Was meint Höngg zu «Ensemble»?

Die Informationsveranstaltung des Quartiervereins Höngg zum neuen Hardturmstadion-Projekt «Ensemble» war gut besucht und fühlte den Anwesenden den Puls. Die Herzen schlagen nicht alle wie in einem «Ensemble».

Martin Kull, Inhaber und CEO der HRS Real Estate AG, betonte die Einheit von ABZ-Siedlung, Stadion und Hochhäusern.

Der Quartierverein Höngg hat es geschafft, am Dienstag, 17. Januar ein repräsentativ besetztes Podium aller am aktuellen Hardturmstadion-Projekt Beteiligten zu organisieren. In den Saal der Pfarrei Heilig Geist kamen rund 90 Interessierte, um sich aus erster Hand informieren zu lassen.
Nach einer kurzen Begrüssung durch Vereinspräsident Alexander Jäger wurde zuerst die Vorgeschichte rekapituliert: Von dem Projekt «Pentagon», an dem sich die Stadt Zürich damals mit 48 Millionen Franken hätte beteiligen sollen, das 2003 in einer Volksabstimmung zuerst angenommen, später aber durch Rekurse der IG Hardturm verzögert und letztlich verhindert wurde, und weiter zur 2013 abgelehnten Vorlage eines städtischen Projekts und dem 2015 lancierten Architekturwettbewerb, aus dem dann 2016 das Projekt «Ensemble», von der Jury einstimmig gewählt, als Sieger hervorging. Realisiert wird das Bauvorhaben von der HRS Real Estate AG und der Credit Suisse.

Mit «Ensemble» unterwegs zur Skyline?

Mit «Ensemble», dem aus dem Französischen für «Gesamtheit» oder «Einheit» entlehnten Begriff, werden in der Architektur mehrere Bauwerke bezeichnet, die als Gruppe wahrgenommen werden. Einer der am Projekt beteiligten Architekten, Michael Schneider, erläuterte, warum das in drei Einheiten – Genossenschaftsbau, Fussballstadion und Hochhäuser – gegliederte Projekt städtebaulich betrachtet eben ein «Ensemble» sei: Das von drei Architekturbüros entwickelte Projekt lehne sich «stark an die industriellen Strukturen des Kreis 5 an». Doch der Hardturm sei für sie nicht nur das Ende gegen Westen, sondern ein «vermittelndes Element» Richtung Limmattal West – zu all den Hochhäusern oder zumindest mehrgeschossigen Bauten, die dort im Bau oder geplant sind. Von 15 solchen, wenn auch weniger hohen, wisse er in Altstetten, erwähnte Schneider. Was als Skyline-Foto von New York wohl auch in manchem Höngger Wohnzimmer an der Wand hängt, dürfte also über kurz oder lang, wenn auch etwas niedriger, gleich durch das Fenster zu betrachten sein.

Wer baut was?

Grundeigentümerin des 55’000 m2 grossen Bauareals ist die Stadt Zürich. Sie gibt das Baurecht an drei Baurechtsnehmerinnen ab, die ihr dafür jährlich über eine Million Baurechtszins entrichten werden. In der Genossenschaftssiedlung, die von der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) finanziert und gebaut wird, werden 173 Wohnungen für 500 Menschen erstellt. Baurechtsnehmerin des Fussballstadions wird die Stadion Züri AG sein, hinter der die HRS Real Estate AG steht. Die HRS baut das Stadion, das für nationale Fussballspiele 18’500 und für internationale 16’000 Plätze anbieten wird und bleibt auch Besitzerin, gedenkt jedoch, wie man dies in St. Gallen getan hat, Volksaktien abzugeben.
Die HRS vermietet dann das Stadion an die Stadion Betriebs AG, die zu je 50 Prozent im Besitz der beiden Vereine GC und FCZ sein wird. Sie wird sich über die Einnahmen der Spiele, die Vermietung der kommerziell nutzbaren Fläche und die Drittnutzung der Innenräume finanzieren. Und die beiden Vereine hoffen, von der Stadt die für sie wichtigen Vermarktungsrechte, zum Beispiel für die Namensgebung des Stadions, zu erhalten und gehen heute davon aus, dass Stadion profitabel führen zu können.
Dritte Baurechtsnehmerin und verantwortlich für die beiden Hochhäuser mit 636 Wohnungen plus Geschäftsflächen ist die Credit Suisse Real Estate Investment Management AG.

Zeitplan mit Fragezeichen

Der an diesem Abend aufgezeigte Zeitplan sieht bereits kommenden Februar die Eingabe des Gestaltungsplanes vor. Danach sollen – abhängig von dem im Stadtrat und den gemeinderätlichen Kommissionen angeschlagenen Tempo – bereits im Juli 2017 die Baurechtsverträge beurkundet und ab Oktober im Stadt- und Gemeinderat behandelt werden, damit sie im November 2018 zur Volksabstimmung kommen könnten. Käme dies hin, so rechnet man mit einer Baubewilligung im April 2019 und dem Baubeginn kurz darauf. Im Juli 2021 sollte dann das Stadion bereitstehen und zwischen Mai und November 2022 auch die anderen Gebäude.

Ausgewogene Fragerunde

Martin Kull, Inhaber und CEO der HRS, mass dem Projektnamen «Ensemble» abschliessend eine Bedeutung weit über das Architektonische hinaus zu als er betonte, dass ABZ-Siedlung, Stadion und Hochhäuser nur als Einheit funktionieren und finanzierbar seien: «Es geht nur alles zusammen – oder nichts». Die drei Bauten seien von der Planung bis hin zur Finanzierung austariert, und da könne man nun nicht an einzelnen Bereichen etwas reduzieren, ohne alles aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Was da unterschwellig an «Drohung» zu hören war, fand in einigen der Fragen und Voten aus dem Publikum sein Echo. Als Erster kritisierte Marcel Knörr, Höngger Architekt und Alt-Quartiervereinspräsident, die Zwillingtürme, die seiner Ansicht nach weder der geltenden Bau- und Zonenordnung (BZO) entsprechen noch quartierverträglich seien. «Hochhäuser gehören wohl in die Stadt, aber am richtigen Ort – was man in den 1960-Jahren gebaut hat, war falsch». Genauso falsch wie die beiden Hochhäuser oberhalb der Riedhofstrasse in Höngg seien nun diese Zwillingstürme.
Die geplanten Bauten sind mit 137 Metern die zweithöchsten der Schweiz und die Höchsten Zürichs. Knörr rechnete vor, dass sie, gemessen ab ihrem Standort, den Kirchturm Hönggs um 47 Meter und sogar den Friedhof Hönggerberg noch um 13 Meter überragen werden. Das heisst, dass man von allen Häusern Hönggs aus zu den Dächern der Zwillingstürme hochschauen würde. «Und das ist nicht der Prime-Tower», so Knörr, «der weiter weg steht, diese Häuser stehen nahe bei Höngg und versperren den Blick auf die Stadt». Es sei wichtig, so Knörr, sich jetzt zu wehren, wo man vielleicht noch Einfluss nehmen könne und nicht erst in der Abstimmung – und erntete dafür viel Applaus. Urs Spinner, Departementssekretär des Hochbauamtes, entgegnete ihm, dass der Hardturm als Hochhausgebiet klassifiziert sei und bereits in den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs die maximale Höhe vorgegeben worden sei. Aus dem Publikum wurde Marcel Knörr in einem späteren Votum mangelnder Weitblick vorgeworfen: «Wenn er vom Blick auf die Stadt spricht und diesen Blick genau auf die beiden Hochhäuser richtet, dann sind das für mich, mit Weitblick, nichts als Streichhölzer, und an solchen kann man vorbeischauen – nach wie vor Richtung See und Berge, und nicht ins Limmattal», meinte ein Zuhörer. Ein weiterer meinte, man solle doch nicht weiter nach «Ausreden» suchen, um kein Stadion zu bauen. Wenn man diese Chance jetzt nicht packe, werde es am Sankt-Nimmerleinstag noch kein Stadium geben. Auch diese Voten erhielten viel Applaus.

Wann darf das Volk mitreden?

Auch der Wipkinger Quartiervereinspräsident, Beni Weder, meldete sich – nach negativen Erfahrungen mit dem Swissmill-Tower direkt vor Wipkingen – kritisch zu Wort und fragte, wo denn bei der Projektentwicklung die Bevölkerung miteinbezogen worden sei. «Meines Wissens nicht», gestand Urs Spinner offen ein, doch er glaube, dass Stadt- und Gemeinderat aus früheren Diskussionen und Abstimmungen zum Hardturmareal gelernt und sehr viele der Bevölkerungsanliegen in die Wettbewerbsvorgaben eingebracht hätten. Rebekka Hofmann aus dem Finanzdepartement betonte aber, dass man mit der IG Hardturm immer im Gespräch gewesen sei und Monika Spring, Vorständin der IG, auch Mitglied der Wettbewerbsjury gewesen sei und man dort sehr auf sie gehört habe. Und, so fügte Spinner an, spätestens bei öffentlicher Auflage des Gestaltungsplans könne man sich im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens einbringen.

Der baurechtliche Schatten ist kurz

Was natürlich immer wieder Fragen aufwirft, ist der Schattenwurf solcher Gebäude. Und da begehen Bauherren und Architekten regelmässig einen groben Kommunikationsfehler: Sie zeigen in Plänen nämlich nur, was ihnen das Baugesetz als sogenannt «baurechtlicher Schatten» vorgibt. Und das umfasst nur, was an einem Punkt auf einem benachbarten Grundstück länger als zwei Stunden im Schatten liegt. Und zwar an zwei gesetzlich festgelegten Daten und Zeiten im Frühjahr und Herbst.
Dass der reale Schatten etwas komplett Anderes ist, gab Architekt Schneider offen zu, und Höngg werde wohl davon betroffen sein. Aber eben, das wird gegenüber der Öffentlichkeit nie in einer Simulation gezeigt, was heute bestimmt kein Problem wäre. Der Quartierverein Wipkingen jedenfalls hat dies auf seiner Homepage (siehe Infobox) getan, und das ist ebenso interessant anzusehen wie es eine Visualisierung der Hochhäuser aus Höngger Perspektive wäre. Was der zweite gängige Kommunikationsfehler ist: Man zeigt Projekte immer aus möglichst unverfänglichen Perspektiven. Zumindest das will man hier nun, so wurde zugesagt, anders machen und publizieren.

Wie «fruchtbar» sind die Türme?

Nicht überraschend war auch eine sichere Folge der vielen neuen Bewohner ein Thema: Wo gehen all ihre Kinder zur Schule? Das Schulhaus am Wasser platzt heute schon aus allen Nähten, und das Schulhaus Pfingstweid, über dessen Kredit am 12. Februar abgestimmt und das ab 2019 in Betrieb sein soll, sei auch bereits vollgeplant. Urs Spinner bekräftigte, dass man die Neubauten bei der Schulhausplanung berücksichtigt habe, weil dies bereits damals beim städtischen Stadion-Projekt durchgerechnet worden seien. Das Pfingstweid könne notfalls sogar aufgestockt werden, «je nach dem, wie fruchtbar die beiden Hochhäuser sind», wie er mit einem Schmunzeln anfügte, «Kinder dieser Neubauten werden nicht über die Limmat zur Schule gehen müssen». Dies bestätigte auch Ueli Stahel als Mitglied der Kreisschulpflege Waidberg.

Über sieben Schatten musst du gehen…

Die Stimmung an diesem Abend unter den rund 90 Anwesenden und die Voten Pro oder Kontra der Hochhäuser hielten sich die Waage. Man kann den Zwillingstürmen ablehnend oder positiv gegenüberstehen und sich dabei ebenso im Schatten wie im Licht wähnen. Bis das Projekt «Ensemble» gebaut werden kann, muss es zumindest eine städtische Abstimmung überstehen, und man wird da und dort auf allen Seiten noch über reale oder subjektive Schatten springen müssen – oder wird allenfalls darüber gestossen, wie dies die Stimmbürger mit den Wipkingern beim Swissmill-Tower gemacht haben. Bloss, dort gab es zum Schatten weder Wohnungen, geschweige denn ein Fussballstadion für die beiden Stadtclubs dazu.

Weitere Informationen
www.stadt-zuerich.ch, Auf der Seite des Finanzdepartementes, Medienmitteilungen.
Auf der Homepage des Quartiervereins Wipkingen, www.wipkingen.net, sind Animationen zum Schattenwurf aufgeschaltet.

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