Zürichs Zukunft, wie wir sie wollen?

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Nicole Barandun-Gross, Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich, GVZ

Die Stadt Zürich soll wachsen, so will es der Kanton. Konkret soll bis 2040 Raum geschaffen werden für 100 000 neue Bewohnerinnen und Bewohner. Noch konkreter: In nur 19 Jahren soll Zürich um das Volumen von ganz Winterthur aufgepimpt werden. Auch wenn diese Aussicht viel Arbeit fürs Gewerbe verspricht, sei doch die Frage erlaubt, wo denn das passieren soll.

Stadtumbau statt Leitlinien

«Verdichten» heisst die Parole der Stunde, also näher und höher bauen. Der kommunale Richtplan Siedlung, öffentliche Bauten und Anlagen Stadt Zürich (SLÖBA) bezeichnet die dafür vorgesehenen Gebiete. Im Norden und Westen Zürichs, wo heute schon in die Höhe gebaut wird und die Erschliessung darauf angelegt ist, macht das Sinn. Im Richtplan finden sich aber auch Seefeld, das Zentrum Wollishofen, Riesbach, Hard. Wollen wir derartige Umwälzungen in Quartieren mit einzigartigem Charakter? Mit Strukturen, die gerade in Zeiten von Homeoffice geschätzt werden? Mit einem Federstreich soll das alles verändert werden.

Das Gesicht unserer Stadt

Mittlerweile stehen neben jedem Schulhaus Pavillons auf der Wiese, Schrebergärten mussten weichen. Wenn das letzte Grün verdichtet überbaut ist, bleibt immerhin noch der Grillplausch in Nachbars Garten. Dank Richtplan muss der ja alle hereinlassen. Dass zumindest seine eigenen acht Quadratmeter Freiraum, die jeder und jedem gemäss Richtplan zustehen, respektiert werden, sei ihm zu wünschen.

Transparenz ist anders

Die Richtpläne Siedlung und Verkehr, über welche die Zürcherinnen und Zürcher am 28. November abstimmen werden, äussern sich trotz übertriebenem Detaillierungsgrad nicht zu den Konsequenzen und Veränderungen für die Bevölkerung, insbesondere durch erhöhten Nutzungsdruck und damit mehr Regulierung, ganz zu schweigen von den Investitionen und Folgekosten dieses Umbaus gigantischen Ausmasses. Muss die Zentrumslast, die Zürich trägt, tatsächlich noch weiter wachsen? Das hinterfragt scheinbar niemand. Aber: Wollen wir das wirklich?!

Nicole Barandun-Gross
Präsidentin Gewerbeverband der Stadt Zürich

 

1 Kommentare


Norbert Novotny

25. September 2024  —  13:55 Uhr

Klimawandel und Städtebau
Das Thema ist schon vielmals behandelt worden und beschäftigt die Fachleute immer mehr. Es handelt sich hier mehr um eine Zusammenfassung. Vor 2500 Jahren forderte der griechische Städtebauer Hippodamos für die Stadtplanung von Milet die Ausrichtung einer orthogonalen Stadt nach den Himmelsrichtungen und für die Strassen Ausrichtung nach den Hauptwindrichtungen. Die orthogonale Stadt sollte auch eine demokratische Verteilung der Bevölkerung und gute Orientierung fördern. Das scheint uns bei den Planern heute noch nicht angekommen zu sein.
1. Durchlüftung
Heute stehen wir vor einem Klimawandel, der einen Einfluss auf die Stadtplanung haben wird. Der Hitzestau in der verdichteten Stadt ist voraussehbar. Berechnungen zeigen, dass die sommerlichen Temperaturen der Stadt bis zu 10°C über die bekannten Höchstwerte steigen werden. Die Stadtdurchlüftung ist daher immer wichtiger. Die ETH Zürich hat gezeigt, dass die neuen Bauten des Hochschulgebietes im Zentrum von Zürich so quer stehen, dass sie die Belüftung der ganzen Stadt behindern. Der Windschatten der geplanten Hochhäuser behindert ganzer Stadtbereiche, wenn die Windrichtung nicht beachtet wird. Das bestehende und geplante Hochhaus Cluster der SBB in Oerlikon ist eine Windbarriere, die Erweiterungen der UZH am Irchel und der ETH Höngger Berg stehen quer zum Hangwind und sind massive Windbremser.
2. Grundwasser
Die massiven statischen Fundament Vergrösserung von Hochhäusern erzeugen bei Gruppen von Hochhäusern eine starke Umlenkung und Störung des Grundwasserstromes und damit eine Beeinflussung des Stadtklimas. Wie weit dies auch die Zusammensetzung des Grundwassers und die Radonstrahlung beeinflusst, ist noch in Untersuchung. Im Zusammenhang mit der Bodenverdichtung sind Fundamentkomplexe sicher Sperren für den Abfluss und Durchfluss des Grundwassers, ein Risiko bei starken Regenfällen.
3. Energiedichte
Hochhäuser verursachen in ihrem Bau Energieaufwände (Watt und Joule) sowie CO2, bis zum 30-Fachen eines etwa 5-geschossigen 80 Meter langen Hauses mit gleichem Inhalt. Ein Bewohner solchen eines 5 -geschossigen Hauses verursacht heute in der Stadt Zürich etwa 5 Tonnen CO2 pro Jahr, der Hochhausbewohner aber 10 Tonnen CO2 pro Jahr. So dichte Energiekonzentrate haben zur Folge, dass die für den Unterhalt notwendige Energie (gemäss Untersuchungen der EPFL) exponentiell ansteigt, was zu einem grossen Aufwand für die bedienende Infrastruktur führt. Damit ist die in der Gemeindeordnung von Zürich enthaltene Zielsetzung der 2000- Watt Gesellschaft mit 1 Tonne CO2 pro Jahr und pro Einwohner auch in weiter Zukunft nicht erreichbar.
6. Humanökologische Konsequenzen der Bauweise
Hochhäuser benötigen weniger Land und die Ausnutzungsziffer AZ (Verhältnis von Bodenfläche zu Nutzungsflächen im Gebäude) wird enorm hoch (Oerlikon Türme 80 m hoch, 4-5), während in einem dichten Wohnungsbau eine AZ von 2 das Maximum ist. Wohnen mit Familie in einer Höhe über 10 Geschossen ist nicht zumutbar und meist auch nicht zahlbar. Das heisst, dass die Differenz der AZ für nicht benutzbares Wohnen im Minimum 2,0 bis ist. Diese Ausnutzung geht aber dem städtischen noch bezahlbaren Wohnen verloren. Nicht wohnungsmässige teure Nutzungen verdrängen daher bei jedem Hochhaus die Hälfte seiner Geschosse. Junge Leute mit gutem Einkommen können sich das Wohnen im aussichtsreichen Hochhaus noch leisten, aber normale Familien nicht. Eine Gentrifizierung verdrängt damit ganze Bevölkerungsgruppen. Wenn die Hochhäuser in der Bodennähe und in ihrer Umgebung nicht mit attraktiven Nutzungen gefüllt sind, entstehen ausserdem lebensfeindliche und epiurbane Gebiete. Es sei hier auch auf die zahlreichen von Medizinern stammenden Warnungen vor dem medizinisch und physisch entstehenden Dichtestress in verdichteten urbanen Gebieten hingewiesen.
7. Wettereinflüsse
Sonne und Regen können beide unerwünscht sein. Städte wie Bologna oder Bern haben in ihrer Entwicklung Lauben gebaut, Mailand und andere Städte eine ganze wetterunabhängige Galerie. Die Ausrichtung der Gebäude nach der Himmelsrichtung war schon bei Hippodamos ein Thema. Le Corbusier hat seine Maison Clarté in Genf nach Süden ausgerichtet und sie steht nun quer in dem Quartier. Aber auch schattenspendende Bebaungsmuster gibt es zur Genüge in klimatisch extremen Gebieten.
8. Geometrie der Stadt
Der Berkly Professor Christopher Alexander hat sich gegen die monozentrale orthogonale Stadt (wie Chandigarh und Brasilia) gewehrt und eine polyzentrale Stadt mit vielen Querverbindungen gefordert. Sie ist verkehrsmässig rationeller, sowohl für den öffentlichen Verkehr wie auch für den Fussgänger. Der grosse Platz in Chandigarh ist in der Mittagshitze nicht überquerbar, die tote Hauptachse mit dem Wasserkopf des Regierungsviertels in Brasilia sind trostlos. Diagonale Fussgängerverbindungen, eine ringförmige Parkanlage um das Zentrum, wie in der alten armenischen Stadt Jerivan, die grüne Ringstrasse in Wien gliedern das Stadtgebiet. In Seoul in Südkorea dient ein ganzer wunderbar gestalteter Fluss durch die MIllionenstadt als Erholungsgebiet. Alle historischen Monumente sind mit grosszügigen Erholungsflächen umgeben. Auch das Muster der Stadt sollte den gehobenen Nutzungsbedingungen einer in der Verdichtung erholungsbedürftigen Bevölkerung dienen.
Facit
Städte sind nicht Verursacher des Klimawandels, sie sind Opfer des Klimawandels., wenn sie nur verdichtet und nicht nach modernen Grundsätzen und klimagerecht für den Menschen gebaut werden. Um zu überleben werden sie dann zu humanökologischen Monstern mit einem amöbenhaften ökologischem Fussabdruck. Sie sind energetische Undinger und ökonomische Nimmersatts. Eine Änderung der Planermentalität von der aus dem letzten Jahrhundert stammenden milimetergenauen die Menschen versklavenden Erhaltung des Territoriums (3-dimensionalen Raumplanung) zum flexiblen vierdimensionalen Territorium als anpassungsfähiger Lebensraum des modernen Menschen ist dringend nötig, wenn die schon vor Jahrtausenden gemachte menschliche Erfindung Stadt nicht zum Trojanischen Pferd werden soll.

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