kinder Distanzen und Geschwindigkeiten besser einschätzen können, bis sie sich die Überquerung selber zutrauen. Und hier tragen die Eltern die Hauptverantwortung: Sie sind zuständig für die Erziehung ihrer Kinder, auch in Sachen Strassenverkehr. Es gibt nicht nur Eltern, die diese Verantwortung unterschätzen, sondern umgekehrt auch viele Mütter und Väter, die dann wieder fast zu lange warten, bis sie ihr Kind alleine über die Strasse lassen – aus Angst. Kinder lernen aber schneller und nachhaltiger, wenn man ihnen Vertrauen schenkt und sie das Gelernte, mehrfach Geübte auch bald einmal selber ausprobieren lässt.

Die Eltern müssten also stärker sensibilisiert werden darauf, dass in erster Linie sie selbst für die Verkehrsschulung ihrer Kinder verantwortlich sind?

Das ist so, ja. Wir beginnen mit dem Verkehrsunterricht im Kindergarten. Die Verkehrserziehung von Seiten der Eltern sollte jedoch früher beginnen.

 

Tipps für den Kindergarten- und Schulweg
• Legen Sie den Weg in den Kindergarten oder die Schule gemeinsam mit Ihrem Kind genau fest.
• Üben Sie mit Ihrem Kind das Überqueren von Strassen immer wieder, damit es an Erfahrung gewinnt.
• Lassen Sie Ihr Kind mit der Zeit das Gelernte und Geübte selber ausprobieren, während Sie es beobachten, damit es an Selbstvertrauen gewinnt.
• Kleiden Sie Ihr Kind so, dass es gut sichtbar ist. Achten Sie darauf, dass es den orangen Bändel (für Kindergartenkinder) oder den gelben Bändel (für Kinder der 1. Klasse) auf seinem Schul- oder Hortweg immer trägt.
• Die Polizei empfiehlt, auf das Fahren mit Scooter, Velo oder Ähnlichem auf dem Kindergarten- oder Schulweg zu verzichten. Falls trotzdem ein Gefährt benutzt wird: unbedingt Helm tragen!